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Übersetzung und Validierung einer Skala zur Messung des organisationsbezogenen Selbstwertes

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Wir berichten von einer Studie, in der das englischsprachige Original einer Skala zur Messung des organisationsbezogenen Selbstwertes in fünf weitere Sprachen (deutsch, polnisch, ungarisch, spanisch, malaiisch) übersetzt und validiert wurde. Befragt wurden die Mitarbeiter eines internationalen Konzerns in sieben Ländern (USA, Kanada, Deutschland, Polen, Spanien, Ungarn und Malaysia). Zur Validierung werden die Arbeitszufriedenheit, die selbst eingeschätzte Arbeitsleistung sowie die Unterstützung der Mitarbeiter bei der Umsetzung der Unternehmenswerte (Commitment) herangezogen. Die Ergebnisse belegen, dass die Übersetzungen erfolgreich verlaufen sind. In allen Fällen ergibt sich eine reliable Skala, die positiv mit den Validititätskriterien korreliert. Schlüsselbegriffe: Organisationsbezogener Selbstwert, Arbeitszufriedenheit, Commitment, Arbeitsleistung

Personalmarketing aus Bewerbersicht: Nutzung und Bewertung

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1       Einleitung

Seit einigen Jahren beschäftigt sich die personalpsychologische Forschung zunehmend mit der Perspektive der Bewerber. Waren es ursprünglich vor allem Fragen nach der Akzeptanz und Fairness klassischer Auswahlverfahren, wie etwa Interview und Assessment Center (Gilliland, 1993; Schuler, 1993; Truxillo & Bauer, 2011; Wiechmann & Ryan, 2003), treten heute internetgestützte Methoden und deren Wahrnehmung immer stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit (z. B. Ployhard, 2006; Sinar, Reynolds & Paquet, 2003; Van Rooy, Alonso & Fairchild, 2003). Dies hat nicht zuletzt mit der rasant ansteigenden Verbreitung internetgestützter Auswahlprozeduren zu tun (Anderson, 2003; Bartram, 2000; Cober, Brown, Blumental, Doverspike & Levy, 2000). Generell kommt an dieser Stelle der Perspektive der Bewerber eine große Bedeutung zu (vgl. Hülsheger & Anderson, 2009; LaHuis, MacLane & Schlessmann, 2007), denn letztlich entscheidet jeder Bewerber selbst, ob er ein Stellenangebot annimmt oder zurückweist. Dabei spielt unter anderem die Wahrnehmung des Bewerbungsprozesses eine wichtige Rolle, wie Chapman, Uggerslev, Carroll, Piasentin und Jones (2005) in einer Metaanalyse zusammenfassend belegen konnten.

Bevor ein Bewerber jedoch ausgewählt werden kann, muss er erst einmal auf einen potenziellen Arbeitgeber bzw. ein Stellenangebot aufmerksam werden und sich anschließend bewerben. Dieser Prozess kommt einer Selbstselektion gleich, und ist von zentraler Bedeutung für das gesamte weitere Auswahlverfahren (vgl. Dineen & Soltis, 2011; Moser & Sende, in Druck). Je nach Zielgruppe kann sich dabei fehlendes Online-Recruitment sogar negativ auf das Unternehmensimage auswirken (Konradt & Sarges, 2003) und somit potenzielle Arbeitnehmer von einer Bewerbung abhalten. Gelingt es einer Organisation durch die adäquate Ansprache potenzieller Bewerber, besonders qualifizierte Personen zu einer Bewerbung zu bewegen und gleichzeitig gering qualifizierte Personen von einer Bewerbung abzuhalten, so kann sich dies vorteilhaft auf die Trefferquote der späteren Auswahlentscheidung auswirken (Taylor & Russell, 1939). Je höher dabei die Grundquote der Geeigneten durch gutes Personalmarketing in der Bewerbergruppe steigt, desto eher tritt die Bedeutung der nachfolgenden Auswahlverfahren in den Hintergrund – im Optimalfall bewerben sich nur geeignete Personen. Online-Auswahlinstrumente bieten zudem die Möglichkeit, zunächst sehr viele potenziell geeignete Bewerber auf die Organisation aufmerksam zu machen, um daraufhin mit Hilfe von kosteneffizienten Online-Screeningverfahren eine Vorauswahl zu treffen (Cappelli, 2001). Da insbesondere bei der Akquise hochqualifizierter Fachkräfte große Konkurrenz zwischen den Unternehmen herrscht (Collins & Han, 2004; Ng & Burke, 2005; Pfeffer, 2001), bietet die mit der Nutzung von Webtechnologien einhergehende Beschleunigung des Bewerbungs- und Auswahlprozesses einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil (Cappelli, 2001).

In der vorliegenden Studie untersuchen wir verschiedene Maßnahmen zur Ansprache von Bewerbern durch eine Organisation (z. B. durch eine Zeitungsanzeige oder die Website der Organisation), also die Summe der möglichen Personalmarketingmaßnahmen. Dabei steht die Bewertung dieser Maßnahmen aus der Sicht der potenziellen Bewerber im Zentrum des Interesses.

1.1       Ansprache potenzieller Bewerber

Bislang weiß man nur wenig darüber, aufgrund welcher Determinanten aus potenziellen Bewerbern tatsächliche Bewerber werden (vgl. Avery & McKay, 2006; Hamori, Bonet & Cappelli, 2011; Moser & Sende, in Druck; Ryan, Horvath & Kriska, 2005). Einige Studien beschäftigen sich mit der Geschwindigkeit des Recruitingprozesses (Carless & Hetheringthon, 2011) oder der Gestaltung der Unter­nehmenswebseiten, über die potenzielle Bewerber auf eine Organisation als möglichen Arbeitgeber aufmerksam werden (z. B. Cappelli, 2001; Pfieffelmann, Wagner & Libkuman, 2010 sowie nachfolgend dargestellte). Bei Konradt und Rack (2006) beispielsweise zeigt sich ein positiver Einfluss der wahrgenommenen Qualität einer Recruiting-Website (insbesondere Inhalt und Layout) auf die erlebte Attraktivität einer Organisation als potenzieller Arbeitgeber (siehe auch Cober, Brown, Levy, Cober & Keeping, 2003; Lin, 2010; Williamson, Lepak & King, 2003). Dass sich die Einstellung eines Bewerbers zur Un­ternehmenswebsite auf die von ihm wahrgenommene Unternehmensattraktivität auswirkt, zeigten Allen, Mahto und Otondo (2007). Untersuchungen zu herkömmlichen Stellenanzeigen in Zeitungen belegen positive Effekte im Hinblick auf die Attraktivität einer Organisation, wenn die den Bewerbern zur Verfügung gestellten Informationen über die wahrscheinliche Vergütung, individuelle Entwick­lungsmöglichkeiten etc. sehr detailreich sind (Roberson, Collins & Oreg, 2005). Detailreiche Darstellungen wie­derum führen dazu, dass sich in stärkerem Maße solche Personen bewerben, die auch für die Organisation interes­sant sind, während die Bewerbungsquote gering qualifi­zierter Personen zurückgeht (Feldman, Bearden & Har­desty, 2006).

Die einschlägige Forschung beschäftigt sich daher insbe­sondere mit Fragen der Gestaltung einer Ansprache potenzieller Bewerber. Fragt man aber nach einem direkten Vergleich zwischen verschiedenen Methoden der Bewerberansprache, so offenbart sich eine große Erkenntnislücke. Collins und Han (2004) beispielsweise diskutieren, dass Poster in Universitäten und Zeitungsan­zeigen in Studentenmagazinen dazu geeignet sind, potenzielle Bewerber auch dann anzusprechen, wenn sie gar nicht auf Jobsuche sind – eine empirische Untersuchung dazu bleibt jedoch aus. Grund (2006) untersuchte die Arbeitszufriedenheit von Menschen, die ihre Arbeitsstelle über das Internet oder über die Zeitung gefunden hatten und fand keine signifikanten Unter­schiede zwischen den beiden Rekrutierungswegen. Jedoch wurde dabei keine differenzierte Betrachtung zwischen verschiedenen Online-Rekrutierungsmaßnahmen vorge­nommen. Zwar zeigt eine Studie von Van Rooy et al. (2003), dass sowohl die Stellensuche per Internet, als auch die Stellensuche per Zeitung in Abhängigkeit von der Menge und Qualität der Suchtreffer positiver bewertet werden, auch hier fehlt aber ein direkter Vergleich der Methoden im Hinblick auf die Wahrnehmungen und Be­wertungen der potenziellen Bewerber. Einen solchen Ver­gleich nehmen Cable und Yu (2006) zwischen drei Metho­den des Personalmarketing (Unternehmenswebsite, elektronisches schwarzes Brett[1] und Personalmesse) vor. Dabei zeigt sich, dass die Jobsuchenden das elektronische schwarze Brett bezüglich der wahrgenommenen Reichhal­tigkeit und wahrgenommen Glaubwürdigkeit signifikant schlechter bewerten als die beiden anderen Methoden.

Insgesamt betrachtet, sind die Erkenntnisse zur erfolgreichen Ansprache potenzieller Bewerber jedoch noch sehr lückenhaft. Zudem wird im Personalmarketing, wie auch generell in der Wirtschaftspsychologie (siehe Kanning, Thielsch & Brandenburg, 2011), ein mangelhafter Wissenschafts-Praxis-Transfer kritisiert (Garcia-Izquierdo, Aguinis & Ramos-Villagrasa, 2010). Garcia-Izquierdo und Kollegen (2010) zeigen dabei beispielhaft auf, wie im Rahmen des Recruitingprozesses Informationen erfragt werden, die zu negativen Effekten führen – da Bewerber um Angaben gebeten werden, die nicht legal erhoben werden dürfen oder das potentielle Risiko einer Diskriminierung bieten.

1.2       Online-Methoden erweitern das Spektrum der Personalmarketingmaßnahmen

Jenseits der klassischen Printanzeige gibt es heute zahlreiche Wege des Offline- und insbesondere Online-Personalmarketings. Besonders Online-Methoden haben in den letzten Jahren die Möglichkeiten im Personalmarketing deutlich erweitert (Geighardt, 2008; Moser & Sende, in Druck), werden oft aber noch nicht voll ausgeschöpft (Cappelli, 2001; Dineen & Noe, 2009). Dabei sind die Ansprachewege vielfältig: Stellenanzeigen werden online über verschiedene Wege ausgeschrieben, so beispielsweise über Jobportale, Unternehmens- und andere Websites, soziale Netzwerke oder Onlineausgaben von Zeitungen. Zudem bieten einige Organisationen auf ihrer Website die Möglichkeit ein eigenes Bewerberprofil zu hinterlegen, wodurch man sich für zukünftige Stellenausschreibungen initiativ bewirbt. Wurde eine konkrete Stelle bereits ausgeschrieben, können Interessierte online ein standardisiertes Bewerbungsformular ausfüllen, mit dem die wichtigsten Informationen zur Person erfasst werden (eine detaillierte Beschreibung der Vor- und Nachteile findet sich bei Bruns & Althoff, 2002). Alternativ hierzu kann der Bewerber seine Unterlagen auch per E-Mail einreichen, wodurch er die Möglichkeit zur individuellen Gestaltung hat. Bei besonders aufwändigen Verfahren bearbeiten die Bewerber zunächst ein Planspiel im Internet, ehe sie im Falle guter Testergebnisse anschließend zu einer Bewerbung eingeladen werden. Job-Portale großer Stellenvermittlungsfirmen bieten ebenso die Möglichkeit, sich direkt online zu bewerben, wie Online-Portale großer Printmedien.

Über die Bewertung derartiger Prozeduren durch die Be­werber ist bislang relativ wenig bekannt. Sowohl die Arbeitszufriedenheit als auch die Frage danach, welche Berufsgruppe einen Job online findet, wurden bereits untersucht (Grund, 2006). Jedoch wurde dabei keine Differenzierung nach verschiedenen Personalmarketing­maßnahmen vorgenommen. Kanning, Schmalbrock und Wild (2009) untersuchen verschiedenen Marketingmaß­nahmen und differenzieren dabei grob unterschiedliche Studienfächer, nicht aber einzelne Berufsfelder. Zudem fehlen in dieser Studie einzelne neuere Online-Methoden, wie z. B. das Personalmarketing über Online-Communi­ties. Somit gibt es bisher keinerlei umfassende Vergleiche wie sich Berufsgruppen und somit potenzielle Bewerber in ihrer Nutzung und Akzeptanz der vollen Bandbreite unter­schiedlicher Offline und- Online-Personalmarketing-maßnahmen unterscheiden.

2       Fragestellung

Die bisher vorliegenden Studien zum Personalmarketing werden den zahlreichen Möglichkeiten zur Ansprache potenzieller Bewerber nicht gerecht. Um potenzielle Be­werber optimal ansprechen zu können, ist es jedoch un­erlässlich, berufsgruppenspezifische Vorlieben hinsichtlich des Bewerbungsweges zu kennen. Die Bandbreite der Methoden reicht von klassischen Zeitungsanzeigen über Kontakte zu Universitäten, Vorträge und Unternehmens­präsentationen, Personalmessen, auf denen sich Organisationen einem interessierten Publikum vorstellen bis hin zu den verschiedenen Varianten internetgestützter Ansprache (siehe Tabelle 1). Während einzelne Personal­marketingmaßnahmen ganz klar für breite Zielgruppen geeignet sind und zu fast jeder Personalsuchstrategie gehören, sind andere Maßnahmen recht speziell. Stellen­anzeigen, sei es online oder in Zeitungen, werden eine breite Basis von Bewerbern ansprechen. Andere Maßnah­men wie zum Beispiel Online-Planspiele oder Roadshows sprechen nur bestimmte Zielgruppen an, weil sie zum einen mit besonderen Anforderungen verbunden sind oder zum anderen sich dies aus berufsspezifischen Traditionen ergibt (man denke hier etwa an die Berufsgruppe der Informatiker). An dieser Stelle setzt die vorliegende, explorative Studie an.

Ziel unserer Untersuchung ist die Analyse der Bewertung und Nutzung der verschiedenen Varianten des Personalmarketings offline und online durch potenzielle Bewerber. Besondere Bedeutung hat an dieser Stelle die Analyse verschiedener Berufsgruppen sowie die Klärung der Frage, inwieweit sich diese unterscheiden und wie sich mögliche Unterschiede darstellen. Unterschiede in der Einschätzung von Personalmarketing sind dabei, bedingt durch verschiedene berufliche Grundgegebenheiten, zu erwarten. So könnten beispielsweise technikaffine Berufe moderneren technischen Varianten wie Online-Methoden eher aufgeschlossen gegenüber stehen. Ebenso ist denkbar, dass Berufe die Computertätigkeiten beinhalten ebenfalls die Präferenz für Online-Verfahren fördern, während Bewerber in anderen Berufsfeldern womöglich teilweise gar nicht die Qualifikation mitbringen, derartige Verfahren umfassend nutzen zu können. Daher soll in der vorliegenden Studie gefragt werden, welche Personalmarketingwege den Bewerbern generell bekannt und welche von diesen mit positiven Bewertungen verbunden sind, also besonders angenommen und geschätzt werden. Zudem soll differenziert werden, welche Marketingmaßnahmen den Bewerbern zwar bekannt sind, aber dennoch nicht für die Stellensuche genutzt werden.

3       Methode

3.1       Stichprobe

Die Erhebung der Stichprobe erfolgte webbasiert. Hierbei wurden nur die Altersgruppen eingeschlossen, die potenziell aktiv am Erwerbsleben teilnehmen können (das heißt Personen unter 17 und über 65 Jahren waren ausgenommen). In die Auswertung gehen die Daten von N = 1630 Befragten ein, hierunter befinden sich n = 912 Frauen (56%). Das Alter der Befragten reicht von 17 bis 64 Jahren und liegt im Mittel bei 28.60 Jahren (SD = 9.72). Die Untersuchungsteilnehmer gaben eine mittlere Berufserfahrung von 7.84 Jahren an (SD = 10.00), 57 Prozent befanden sich noch in Ausbildung oder Studium. Etwa die Hälfte der Befragten (51%) hatte sich im Zeitraum der letzten sechs Monate vor der Befragung hinsichtlich möglicher beruflicher Veränderungen informiert, 25 Prozent aller Befragten hatten sich in diesem Zeitraum auch aktiv beworben. Die Teilnehmer gaben an, sich in den zwei Jahren vor der Befragung auf insgesamt durchschnittlich 13.77 Stellen beworben zu haben (SD = 32.36).

Die Befragten konnten sich in der Studie einem von 15 Berufsfeldern zuordnen, beziehungsweise hierzu freie Angaben unter einem Punkt “Sonstiges” machen. Die Benennung der Berufsfelder war dabei angelehnt an die Erfassung der Erwerbsfelder in gängigen Bevölkerungserhebungen wie beispielsweise durch das Statistische Bundesamt. Arbeitssuchende waren an dieser Stelle gebeten, sich dem Berufsfeld zuzuordnen, in dem sie gerade suchten; Personen in Ausbildung sollten sich ihrem zukünftigen Berufsfeld zuordnen. Zwölf Berufsfelder werden im Laufe der vorliegenden Studie eine detaillierte Auswertung erfahren, bei den übrigen dreien (Bau & Architektur, Landwirtschaft, Gesellschaft & Geisteswissenschaften) lag die Anzahl der Befragten unter n = 50. Im Folgenden stellen wir die zwölf Berufsfelder und typische Berufe, die diese in unserer Stichprobe charakterisieren, dar:

  • Dienstleistung (n = 222): Bankangestellter, Kaufmännische Angestellter, Projektmanager, Servicemitarbeiter.
  • Gesundheit (n = 79): Apotheker, Arzt, Pflegekraft.
  • IT (n = 157): Fachinformatiker und Informatiker, IT-Consultant, Softwareentwickler, Systemadministrator und andere IT-Berufe.
  • Medien, Kunst & Gestaltung (n = 56): Designer, Journalist, PR-Berater, Redakteur, Volontär.
  • Metall & Maschinenbau (n = 101): Konstrukteur, Ingenieur, Schlosser.
  • Naturwissenschaften (n = 53): Chemikant, Laborant, wissenschaftliche Mitarbeiter.
  • Produktion & Fertigung (n = 52): verschiedene Technikerberufe, Produktmanager.
  • Soziales & Pädagogik (n = 174): Betreuer, Erwachsenenbildung, Jugendhilfe, Lehrer, Sozialarbeiter, Sozialpädagoge.
  • Technik & Elektronik (n = 50): Elektriker, Elektrotechniker, Mechatroniker.
  • Verkehr & Logistik (n = 54): Angestellte im Logistikbereich, Fahrdienstleister, Kurier, Speditionskaufmann
  • Verwaltung (n = 108): Buchhalter, Sachbearbeiter, Sekretär, Verwaltungsangestellte.
  • Wirtschaft (n = 199): Betriebswirt, Finanzberater, Geschäftsleitung, Kaufmann, Personalberater/-referent, Vertriebsmitarbeiter, Unternehmensberater.

3.2       Befragungsinstrument

Der Fragebogen gliederte sich in drei Teile: Im ersten Teil machten die Befragten Angaben zu ihrer Demographie und zu Bewerbungen sowie zur Informationssuche in den letzten sechs Monaten hinsichtlich möglicher beruflicher Veränderungen. Bei den demographischen Angaben wurden neben Alter, Geschlecht und Ausbildungsstand auch Beruf (siehe 3.1) und Berufserfahrung in Jahren erfragt. Hieran schlossen sich die Fragen an, ob sich die Studienteilnehmer in den letzten sechs Monaten hinsichtlich neuer beruflicher Optionen informiert und/oder sich aktiv beworben hätten sowie auf wie viele Stellen sich in den letzten zwei Jahren beworben wurde.

Im zweiten Teil wurden zwölf Personalmarketingmaßnah­men hinsichtlich Bekanntheit und Nutzung eingeschätzt, die Antwortoptionen waren: “habe ich noch nie genutzt”, “habe ich früher genutzt/nutze ich derzeit” und “kenne ich nicht” (Mehrfachantworten waren an dieser Stelle nicht möglich). Dabei wurde jede der zwölf Maßnahmen kurz erläutert (siehe Tabelle 1). Bei diesen Maßnahmen handelte es sich um eine inhaltlich erweiterte Liste aufbauend auf der Arbeit von Kanning et al. (2009), die sich vor allem mit Hochschulmarketing befasste. Ziel der Erweiterung war den Raum der möglichen Personalmarketinginstrumente weitestgehend abzubilden.

Tabelle 1:   In der Untersuchung gegebene Erläuterung zu den zwölf Personalmarketingmaßnahmen

Personalmarketingmaßnahme Erläuterung in der Untersuchung
Stellenanzeigen in Zeitungen/ Zeitschriften Ein Unternehmen schreibt offene Stellen in Zeitungen/Zeitschriften aus.
Stellenanzeigen auf der Unternehmenswebsite Ein Unternehmen offeriert zu besetzende Stellen im Internet auf der unternehmenseigenen Homepage.
Stellenanzeigen in Online-Jobportalen Ein Unternehmen offeriert zu besetzende Stellen im Internet in Jobportalen wie Monster.com oder Jobpilot.de.
Stellenangebote in Online-Communities Ein Unternehmen veröffentlicht Informationen über Stellenanzeigen in einer Online-Community wie z. B. “Xing” oder “LinkedIn”.
Online-Planspiele Ein Unternehmen ermöglicht die Teilnahme an “PC-Spielen” im Internet (z. B. fiktive Unternehmensführung). Bei gutem Abschneiden wird der Teilnehmer eingeladen sich zu bewerben.
Vorträge und Firmenpräsentationen Mitarbeiter eines Unternehmens präsentieren ihre Organisation (z. B. an Schulen oder Hochschulen).
Kontakte/Kooperationen von Unternehmen zu Lehrern/Dozenten Unternehmen kooperieren mit Lehrern oder Professoren bzw. deren Mitarbeitern.
Personalmessen Ein Unternehmen stellt sich auf Personalmessen vor. Das sind Veranstaltungen, zu denen potentielle Bewerber kommen, um sich gezielt über verschiedene Unternehmen zu informieren.
Karrierebroschüren/ Imageanzeigen Ein Unternehmen veröffentlicht Broschüren/ Anzeigen, um Bewerber über sich als Arbeitgeber zu informieren, ohne dass eine spezifische Stelle ausgeschrieben wird.
Firmenrankings/ Auszeichnungen Ein Unternehmen beteiligt sich an Wettbewerbern wie z. B. “Deutschlands beste Arbeitgeber” oder “fair company”.
(Inhouse) Bewerbertage Ein Unternehmen lädt Bewerber ein und führt mit ihnen Übungen durch, um Sie dabei kennenzulernen und über das Unternehmen zu informieren.
Roadshows Ein Unternehmen führt eine Promotionstour durch, bei der es sich mobil an unterschiedlichen Orten präsentieren kann und die Zielgruppe “direkt auf der Straße” informiert.

Im dritten Teil wurden die Befragten gebeten die zwölf Personalmarketingmaßnahmen auf einer fünfstufigen Skala einzuschätzen, diese reichte dabei von 1 (“spricht mich gar nicht an”) bis 5 (“spricht mich sehr an”). Am Ende des dritten Teils wurden noch zwei globale Einschätzungen erbeten: Zum einen wurde nach der generellen Präferenz gefragt (“Welche Art des Personalmarketings gefällt Ihnen insgesamt besser?”), hierbei waren die Antwortoptionen “offline”, “eher offline”, “neutral”, “eher online” und “online” vorgegeben, wobei in der Auswertung die beiden jeweils äußeren Stufungen zusammengefasst wurden. Zum anderen sollten die Befragten auf einer fünfstufigen Skala von 1 (“trifft überhaupt nicht zu”) bis 5 (“trifft völlig zu”) einschätzen ob das Personalmarketing eines Unternehmens das Unternehmensimage beeinflusst (“Das Personalmarketing eines Unternehmens beeinflusst den Gesamteindruck, den ich von dem Unternehmen habe.”).

Vor der Feldphase wurde der Fragebogen mit N = 16 Personen hinsichtlich Verständlichkeit und eventueller technischer Probleme vorgetestet.

3.3       Befragungsablauf

Auf die Umfrage wurde mittels verschiedener aktiver und passiver Ansprachewege hingewiesen. Die Ansprache der Untersuchungsteilnehmer erfolgte vorrangig über zwei Online-Befragungspanel, so sollte eine heterogene und zielgruppennahe Stichprobenzusammensetzung gewährleistet werden. In beiden Befragungspanels wurden Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren per E-Mail angeschrieben und zur Umfrage eingeladen. Bereits bei der Aussendung der Einladung wurde auf eine ausgeglichene Verteilung demographischer Basisvariablen geachtet. Ergänzend wurde über Internet-Foren und Online-Communities (beispielsweise über die Websites gängiger sozialer Netzwerke) sowie per E-Mail (beispielsweise über E-Mail-Verteiler von Alumni-Netzwerken) auf die Studie aufmerksam gemacht. Die Untersuchung wurde dabei als anonyme Befragung von potenziellen Bewerbern angekündigt und war für einen Zeitraum von drei Monaten online erreichbar. Unter allen Teilnehmern erfolgte eine Verlosung von 25 Einkaufsgutscheinen im Wert von je zehn Euro.

4       Ergebnisse

4.1       Allgemeine Nutzung und Bewertung

Die Befragten sollten angeben, inwieweit sie gängige Personalmarketingmaßnahmen kennen beziehungsweise nutzen und wie sie diese einschätzen (siehe Tabelle 2). Hierbei fällt auf, dass eine Vielzahl von Maßnahmen den meisten Befragten bekannt ist – insbesondere Stellenanzeigen in Zeitungen, auf Unternehmenswebsites und in Online-Job-Portalen sind quasi jedem ein Begriff (alle > 97%). Am unbekanntesten sind Online-Planspiele, Roadshows und Firmenrankings/Auszeichnungen, diese werden auch insgesamt am wenigsten genutzt. Mit deutlichem Abstand am häufigsten werden Stellenanzeigen online (78%) und in Zeitungen (77%) gefolgt von Anzeigen in Online-Jobportalen (65%) genutzt, diese drei Maßnahmen werden auch als vergleichsweise am ansprechendsten bewertet. Kontakte und Kooperationen von Lehrern oder Dozenten zu Unternehmen sowie Vorträge und Firmenpräsentationen sind ebenfalls eher positiv bewertet; klar als eher nicht ansprechend werden Online-Planspiele und Roadshows eingestuft. Alle übrigen Maßnahmen erhalten eher neutrale Bewertungen. Bekanntheit und Bewertung korrelieren signifikant und leicht positiv miteinander (.16 £ r £ .26), lediglich bei den Stellenanzeigen in Online-Jobportalen findet sich ein Zusammenhang mittlerer Größe (r = .36, p < .01).

Bei der Frage nach der generellen Präferenz nennen 21 Prozent der Befragten Offline- und 51 Prozent Online-Personalmarketinginstrumente, 28 Prozent sind hierbei neutral. Dass sich das Personalmarketing auch auf den Gesamteindruck, den man von einem Unternehmen hat, niederschlägt wird als eher zutreffend angesehen (M = 4.03, SD = 0.80).

Tabelle 2:   Bekanntheit und Bewertung gängiger Personalmarketingwege

% nicht bekannt % bekannt, nicht genutzt % genutzt Bewertung

M

Bewertung

SD

Stellenanzeigen in Zeitungen/ Zeitschriften 1 22 77 3.96 0.93
Stellenanzeigen auf der Unternehmenswebsite 2 20 78 4.23 0.79
Stellenanzeigen in Online-Jobportalen 2 33 65 3.87 1.02
Stellenangebote in Online-Communities 19 54 27 2.83 1.12
Online-Planspiele 27 65 8 2.35 1.15
Vorträge und Firmenpräsentationen 6 54 40 3.64 1.02
Kontakte/Kooperationen von Unternehmen zu Lehrern/Dozenten 6 53 41 3.81 1.05
Personalmessen 7 62 31 3.33 1.07
Karrierebroschüren/ Imageanzeigen 7 48 45 3.21 1.05
Firmenrankings/ Auszeichnungen 20 63 17 3.06 1.11
(Inhouse) Bewerbertage 10 65 25 3.39 1.10
Roadshows 26 64 10 2.48 1.06

Anmerkung: Die Bewertungsskala reichte von 1 (“spricht mich gar nicht an”) bis 5 (“spricht mich sehr an”)

4.2       Nutzung in Abhängigkeit von der Berufsgruppe

Hinsichtlich der Nutzung der verschiedenen Personalmarketingwege finden sich zwischen den Berufsgruppen bei fast allen Maßnahmen signifikante Unterschiede (36.70 £ c2 £ 82.70, df = 12, p < .05), ausgenommen sind hier lediglich die Roadshows (c2 = 33.00, df = 12, p = .06). Betrachtet man hier die Berufsgruppen näher (siehe Tabelle 3), so fallen einzelne Unterschiede besonders ins Auge: Auffallend oft sind Bewerbern im Bereich Produktion & Fertigung Maßnahmen vergleichsweise weniger bekannt als anderen Berufsgruppen. Bei acht von zwölf Maßnahmen zeigt diese Gruppe den jeweils höchsten Grad an Unbekanntheit. Bewerber aus den Naturwissenschaften hingegen kennen sehr viele Personalmarketingmaßnahmen und erreichen bei der Hälfte der Maßnahmen die höchsten Werte, nutzen die verschiedenen Wege aber weniger als andere Berufsgruppen. ITler zeigen standesgemäß eine besonders hohe Nutzungen von Online-Personalmarketingmaßnahmen. Bewerber aus der Wirtschaft hingegen nutzen sehr intensiv nicht nur Unternehmenswebsites, sondern auch klassische Wege wie Vorträge, Firmenpräsentationen, Personalmessen und Imageanzeigen.

Wirft man einen Blick auf die drei insgesamt am besten bewerteten Maßnahmen (Stellenanzeigen in Zeitungen, auf Unternehmenswebsites sowie in Online-Jobportalen), so fällt die breite Bekanntheit und Nutzung von klassischen Stellenanzeigen offline und online in allen Berufsgruppen auf. Bezüglich der Nutzung von Stellenanzeigen in Online-Jobportalen ergeben sich dagegen größere Differenzen zwischen den Berufsgruppen und entsprechende spezifische Nutzungsmuster. Während beispielsweise mehr als die Hälfte der Bewerber aus dem Feld Technik & Elektronik Jobportale nicht nutzt, liegt die Nutzerquote bei Personen aus dem Bereich Medien, Kunst & Gestaltung bei 84 Prozent .

4.3       Bewertung in Abhängigkeit von der Berufsgruppe

In einer varianzanalytischen Auswertung der Bewertung der verschiedenen Berufsgruppen hinsichtlich der Personalmarketingmaßnahmen ergeben sich signifikante Unterschiede (F(132, 7425) = 1.87, p < .01, h2 = .03). Die Unterschiede in den Bewertungen der verschiedenen Berufsgruppen sind dabei für alle Personalmarketingmaßnahmen signifikant (2.13 £ F £ 4.91, p < .05, .02 £ h2 £ .06). Ausnahmen bilden Stellenanzeigen in Zeitschriften oder auf der Unternehmenswebsite, die beide einhellig eher positiv bewertet werden sowie Online-Planspiele, die bei fast allen Berufsgruppen eher auf Ablehnung stoßen (siehe Tabelle 4). Betrachtet man die weiteren verschiedenen Maßnahmen näher, so ist interessant, dass Stellenangebote in Online-Jobportalen von Personen aus dem IT Bereich vergleichsweise am schlechtesten bewertet werden, während Befragte aus der Wirtschaft hier die positivste Einschätzung abgeben. Das gleiche Muster zeigt sich bei Vorträgen und Firmenpräsentationen.

Personalmarketing über Online-Communities wird von den meisten Gruppen eher neutral gesehen oder abgelehnt. Während sich die Naturwissenschaftler in vielen anderen Bereichen eher neutral äußern, präferieren sie eindeutig Kontakte zwischen Unternehmen und Dozenten. Analog zur häufigen Nutzung bewerten Befragte aus der Wirtschaft Personalmessen und Imageanzeigen am vergleichsweise positivsten. Während Firmenrankings zumeist neutral eingeschätzt werden, stoßen Roadshows in den meisten Berufsgruppen tendenziell auf Ablehnung.

Schaut man auf die generellen Präferenzen für Offline- oder Online-Personalmarketing (siehe Tabelle 4, letzte Zeilen), so finden sich eindeutige und signifikante Gruppenunterschiede (c2 = 53.66, df = 22, p < .01). Zwar präferieren alle Berufsgruppen Online-Ansprachewege, die Intensität dieser Präferenz aber unterscheidet sich: Während die Befragten in den Bereichen IT, Technik & Elektronik, Medien, Kunst & Gestaltung sowie Dienstleistung Online-Personalmarketing zu über 60 Prozent präferieren, sind dies in den Bereichen Produktion & Fertigung sowie Soziales & Pädagogik nur 37, beziehungsweise 39 Prozent. In letzterem Bereich (Soziales & Pädagogik) wird mit 30 Prozent die stärkste Präferenz für Offline-Methoden geäußert, gefolgt von den Bereichen Gesundheit (29%) und Wirtschaft (28%).

5       Diskussion

Für gezieltes Personalmarketing ist es notwendig, die branchenspezifischen Gegebenheiten zu kennen und zu berücksichtigen. In der vorliegenden Studie konnte gezeigt werden, welche Personalmarketingmaßnahmen generell bekannt sind und wie hoch die Akzeptanz unter potenziellen Bewerbern für die einzelnen Maßnahmen ist – Spitzenreiter sind Stellenanzeigen in Zeitungen, auf Websites und in Online-Jobportalen. Die meisten Befragten sind, unabhängig von der konkreten Form, Online-Methoden gegenüber generell aufgeschlossen, nur eine Minderheit lehnt diese ab. Unsere Ergebnisse verdeutlichen die enorme Verbreitung, die Online-Methoden in den vergangenen Jahren erlebt haben. Diese sind allerdings unter der Einschränkung zu bewerten, dass die vorliegende Stichprobe online erhoben wurde, wobei der Anteil der Offliner in Deutschland in den letzten Jahren stark gesunken ist (siehe nachfolgende Diskussion der Limitationen). Für das Personalmarketing ergibt sich daraus die Konsequenz, dass auch kosten- und zeiteffiziente Online-Verfahren (Cappelli, 2001; Cober et al., 2000) eine hohe Akzeptanz bei den Bewerbern haben. Bereits Grund (2006) stellt fest, dass es für die Bewerber hinsichtlich ihrer Jobzufriedenheit und ihres Einkommens keinen Unterschied macht, ob sie sich online- oder offline beworben haben. Diese Akzeptanz auf Bewerberseite ließe sich mit weiteren technischen Optimierungen womöglich noch steigern, insbesondere da sich unter den Online-Verfahren noch zum Teil recht neue, nicht vollends ausgereifte Technologien finden. Abgelehnt werden in der vorliegenden Studie lediglich Online-Planspiele und Roadshows – diese Maßnahmen werden vergleichsweise sehr wenig genutzt und scheinen nicht als besonders ansprechend erlebt zu werden. Möglicherweise kommen diese Maßnahmen in einzelnen Branchen weniger zum Einsatz oder bieten in ihrer Umsetzung noch deutliches Verbesserungspotential.

Klassische Stellenanzeigen offline und online werden von allen Gruppen genutzt und akzeptiert. Hinsichtlich der übrigen Maßnahmen lassen sich darüber hinaus aber verschiedene berufsspezifische Cluster erkennen. Insbesondere computeraffine Gruppen wie ITler oder Personen aus Technik & Elektronik oder Medien, Kunst & Gestaltung kennen und schätzen Online-Personalmarketingmethoden. Dieses findet sich auch in Berufsgruppen, deren Tätigkeit durch einen hohen Computerisierungsgrad gekennzeichnet ist, wie beispielsweise bei Berufen aus dem Logistik & Verkehrsbereich. Personen aus Produktion & Fertigung, aber auch aus dem Bereich Soziales & Pädagogik sind hingegen eher den Offline-Methoden zugeneigt. In einzelnen Berufsgruppen wie z. B. bei den Naturwissenschaftlern, sind zwar viele Personalmarketinginstrumente bekannt, werden aber deutlich seltener genutzt. In anderen Gruppen (insbesondere aus der Wirtschaftsbranche) ist das Gegenteil zu beobachten: Hier wird ein breites Spektrum an Personalmarketingmaßnahmen genutzt und positiv bewertet. Für diese Verhaltensweisen bieten sich unterschiedliche Erklärungen an: Wie in der Fragestellung bereits angedeutet, könnten hierfür zunächst computeraffine Tätigkeiten in den jeweiligen Arbeitsbereichen Nutzung und Präferenz der Online-Methoden beeinflussen. Aus den Anforderungen und Inhalten bestimmter Berufsbereiche ergeben sich entsprechende personelle Konfigurationen. Beispielsweise dürften hochgebildete und technikaffine Personen Online-Medien meistens positiv gegenüberstehen. Sie verteilen sich naturgemäß keineswegs gleich über die verschiedenen Berufsgruppen. Zudem ist gerade im Produktions- und Fertigungsbereich (aber auch im Bereich Soziales & Pädagogik) denkbar, dass gar nicht alle Mitglieder dieser Gruppen die notwendigen Qualifikationen mitbringen, um Online-Methoden in ihrer vollen Breite zu nutzen. Darüber hinaus kommt berufsgruppenspezifisch tradierten Handlungsmustern sowie der aktuellen Arbeitsmarktlage in einer Branche eine mögliche Bedeutung zu.

Tabelle 3:   Nutzung gängiger Personalmarketingwege in Abhängigkeit von der Berufsgruppe (alle Angaben in %)

Dienstl.

Gesun.

IT

Medien

Metall

Naturw.

Produk.

Sozial.

Technik

Verkehr

Verw.

Wirts.

Stellenanzeigen in Zeitungen/Zeitschriften

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

-

17

83

-

32

68

-

17

83

-

16

84

-

28

72

-

34

66

2

15

83

2

26

72

-

28

72

4

22

74

2

17

81

1

23

76

Stellenanzeigen auf der Unternehmenswebsite

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

3

20

77

-

37

63

-

9

91

2

12

86

1

12

87

-

32

68

8

34

58

3

44

53

6

12

82

6

18

76

3

17

80

-

9

91

Stellenanzeigen in Online-Jobportalen

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

2

26

72

1

48

51

1

18

81

-

16

84

2

45

53

2

41

57

4

29

67

5

38

57

4

50

46

6

35

59

3

30

67

3

32

65

Stellenangebote in Online-Communities

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

19

54

27

27

57

16

7

46

47

12

52

36

20

57

23

13

66

21

33

44

23

23

61

16

18

60

22

18

41

41

22

53

25

20

47

33

Online-Planspiele

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

29

64

7

35

57

8

20

63

17

31

64

5

29

63

8

17

81

2

35

56

9

29

67

4

38

54

8

32

61

7

29

59

12

26

66

8

Vorträge und Firmenpräsentationen

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

9

57

34

10

63

27

3

50

47

4

55

41

2

48

50

2

60

38

19

48

33

4

62

34

10

56

34

9

54

37

4

56

40

5

42

53

Kontakte/Kooperationen von Unternehmen zu Lehrern/Dozenten

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

11

58

31

6

70

24

5

44

51

-

59

41

4

46

50

2

55

43

25

42

33

4

63

33

6

48

46

7

50

43

7

52

41

4

46

50

Personalmessen

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

9

60

31

8

67

25

3

57

40

5

66

29

7

59

34

-

83

17

16

67

17

9

73

18

12

48

40

6

70

24

9

62

29

3

50

47

Karrierebroschüren/ Imageanzeigen

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

9

49

42

8

59

33

5

41

54

2

50

48

5

42

53

2

68

30

19

50

31

6

63

31

14

46

40

11

39

50

9

46

45

5

37

58

Firmenrankings/ Auszeichnungen

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

23

62

15

22

68

10

11

63

26

20

69

11

19

54

27

15

76

9

33

54

13

22

71

7

22

58

20

17

66

17

19

60

21

14

63

23

(Inhouse) Bewerbertage

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

11

61

28

13

64

23

8

60

32

5

81

14

8

62

30

13

78

9

15

58

27

11

74

15

16

50

34

11

56

33

10

64

26

9

61

30

Roadshows

nicht bekannt

bekannt, nicht genutzt

genutzt

27

64

9

29

63

8

15

69

16

16

77

7

25

60

15

19

74

7

38

56

6

28

63

9

30

64

6

30

61

9

31

62

7

21

67

12

Anmerkung: Die Bewerbergruppen sind: Dienstleistung (n = 222), Gesundheit (n = 79), IT (n = 157), Medien, Kunst & Gestaltung (n = 56), Metall & Maschinenbau (n = 101), Naturwissenschaften(n = 53), Produktion & Fertigung (n = 52), Soziales & Pädagogik (n = 174), Technik & Elektronik (n = 50), Verkehr & Logistik (n = 54), Verwaltung (n = 108), Wirtschaft (n = 199).

Tabelle 4:   Bewertung gängiger Personalmarketingwege in Abhängigkeit von der Berufsgruppe

Dienstl.

Gesund.

IT

Medien

Metall

Naturw.

Produk.

Sozial.

Technik

Verkehr

Verw.

Wirts.

Stellenanzeigen in Zeitungen/Zeitschriften

M

3.89

4.18

3.73

3.93

3.88

4.00

4.18

4.05

3.96

4.08

3.96

3.93

SD

0.98

0.75

1.06

0.91

0.96

0.96

0.74

0.78

1.03

0.76

0.95

1.00

Stellenanzeigen auf der Unternehmenswebsite

M

3.93

3.90

4.08

3.95

3.39

3.90

3.92

3.85

3.73

3.96

3.92

3.81

SD

0.85

0.76

0.84

0.75

0.91

0.82

0.68

0.80

0.64

0.76

0.69

0.77

Stellenanzeigen in Online-Jobportalen

M

3.55

3.75

3.29

3.43

3.67

3.69

3.71

3.66

3.78

3.71

3.77

3.83

SD

1.00

1.00

0.97

0.94

1.10

0.93

0.97

0.99

1.01

0.98

0.88

1.14

Stellenangebote in Online-Communities

M

2.92

2.76

3.27

3.08

2.63

2.70

2.86

2.61

2.83

3.05

2.76

2.84

SD

1.16

1.03

1.18

1.11

1.21

1.09

0.97

0.99

1.00

0.94

1.22

1.12

Online-Planspiele

M

2.44

2.25

2.43

2.62

2.21

2.20

2.21

2.15

2.48

2.73

2.48

2.38

SD

1.17

1.11

1.17

1.27

1.05

1.09

1.09

1.10

1.26

1.33

1.18

1.16

Vorträge und Firmenpräsentationen

M

3.55

3.75

3.29

3.43

3.67

3.69

3.71

3.66

3.78

3.71

3.77

3.83

SD

1.00

1.04

1.12

1.18

0.93

1.06

1.07

1.04

0.97

1.06

0.87

0.99

Kontakte/Kooperationen von Unternehmen zu Lehrern/Dozenten

M

3.70

3.77

3.48

3.88

3.71

4.13

3.74

3.99

3.83

3.64

3.74

3.82

SD

1.02

1.09

1.15

0.99

1.06

1.14

1.07

1.06

1.07

1.16

1.06

1.02

Personalmessen

M

3.44

3.30

3.09

2.98

3.47

3.23

3.25

3.07

3.59

3.33

3.43

3.63

SD

1.07

1.02

1.12

1.13

1.00

0.97

1.28

1.12

1.09

1.19

1.05

0.95

Karrierebroschüren/Imageanzeigen

M

3.18

3.22

3.09

3.27

3.30

2.98

3.26

3.01

3.37

3.40

3.18

3.51

SD

1.05

1.04

1.01

0.89

0.97

1.02

1.08

1.12

1.05

1.16

1.00

1.01

Firmenrankings/Auszeichnungen

M

2.90

3.13

2.81

2.91

3.39

3.00

3.09

2.93

3.00

2.84

3.13

3.21

SD

1.10

1.05

1.04

1.08

1.11

1.22

1.12

1.16

1.08

1.17

1.12

1.07

Inhouse Bewerbertage

M

3.34

3.36

3.28

3.49

3.61

3.02

3.61

3.25

3.48

3.56

3.53

3.49

SD

1.05

1.21

1.22

0.87

1.05

1.02

1.10

1.15

0.86

1.13

1.12

1.12

Roadshows

M

2.48

2.38

2.67

2.28

2.58

2.19

2.72

2.30

2.51

2.63

2.65

2.62

SD

1.04

1.14

1.04

0.97

1.16

1.07

0.92

1.03

0.95

1.00

1.05

1.06

Offline- vs. Online-Personalmarketing

Präferenz offline in %

16

29

13

12

24

24

21

30

17

12

25

28

Neutral in %

23

26

24

27

29

33

42

31

21

31

22

26

Präferenz online in %

61

45

63

61

47

43

37

39

62

57

53

46

Anmerkung: Die Bewertungsskala reichte von 1 („spricht mich gar nicht an“) bis 5 („spricht mich sehr an“), ausgenommen die Präferenzabfrage (letzte Zeile). Die Bewerbergruppen sind: Dienstleistung (n = 222), Gesundheit (n = 79), IT (n = 157), Medien, Kunst & Gestaltung (n = 56), Metall & Maschinenbau (n = 101), Naturwissenschaften (n = 53), Produktion & Fertigung (n = 52), Soziales & Pädagogik (n = 174), Technik & Elektronik (n = 50), Verkehr & Logistik (n = 54), Verwaltung (n = 108), Wirtschaft (n = 199). Personen, die angaben eine Maßnahme nicht zu kennen (siehe Tabelle 3) bewerteten dabei diese jeweilige Maßnahme nicht, was die Stichprobengröße an einzelnen Stellen entsprechend reduziert

So könnte beispielsweise ein Mangel von Stellen in einem Berufsbereich zu einer breiter angelegten Nutzung vielfältiger Personalmarketingmaßnahmen führen, während ein Fachkräftemangel direkte Ansprachewege der potentiellen Bewerber durch die Unternehmen begünstigen mag. Hier spezifische Kausalitäten aufzuzeigen war allerdings nicht Ziel unserer Studie und im gegebenen Rahmen nicht umsetzbar. An dieser Stelle bedarf es berufsgruppenspezifischer Forschungsansätze, die entsprechende Kausalmodelle prüfen. Die vorliegende Studie zeigt aber generell an mehreren Stellen Überlappungen zwischen verschiedenen Berufsgruppen (beispielsweise hinsichtlich der generellen Nutzung verschiedener Formen von Stellenanzeigen) und ermöglicht darüber hinaus an anderen Stellen eine zielgruppenspezifische Anpassung von Personalmarketingmaßnahmen oder die Ableitung spezifischer Hypothesen zu einzelnen Berufsgruppen.

5.1       Limitationen und zukünftige Forschung

Die vorliegende Studie muss unter der Einschränkung der möglicherweise fehlerhaften Selbstauskunft in der Rückschau gesehen werden. Manche Probanden könnten ihre Zufriedenheit mit einer bestimmten Personalmarketingmaßnahme zum Zeitpunkt unserer Untersuchung anders eingeschätzt haben als sie zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich war. Die Ergebnisse bauen zudem auf einer sehr großen, aber nicht vollständig repräsentativ geschichteten Stichprobe auf. Durch die Stichprobenziehung über zwei Online-Befragungspanel ist aber eine heterogen zusammengesetzte Stichprobe gewährleistet und Selbstselektionseffekte sollten deutlich geringere Effekte haben als bei einem reinen convenience sample.

Weiterhin ist eine Anwendung der Ergebnisse nur auf die Berufsgruppen möglich, für die eine ausreichend große Stichprobe vorlag – in der vorliegenden Studie konnten 12 Gruppen näher analysiert werden. Somit fehlen Erkenntnisse zu anderen Berufsgruppen wie beispielsweise Personen im Agrarsektor. Weitergehende bereichsspezifische Forschung mag daher in einzelnen Berufen notwendig sein. Auch gibt es spezifische Berufsgruppen, die spezielle Ansprachewege erfordern (z. B. höhere Führungskräfte), diese waren aber nicht das Ziel unserer Analyse. Hier sind vermutlich weniger Branchen- als vielmehr positionsspezifische Effekte im Personalmarketing zu erwarten.

Generell ist als Limitation unserer Ergebnisse hinsichtlich der Nutzung einzelner Personalmarketingwege grundsätzlich zu bedenken, dass eine geringen Nutzung nicht automatisch bedeutet, dass die Bewerber eine Maßnahme nicht annehmen, sondern dass diese womöglich seltener oder gar nicht zum Einsatz kommt. Aus der hohen Bekanntheit fast aller Maßnahmen lässt sich nur indirekt auf eine weite Verbreitung der verschiedenen Ansprachewege schließen. Auch wenn womöglich eine geringe Verwendung der Methoden diesen Effekt bedingen könnte – die Bewertungen der Befragten, die die entsprechenden Personalmarketingwege kannten, zeigt, dass einzelne (wie bspw. Online-Planspiele oder Roadshows) vergleichsweise schwerer gangbar sind oder zukünftig optimiert werden müssen.

Darüber hinaus hat die Stichprobe ein Durchschnittsalter, das von dem der deutschen Gesamtpopulation abweicht. Das relativ niedrige Alter ist aber konsistent mit der schon zuvor bekannten Tatsache, dass Personen, die Arbeitsstellen über das Internet suchen im Durchschnitt drei Jahre jünger sind. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die Internetzugangsquote bei Jüngeren höher ist als bei Älteren (Grund, 2006), zudem dürften auch in der Praxis potenzielle Bewerber eher jünger als der Bevölkerungsdurchschnitt sein. Die Gründe hierfür liegen in einem hohen Anteil von Bewerbungen auf Ausbildungsplätze und einer höheren Fluktuation jüngerer Mitarbeiter (Schmook, 2006). Die vorliegende Studie deckt viele Personen ab, die sich noch im Ausbildung befinden bzw. deren Berufseinstieg bevor steht. Hierin könnte man einerseits eine Limitation sehen – andererseits ist gerade diese Personengruppe sehr stark mit dem Thema Bewerbungen konfrontiert.

Nicht unerheblich mag zudem zunächst die Tatsache erscheinen, dass die Befragten ausschließlich über das Internet geworben wurden. Allerdings ist der Anteil der Online-Nutzung in Deutschland in den letzten Jahren konstant gestiegen und liegt inzwischen bei gut 73 Prozent der Gesamtbevölkerung, in den Altersgruppen von 14 bis 49 Jahren sogar zwischen 91 und 100 Prozent (van Eimeren & Frees, 2011). Die stetig kleiner werdende Gruppe von Personen, die keinen Internetzugang haben, bleibt in der vorliegenden Studie unberücksichtigt. Dies dürfte im Hinblick auf die praktischen Implikationen unserer Studie jedoch nicht nur mit Blick auf die hohen Online-Nutzungsanteile in der deutschen Bevölkerung ohne größere Bedeutung sein, da entsprechende Offline-Personengruppen zudem aus Sicht der Wirtschaft meist weniger zur Zielgruppe des Personalmarketings gehören.

Eine letzte Einschränkung ergibt sich durch die Schnelllebigkeit, die in manchen technischen Bereichen herrscht. Unsere Ergebnisse beziehen sich auf die Online-Rekrutierungsmaßnahmen in der Form, in der sie zum Zeitpunkt der Datenerhebung vorlagen. Inwiefern sie auf zukünftige Varianten beziehungsweise neue Maßnahmen anwendbar sind, ist nicht absehbar. Daher bedarf es bei Einführung neuer Instrumente oder Technologien im Personalmarketing entsprechend weitergehender Forschung.

5.2       Praktische Implikationen und Fazit

Die vorliegende Studie schließt die Lücke eines umfassenden Vergleiches des Raums verschiedener möglicher Personalmarketingmaßnahmen aus Sicht potenzieller Bewerber. Insgesamt lässt sich aus unserer Untersuchung für die Praxis ableiten, dass durch die meisten untersuchten Personalmarketingmaßnahmen zwar eine breite Ansprache verschiedener Zielgruppen möglich ist, manche Maßnahmen jedoch für einzelne Berufsgruppen weniger ansprechend sind. Dabei unterscheiden sich einzelne Berufsbereiche insbesondere hinsichtlich der Nutzung verschiedener Online- und Offline-Methoden. Des Weiteren stimmen die Angaben der Befragten in der vorliegenden Studie mit denen von Allen et al. (2007) darin überein, dass sich Rekrutierungsmaßnahmen auf das Unternehmensimage auswirken. Dabei kommt in einer Zeit des demographischen Wandels, in der mit einer zunehmenden Verknappung qualifizierter Arbeitskräfte zu rechnen ist, dem Personalmarketing eine stetig wachsende Bedeutung zu. Unternehmen und Behörden sind gut beraten, wenn sie in Zukunft mehr in ein gezieltes Personalmarketing investierten. Für die meisten Berufsgruppen gilt zwar, dass Online-Ansprachen potenzieller Bewerber zunehmend an Bedeutung gewinnen, nicht jede denkbare und innovative Maßnahmen repräsentiert aber für jede Zielgruppe auch immer eine effiziente Strategie.

Aus der Sicht eines Unternehmens können unsere Ergebnisse mehrere Anregungen zur Planung und Durchführung eigener Personalmarketingmaßnahmen liefern. (1) Grundsätzlich bietet es sich an, über einen verstärkten Einsatz onlinegestützter Verfahren nachzudenken. Für Großunternehmen ist dies seit langem eine Selbstverständlichkeit. Kleine und mittelständige Unternehmen sollten sich durch unsere Ergebnisse ermuntert sehen, es ihnen gleich zu tun. (2) Da die diversen Methoden von verschiedenen Berufsgruppen zum Teil sehr unterschiedlich genutzt und bewertet werden, sollte man Maßnahmen gezielt für die jeweils interessierende Berufsgruppe auswählen. Für ein Großunternehmen, das naturgemäß viele unterschiedliche Berufsgruppen beschäftigt, bedeutet dies, dass man parallel mehrere Methoden zielgruppenspezifisch akzentuieren muss, während Kleinunternehmen ihre Bemühungen von vornherein fokussieren können. (3) Die Bewertung einer Personalmarketingmaßnahme korreliert positiv mit ihrer Bekanntheit. Möglicherweise werden bestimmte Methoden im Wesentlichen deshalb positiv bewertet, weil sie bekannt sind. Hierfür spricht der aus der Werbepsychologie bekannte „Mere-exposure“-Effekt (vgl. Felser, 2007; Zajonc, 1968), der besagt, dass Produkte von Kunden mit zunehmender Vertrautheit positiver erlebt werden. Dies wiederum bedeutet, dass man die Bewertung bzw. die Nutzung bestimmter Personalmarketingmaßnahmen als Unternehmen beeinflussen kann. Eine an sich wenig bekannte, kaum genutzte und nur mäßig bewertete Methode wie das Online-Planspiel würde möglicherweise zu einem effektiven Instrumentarium des Personalmarketings reifen, wenn die Anwender sie offensiver zum Einsatz bringen würden (z. B. über einen bundesweiten Wettbewerb bei dem man die besten Planspieler medienwirksam auszeichnet). Auf diesem Wege könnte man der für das Marketing so wichtigen Suche nach dem „Alleinstellungsmerkmal“ entsprechen. In diesem Falle wäre das „Alleinstellungsmerkmal“ jedoch nicht zu suchen, sondern aktiv zu kreieren. Dies dürfte insbesondere für Großunternehmen eine interessante Perspektive sein. (4) Jede der von uns untersuchten Methoden bietet Gestaltungsspielräume. Wenn eine bestimmte Methode bei einer spezifischen Zielgruppe weniger Anklang findet, so kann dies von den Verantwortlichen in den Unternehmen auch als Anregung zur tiefer gehenden Exploration verstanden werden. Über Befragungen potentieller Bewerber aus der interessierenden Zielgruppe könnte man z. B. herausfinden, wie sich Personalmessen verändern müssen, damit sie potenzielle Bewerber aus dem Bereich Produktion & Fertigung besser ansprechen. Gleiches gilt etwa für die Gestaltung von Karrierebroschüren und Imageanzeigen für den Bereich Technik und Elektronik. Unsere Ergebnisse vermitteln einen ersten Eindruck davon, an welcher Stelle man mit einer sollten Strategie zur Veränderung des Marketing ansetzen sollte. Letztlich geht es bei einem erfolgreichen Personalmarketing mithin nicht nur um die Auswahl einer bestimmten Methode, sondern auch um die zielgruppenspezifische Ausgestaltung derselben.

6       Literatur

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Korrespondenzadresse:

Dr. Meinald T. Thielsch
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Institut für Psychologie
Fliednerstraße 21
D-48149 Münster
GERMANY
thielsch@uni-muenster.de

Editorial

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Personalpsychologische Fragestellungen und deren empirische Befunde haben vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (z. B. Achouri, 2010; Kühlmann & Stahl, 2001), der zunehmenden Knappheit qualifizierter Bewerber (Fachkräftemangel) sowie der Digitalisierung der Arbeitswelt (z. B. DGFP, 2011; Steiner, 2009) in Wissenschaft und Praxis an Bedeutung gewonnen. Aktuelle Herausforderungen für Wirtschaftspsychologen bestehen darin, auf diese Veränderungen zu reagieren und der Praxis fundierte Handlungsempfehlungen zu bieten. Themen wie etwa die Bindung von Mitarbeitern an Unternehmen, der Aufbau eines attraktiven Arbeitgeberimages (Employer Branding) sowie die Überprüfung der Effektivität und Effizienz von Recruting-Kanälen zur Ansprache neuer Mitarbeiter sind im Zuge der Veränderungen zu behandeln (Weitzel, Eckhardt, Maier, Laumer, von Stetten & Guhl, 2012).

Betrachtet man aktuelle Befragungen, so wird ebenfalls deutlich, dass das Personalmanagement in Unternehmen vor komplexen Aufgaben steht, die vor allem auf die Gewinnung neuer Mitarbeiter und den Erhalt bestehender Mitarbeiter gerichtet sind: Laut einer aktuellen Umfrage im deutschen Mittelstand wollen 91% der 1000 befragten Unternehmen dieses Jahr neue Mitarbeiter einstellen, gehen aber gleichzeitig davon aus, dass jede zweite Stelle nur mit großem Aufwand zu besetzen ist oder unbesetzt bleiben wird (Weitzel, Eckhardt, Maier, Laumer, von Stetten & Guhl, 2012).

Die vorliegende Ausgabe des Journal of Business and Media Psychology befasst sich mit fünf aktuellen wirtschaftspsychologischen Fragestellungen rund um das Thema der Personpsychologie: Die Akzeptanz herkömmlicher und neuer Recrutierungswege seitens Bewerber, die Bedeutung von Intelligenztests und persönlichkeitsspezifischen Konstrukten, wie des organisationsbezogenen Selbstwertes und deren Messmöglichkeiten, die Bedeutung der Organisationskultur, ihre Messmöglichkeit und Veränderung anhand einer deutschen Skala sowie die Bedeutung von Kunstsponsoring als Mittel zur Gestaltung des Unternehmensimages. Damit widmet sich die aktuelle Ausgabe des JBMP einigen wesentlichen der bisher angesprochenen personal- und organisationspsychologischen Handlungsfeldern. Die Autoren der folgenden Beiträge bieten Ursachenanalysen, Erklärungsansätze und Lösungsansätze für die Themen:

(1) Personalmarketing aus Bewerbersicht: Nutzung und Bewertung von Meinald T. Thielsch, Lisa Träumer, Leoni Pytlik & Uwe Peter Kanning

(2) Organization-based self-esteem scale – adaptation in an international context von Uwe Peter Kanning & Anka Hill

(3) Misst gut, ist gut? Vergleich eines abstrakten und eines berufsbezogenen Matrizentests von Nils Benit & Renate Soellner

(4) Organisationskultur im Competing Values Model: Messeigenschaften der deutschen Adaption des OCAI von Micha Strack

(5) Art and Environmental Sponsoring as Corporate Image Tools: Chances, Limits, and the Role of Thematic Fit von Deborah Schnabel & Katja Mierke

Literatur

Achouri, C. (2010). Recruiting und Placement. Methoden und Instrumente der Personalauswahl und –platzierung (2. Aufl.). Wiesbaden: Gabler.

DGFP (2011). DGFP Studie: Megatrends und HR Trends. Verfügbar unter: http://static.dgfp.de/assets/empirischestudien/2011/DGFP-Studie-Megatrends.pdf.

Kühlmann, T. M. & Stahl, G. K. (2001). Problemfelder des internationalen Personaleinsatzes. In H. Schuler (Hrsg.). Lehrbuch der Personalpsychologie (S. 533-557). Göttingen: Hogrefe.

Weitzel, T., Eckhart, A., Maier, C., Laumer, S., von Stetten, A. & Guhl, E. (2012). Recruiting Trends im Mittelstand 2012. Verfügbar unter: http://media.newjobs.com/dege/redaktion/Recruiting%20Trends%20Mittelstand%202012%20Zusammenfassung.pdf.

Gesamtausgabe 1 – 2012

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Die Gesamtausgabe 1- 2012 kann hier in eine pdf-Datei heruntergeladen werden.

Editorial

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Mit der stetig weiter wachsenden Verbreitung von Internet und sozialen Netzwerken als gesamtgesellschaftlichen Kommunikations-plattformen geht eine zunehmende Verzahnung medienpsychologischer Fragestellungen mit klassischen Themen der Wirtschaftspsychologie einher: Einerseits nutzen Unternehmen selbstverständlich unterschiedliche Medien zur gezielten Außenkommunikation. Andererseits wirken Mediendarstellungen sich auf die Urteilsbildung und Selbstwahrnehmung ihrer Rezipienten aus, die wiederum das Verhalten in ihrer Rolle als Mitarbeiter wie auch als Konsument maßgeblich beeinflussen. An diesen Schnittstellen entsteht insgesamt ein interessantes Feld von Wechselwirkungen, das neue Fragestellungen aufwirft und gerade die angewandte psychologische Forschung in besonderer Weise herausfordert. Dies gilt in besonderer Weise für soziale Netzwerke, in denen die Rezipienten von Inhalten zugleich diese Inhalte interaktiv mitgestalten.

Die Zusammenstellung der Beiträge im aktuellen Heft spiegelt die Bandbreite und Vielfalt dieses Spannungsfelds wider: Welche Reichweite und Relevanz mediale Außendarstellung für die proaktive Personalgewinnung und bewusste Ausgestaltung von Unternehmenskulturen haben kann, wurde im ersten Beitrag zu Gender and Diversity Management experimentell untersucht. Eine neue Form der strategischen Unternehmens- und Markenkommunikation jenseits von Websites und Marketingbroschüren stellen Brand Pages auf Facebook dar. Der Artikel von Höhnisch und Strack belegt, dass Brand Pages messbare Effekte auf die Konstruktion des Selbstkonzepts von Facebook-Mitgliedern haben, die sich mit dieser Brand Page verlinkt haben und so eine Annäherung zwischen Selbst und Markenpersönlichkeit hervorrufen können.

Ein einzigartiger Aspekt der Informations-vermittlung über soziale Netzwerke entsteht durch dynamische Feedbackschleifen, wie sie beispielsweise in Form von sichtbaren „Like“- und „Dislike“-Urteilen umgesetzt sind. Dass viele „Likes“ klassische Konformitätseffekte bei weiteren Empfängern auslösen und so schnell zum Selbstläufer werden können, demonstriert ein Experiment von Bak und Keßler im dritten Beitrag dieser Ausgabe.

Schließlich freuen wir uns besonders, auch in dieser Ausgabe zwei Absolventenbeiträge präsentieren zu dürfen: Mediale Darstellungen wirken nicht nur auf die Wahrnehmung von Unternehmen und anderen Stimuli, sondern auch auf die Selbstwahrnehmung der Empfänger. Diesen Aspekt greifen Kraus und Hahnzog auf und belegen in ihrer Studie, dass auch hier selbsterfüllende Prophezeiungen entstehen und Medien zumindest subjektive Realitäten erschaffen können – wenn nämlich die mediale Präsenz eines Themas wie Burnout die subjektive Einschätzung der eigenen Burnoutgefährdung verändert.

Die Studie von Brailovskaia und Bierhoff befasst sich mit der Schnittstelle von Medien- und Differenzieller Psychologie und zeigt systematische Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsfaktoren wie Sensation Seeking und der Selbstdarstellung von Teilnehmern sozialer Netzwerke auf.

Wir hoffen, dass das vorliegende Heft mit diesen Beiträgen einen interessanten Überblick über einige aktuelle Fragestellungen an der Schnittstelle von Wirtschafts- und Medienpsychologie gibt.

Mir gefällt’s, wenn’s euch gefällt! Konformitätseffekte bei Facebook

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1 Einführung

Wir alle gehören mehr oder weniger vielen Gruppen an, sei es in organisierter (Verein) oder in eher informeller Form (Freundeskreis). Und als Gruppenmitglieder neigen wir zu Konformität, d. h., wir passen uns mit unseren Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen den jeweiligen Gruppen an. Seit den klassischen Experimenten von Sherif (1936) und Asch (1956) gehört diese Erkenntnis zum psychologischen Allgemeinwissen (siehe auch z.B. Cialdini & Goldstein, 2004). Konformitätsprozesse in Kleingruppen sind bei Berücksichtigung unseres Motivs nach Zusammengehörigkeit einerseits, sozialer Abgrenzung andererseits durchaus als funktional zu bezeichnen. Innerhalb einer Gruppe wächst nämlich durch die Wahrnehmung der gleichen Meinungen der Zusammenhalt, die Leistung wird besser und die Zufriedenheit steigt (siehe dazu auch Kerr & Tindale, 2004). Mit anderen Worten, wahrgenommene Konformität führt zu einem Gefühl von Zusammengehörigkeit und Akzeptanz. Als Mitglied einer Gruppe nimmt man sich jedoch auch als Nicht-Mitglied einer anderen Gruppe wahr (Turner, Oakes, Haslam & McGarty, 1994), womit dem Bedürfnis nach Individualität und Identität Rechnung getragen wird. Was aber bedeutet es, wenn wir nicht mehr nur Kleingruppen betrachten, sondern größere Gruppen? Die Theorie der Schweigespirale (z. B. Noelle-Neumann, 1980) postuliert etwa Konformitätsprozesse gar auf gesellschaftlicher Ebene. Weil niemand mit seiner abweichenden Meinung alleine dastehen möchte, setzt sich nach und nach die angenommene Mehrheitsmeinung durch. Diese Annahme gewinnt unter einer ganz anderen Perspektive Bedeutung. Sofern wir Mitglied eines sozialen Netzwerkes wie Facebook sind, sind wir vermutlich Mitglied einer ziemlich großen Gruppe.
So hat jeder zweite Facebook-Nutzer mehr als 100 Freunde (Ugander, Karrer, Backstrom & Marlow, 2012). Damit stellt sich die interessante Frage, welche Auswirkungen ein so großer Freundeskreis auf unsere Bewertungen und Meinungen hat. Bedenkt man, dass Facebook mittlerweile fast eine Milliarde Nutzer hat (allfacebook.de, 2012), ist diese Frage nicht nur aus theoretischer Perspektive von Bedeutung, sondern auch von erheblich gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Brisanz. Im Folgenden möchten wir zunächst kurz auf verschiedene Ansätze zur Erklärung von Konformitätsphänomenen eingehen, bevor wir uns dann der Frage nach möglichen Konformitätseffekten bei Facebook zuwenden. Anschließend werden wir unsere Hypothesen vorstellen und näher auf die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung eingehen.

2 Konformität in Kleingruppen

Es lassen sich zahlreiche Theorien zur Erklärung von Konformitätsprozessen nennen. Manche konkurrieren miteinander, andere ergänzen sich, aber keine vermag es, die Vielzahl an Phänomenen befriedigend und umfassend zu erklären (Erb & Bohner, 2002). Wir möchten im Folgenden näher auf die Theorie der Selbstkategorisierung von Turner (1991), die Überlegungen zum informationellen und normativen Einfluss von Deutsch und Gerard (1955) und persuasionstheoretische Überlegungen (Petty & Cacioppo, 1986) eingehen, die aus unserer Sicht am besten zum Gegenstandsbereich der vorliegenden Arbeit passen.

2.1 Selbstkategorisierung

Turner (1991) geht in seiner Selbstkategorisierungstheorie zunächst davon aus, dass bestimmte Einstellungen und Meinungen zu definierenden Merkmalen einer speziellen Gruppe gehören (z.B. Linke, Rechte, Fanclub von Borussia Dortmund). Dementsprechend wird von den Mitgliedern der Gruppe Konsens bezüglich dieser Einstellungen und Meinungen erwartet. Je ähnlicher wir uns zu den anderen Gruppenmitgliedern wahrnehmen, desto stärker ist auch unser Konformitätsbedürfnis. Nehmen wir Einstellungsdifferenzen wahr, so können diese durch eine Einstellungsänderung beseitigt werden. Der Gruppeneinfluss ist dabei umso größer, je eher es einer Gruppe gelingt, subjektive Unsicherheit zu reduzieren. Auch Prozesse der Informationsverarbeitung bzw. -bewertung spielen hierbei eine große Rolle. So konnten Erb, Bohner, Schmilzle und Rank (1998) zeigen, dass die Zustimmung zu einer Botschaft dann positiver ausfiel, wenn die Botschaft als Mehrheitsmeinung deklariert war. Wurde die gleiche Botschaft dagegen als Minderheitenmeinung gekennzeichnet, fand sie weniger Zustimmung.

2.2 Informationeller und normativer Einfluss

Mit Deutsch und Gerard (1955) können wir zwischen normativer und informationeller Konformität unterscheiden. Informationelle Konformität entspricht in etwa dem, was wir in Quizsendungen wie „Wer wird Millionär“ erleben, wenn der Kandidat sich unsicher ist und auf den Publikumsjoker setzt, also sich auf die Mehrheitsmeinung verlässt. Es geht dabei um den Wunsch, die Welt in korrekter Weise zu interpretieren. In Fällen eigener Unsicherheit wird die Mehrheitsmeinung dann als zuverlässiger bewertet (siehe dazu auch Cialdini & Goldstein, 2004). Wir handeln dann nach dem Prinzip der sozialen Bewährtheit (Cialdini, 2009). Normative Konformität erwächst dagegen aus dem sozialen Bedürfnis, von anderen positiv bewertet zu werden. In diesen Fällen verhalten wir uns auch dann konform, wenn wir zwar nicht unsicher sind, aber uns die Bewertung einer attraktiven oder sympathischen Person wichtig ist oder wenn wir unsere Meinung öffentlich kundtun müssen (Cialdini & Goldstein, 2004).

2.3 Persuasionstheoretische Ansätze

Konformitätsverhalten hängt auch davon ab, wie das Individuum einstellungsrelevante Informationen verarbeitet. Wie etwa im Elaboration-Likelihood-Modell von Petty und Cacioppo (1986) beschrieben, hängt die Einstellungsänderung auch davon ab, wie die Qualität der vorgetragenen Argumente ist und mit welchem kognitiven Aufwand diese dann verarbeitet werden (einen Überblick dazu gibt Wood, 2000). Beschäftigt sich die Person intensiv mit den vorgetragenen Argumenten, so wird die persuasive Wirkung in erster Linie von der Qualität dieser Argumente abhängen. Ist der kognitive Aufwand dagegen gering, dann können auch periphere Hinweisreize wie Sympathie des Absenders oder die Art und Weise, wie dieser kommuniziert, Einfluss auf unsere Einstellung nehmen. Aus dieser Perspektive könnte man das „Like“-Zeichen in Facebook als peripheren Hinweisreiz interpretieren, der es den Nutzern ohne großen kognitiven Aufwand ermöglicht, eine Einstellung zu den präsentierten Inhalten einzunehmen. Die Nutzer würden in dem Fall auf eine sparsame Entscheidungsheuristik (siehe auch Keller, Bohner & Erb, 2000) zurückgreifen, ganz nach dem Motto: Mir gefällt’s, wenn’s euch gefällt!

3 Computergestützte Kommunikation und Konformität

Generell besteht Konsens darüber, dass die computergestützte Kommunikation (im Folgenden CMC) eine geringere Konformität bewirkt als eine face-to-face-Kommunikation. Dies wird vor allem auf die fehlende physische Präsenz der Kommunikanten zurückgeführt (Bordia, 1997). Aber auch online lässt sich die Neigung zu Konformität erhöhen, etwa wenn die soziale Anwesenheit anderer durch den Einsatz eines Live-Videos simuliert wird (Laporte, van Nimwegen & Uyttendaele, 2010) oder wenn die Probanden glauben, dass ihre Urteile öffentlich gefällt werden (Lee & Nass, 2002).
Rosander und Eriksson (2012) gingen in diesem Zusammenhang der Frage nach, ob Mitglieder einer Online-Community auch Konformitätseffekte zeigen. Dazu baten die Autoren ihre Probanden, online an einem Wissenstest teilzunehmen, dessen Aufgabenschwierigkeit variiert wurde. Während die Kontrollgruppe lediglich die Fragen mit den Antwortoptionen sah, wurde den Probanden der Experimentalgruppe ein manipuliertes Balkendiagramm präsentiert. Dort war zu sehen, wie andere Mitglieder ihrer Community geantwortet haben. Die Anzahl der simulierten Antworten wurde zwischen einer und 100 variiert. Dabei wurde eine falsche Antwort offensichtlich als Mehrheitsmeinung (z. B. 90 Personen) deklariert, um normativen Konformitätsdruck herzustellen. Es zeigte sich nun, dass sich die Teilnehmer der Experimentalgruppe stark an der Meinung der Mehrheit orientierten und signifikant häufiger die falschen Antworten der simulierten Mehrheit übernahmen als die Teilnehmer der Kontrollgruppe. Zudem wurde festgestellt, dass schwierige Aufgaben die Tendenz zur Konformität erhöhen. Schwierigkeit kann hier ganz im Sinne von Deutsch und Gerard (1955) als Unsicherheit verstanden werden, die informationelle Konformität nach sich zieht.

4 Facebook und Konformität

Bisher wird Konformität nur von wenigen Autoren direkt mit der Facebook-Nutzung in Verbindung gebracht (Egebark & Ekström, 2012; Zhao, Grasmuck & Martin, 2008). So kann gezeigt werden, dass der Gruppendruck bzw. -zwang (Gross & Acquisti, 2012; Krasnova, Hildebrand, Guenther, Kovrigin & Nowobilska, 2012; Subrahmanyam, Reich, Waechter & Espinoza, 2008) oder die in einer Gruppe herrschenden Normen (Cheung, Chiu & Lee, 2011) als Erklärung für die Anmeldung und Intensität der Facebook-Nutzung herangezogen werden können. Wie wir bereits angeführt haben, zeigt sich Konformität vor allem in öffentlichen Umgebungen (Cialdini & Trost, 1998). Und Facebook kann man – zumindest teilweise – als einen öffentlichen Raum bezeichnen (Zhao et al., 2008), in dem es dann auch soziale Normen einzuhalten gilt. Folgerichtig kann man dann auch bei der Facebook-Nutzung konformes Verhalten erwarten. Zwei Studien belegen diese Annahme. Egebark und Ekström (2012) finden etwa, dass tendenziell mehr Likes zu einem textbasierten Stimulus gemacht werden, wenn dieser zuvor bereits mit drei Likes versehen wurde im Vergleich zu einer Bedingung ohne Angaben von Likes. Eine andere Studie (Lewis, Gonzalez & Kaufman, 2012) ging der Frage nach, ob sich Facebook-Freunde gegenseitig ähnlicher machen oder diese Freundschaften auf Basis der Ähnlichkeit getroffen wurden. Als abhängige Variable diente der Geschmack verschiedener Unterhaltungsmedien. Es zeigte sich nun, dass Nutzer mit demselben Musik- und Filmgeschmack eher miteinander befreundet waren. Interessanterweise ergab sich bei Personen, die bevorzugt Indie- oder Alternative-Musik hören, ein entgegengesetzter Effekt. Diese Nutzer nehmen über Facebook den aktuellen Mainstream-Geschmack wahr, um sich schließlich noch stärker davon zu distanzieren.

5 Führt die Facebook–Nutzung zu konformen Bildbewertungen?

Ausgehend von den geschilderten Erkenntnissen und Studien, lässt sich die begründete Vermutung anstellen, dass Konformität auch im Kontext der Facebook-Kommunikation herzustellen ist. Dies sollte insbesondere dann der Fall sein, wenn die Person sich hinsichtlich der Bewertung aufgrund mangelnder Kenntnis des Stimulus unsicher ist (Deutsch & Gerard, 1955). Wir nehmen daher ganz im Sinne des Prinzips der sozialen Bewährtheit (Cialdini, 2009) an, dass die Bewertung eines Stimulus dann positiver ausfällt, wenn dieser durch eine simulierte Mehrheit in Form von Facebook-Likes unterstützt wird.

Hypothese 1 (H1a): Ein präsentierter Stimulus wird dann positiver bewertet, wenn er bereits über Facebook-Likes verfügt.

Hypothese 1 (H1b): Je mehr Likes der Stimulus hat, desto besser wird die Bewertung.

Weiter ist davon auszugehen, dass Personen, die Facebook häufig und intensiv nutzen, ein höheres Commitment (z. B. Rusbult, 1983) zu dem sozialen Netzwerk besitzen und daher eine noch stärkere Konformitätsneigung entwickeln sollten. Konkret erwarten wir, dass der Zusammenhang von Likes und Stimulusbewertung (wie in H1b formuliert) durch die Intensität der Facebook-Nutzung moderiert wird.

Hypothese 2 (H2): Bei Personen, die Facebook intensiv nutzen, ist der Zusammenhang zwischen der Likes-Anzahl und Stimulusbewertung stärker ausgeprägt als bei Personen, die Facebook weniger intensiv nutzen.

6 Methode

Zur Prüfung der Hypothesen wurde ein onlinebasiertes Experiment durchgeführt.

6.1 Stichprobe

An der Untersuchung nahmen insgesamt 797 Internetnutzer teil. Diese wurden bei Facebook, via E-Mail und in Internetforen rekrutiert. Ein Proband wurde wegen unrealistischer Angaben zur Sicherung der Datenqualität ausgeschlossen. Ferner wurden Probanden, die angaben, Facebook nicht zu nutzen für alle weiteren Analysen ausgeschlossen (n=139; 17.40%), da bei diesen Teilnehmern nicht zu klären ist, in welchem Maße sie mit Facebook vertraut sind und ob sie die Bedeutung der Facebook-Likes kennen oder nicht. Die verbleibenden Teilnehmer (N = 657) waren zwischen 13 und 65 Jahre alt (M = 24.88, SD = 6.80). Im Datensatz sind 461 weibliche und 196 männliche Probanden enthalten. 165 Probanden weisen ein abgeschlossenes Studium vor (25%). Über ein Drittel (36%) besitzt die allgemeine Hochschulreife (n = 236) und weitere 68 Probanden die Fachhochschulreife (10%). Zudem haben 83 Versuchspersonen (13%) eine abgeschlossene Lehre, 40 Probanden (6%) die mittlere Reife und 12 Teilnehmer (2%) den Hauptschulabschluss erreicht. Außerdem sind 42 Schüler (6%) und eine Person mit abgebrochener Schullaufbahn im Datensatz enthalten.

6.2 Messinstrumente und Material

Neben den hypothesenrelevanten Messinstrumenten wurden zu deskriptiven Zwecken auch noch Fragen zu den Motiven und der Form der Facebook-Nutzung gestellt.

6.2.1 Messung der Mediennutzung

Facebook-Motive und Art und Weise der Nutzung: Die Probanden wurden gebeten, aus einer Liste vorgegebener Motive und Aussagen solche anzukreuzen, die auf sie zutreffen. Mehrfachantworten waren möglich. Bei der Auswahl der Motive haben wir uns an den bisherigen Forschungsergebnissen orientiert (z. B. Joinson, 2008; Nadkarni & Hofmann, 2012).

Facebook-Nutzungsdauer: Es wurde auf eine kategoriale (Minimal = keine Nutzung, Maximal = über vier Stunden; Zwischenwerte 30-minütig abgestuft) Abfrage zurückgegriffen, um die Facebook-Nutzungsdauer zu bestimmen. Um genauere Einschätzungen zu ermöglichen, wurde die Nutzungsdauer an Werktagen und an Wochenendtagen separat erhoben.

6.2.2 Manipulation des Konformitätsdrucks durch Likes

Zur Herstellung des Konformitätsdruck wurde die Anzahl der Facebook-Likes experimentell manipuliert. Ein Stimulus wurde mit 7 (Experimentalgruppe EG1), 43 (EG2) oder 236 (EG3) Likes präsentiert. Außerdem wurden zwei Kontrollgruppen ohne Likes untersucht, um das Bildgefallen ohne Gruppendruck zu bestimmen. In der ersten Kontrollgruppe (KG1) wurde der Stimulus neutral und ohne Facebook-Kontext dargeboten, in der zweiten Kontrollgruppe (KG2) als Facebook-Beitrag, allerdings ohne Likes.

6.2.3 Messung der Konformität

Die Konformität wurde durch die Zustimmung zur Aussage, „Dieses Bild gefällt mir“, d. h. das Bildgefallen, auf einer 7-stufigen Skala (1 = stimme überhaupt nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu) gemessen. Das Item spiegelt somit die inhaltliche Bedeutung des „Like“-Buttons wider.

6.2.4 Stimulus

Als zu bewertender Stimulus wurde sowohl in den Experimental- als auch den Kontrollbedingungen ein identisches Bild präsentiert. Das interpretationsoffene Bild zeigt eine graue Hintergrundfläche mit weißen Kratzern. Abbildung 1 zeigt den Stimulus in einer beispielhaft ausgewählten Versuchsbedingung.

Abb1_FB Abbildung 1: Beispiel des präsentierten Stimulus in der EG1.

6.3 Ablauf des Online-Experiments

Die rekrutierten Probanden konnten über einen Link auf das Online-Experiment zugreifen. Zu Beginn wurden die Versuchspersonen über den Ablauf der anonymen Befragung informiert. Nach einer kurzen Instruktion erfolgte die Abfrage der demographischen Merkmale und der Facebook-Nutzung. Anschließend wurden die Probanden den einzelnen Versuchsbedingungen zur Erzeugung des Konformitätsdrucks zufällig zugeordnet.

7 Ergebnisse

7.1 Motive und Art der Facebook-Nutzung

Die insgesamt 657 Facebook-User haben im Durchschnitt 219 Facebook-Freunde (SD = 182.65; Min = 1, Max = 2059). Männer (M = 252, SD = 183.64) haben eine signifikant höhere Anzahl an Facebook-Freunden als weibliche Befragte (M = 206, SD = 180.68), t(655) = 2.98, p < .01. Die Mehrheit (92%) gestattet es nur Facebook-Freunden auf das eigene Profil zuzugreifen.

Die Intensität der Facebook-Nutzung wurde separat für einen Durchschnittstag unter der Woche und einen Durchschnittstag am Wochenende erhoben. Facebook wird sowohl an Werk- als auch Wochenendtagen relativ gleich lang verwendet. Die meisten Facebook-Nutzer loggen sich täglich einmal (n = 123; 19%), zweimal (n = 117; 18%) oder dreimal (n = 127; 19%) ein.

Die häufigste Art und Weise der Verwendung ist das Lesen von Statusmeldungen (n = 622; 95 %). Sehr beliebt ist zudem die Nachrichtenfunktion (n = 581; 88 %), der „Like“-Button (n = 561; 85 %) und das Kommentieren von Beiträgen (n = 520; 79 %). Insgesamt geben 499 Probanden an, bei Facebook zu chatten (76%) und 416 Befragte posten selbst aktiv Beiträge (63%) in Form von Bildern, Videos oder Statusmeldungen.

Was die Nutzenmotive anbelangt, so wird als häufigster Grund der Kontakt mit den Freunden genannt (n = 577; 88%). Weitere Motive sind, die Freunde auf dem Laufenden zu halten (n = 414; 63%) und, um zu beobachten, was andere Personen dort treiben (n = 404; 61%). Zeitvertreib wird von der Hälfte der Personen als Motiv genannt (n = 357; 54%). Über ein Drittel der Befragten gibt an, Facebook zu verwenden, um sich über verschiedene Dinge zu informieren (n = 325, 49%), da es heutzutage dazu gehört (n = 269; 41%) und da alle es nutzen (n = 254; 39%). Etwas unter ein Drittel der Probanden verwendet Facebook, weil es ihnen wichtig ist (n = 200; 30%) oder sie Angst haben etwas zu verpassen (n = 191; 29%).

7.2 Konformitätsdruck durch Facebook-Likes (H1a, H1b)

Zur Prüfung der Hypothese H1a wurden zunächst die Bewertungen (Konformitätsvariable) in den beiden Kontrollbedingungen sowie die in den drei Experimentalbedingungen zusammengefasst. Ein anschließender t-Test bestätigt unsere Annahme: Allgemein erhält ein Bild mit Likes bessere Bewertungen (M = 3.77, SD = 2.37) als ohne Likes (M = 2.73, SD = 1.72), t(655) = 6.00, p < .001.

Zur Prüfung der Hypothese H1b wurde anschließend ein Linearitätstest berechnet. Der Test ist sehr signifikant, F(1,652) = 35.33, p < .001. Wie aus Abbildung 2 ersichtlich, wird die Bewertung des Bildes mit zunehmenden Likes besser, womit auch Hypothese H1b bestätigt werden kann.

Abb2_FB
Abbildung 2: Verlauf der Mittelwerte des Bildgefallens (höhere Werte entsprechen größerem Bildgefallen) nach Versuchsgruppe.

7.3 Intensität der Facebook-Nutzung und Konformität (H2)

Zur Prüfung der Hypothese H2 wurde zunächst die Nutzungsintensität (Dauer) von Facebook ermittelt. Die separate Abfrage der Nutzungsdauer an einem durchschnittlichen Werk- bzw. Wochenendtag wurde zur ökonomischen und anschaulichen Analyse zusammengefasst und den Wochentagen entsprechend gewichtet. Grund hierfür ist, dass ein User, der Facebook an einem Durchschnittswerktag lange (z. B. bis zu 180 Minuten) und an einem Durchschnittswochenendtag nur kurz (z. B. bis zu 30 Minuten) verwendet, eher der Kategorie eines Intensivnutzers zuzuordnen ist als ein User, der Facebook an einem Durchschnittswerktag nur kurz (z. B. bis zu 30 Minuten) und dafür an einem durchschnittlichen Wochenendtag lange (z. B. bis zu 180 Minuten) nutzt. Der Verwendung an einem durchschnittlichen Werktag (5/7) wird daher mehr Bedeutung zugeschrieben als der Nutzung an einem durchschnittlichen Wochenendtag (2/7). Per Mediansplit wurden anschließend Geringnutzer (n = 329) von Intensivnutzern (n = 328) unterschieden. Eine univariate ANOVA für die Konformitätsvariable mit den Faktoren 5 Konformitätsdruck (KG1, KG2, EG1, EG2 und EG3) x 2 Facebook-Nutzung (keine/geringe vs. intensive Facebook-Nutzung) ergibt zunächst neben dem bereits bekannten Haupteffekt für Konformitätsdruck (siehe 7.2) einen Haupteffekt der Facebook-Nutzung, F(1,647) = 60.35, p < .001, η² = .09. Danach lassen sich positivere Bildbewertungen in der Gruppe der Intensivnutzer nachweisen. Darüber hinaus ist auch die Interaktion zwischen Facebook-Nutzung und Konformitätsdruck bedeutsam, F(4,647) = 11.99, p < .001, η² = .07. Wie aus Abbildung 3 ersichtlich, zeigt sich der erwartete Konformitätseffekt ausschließlich in der Gruppe der Intensivnutzer. Dieses Ergebnis bestätigt somit die Hypothese H2, wonach eine intensive Facebook-Nutzung zu einer stärkeren Konformitätstendenz führt. Gleichzeitig wird durch den ausbleibenden Konformitätseffekt bei Wenignutzern die Allgemeingültigkeit der Befunde zu den Hypothesen H1a und H1b in Frage gestellt.

Abb3_FB
Abbildung 3: Interaktion von Gruppendruck und Facebook-Nutzung zur Zustimmung des Bildgefallens (höhere Werte entsprechen größerem Bildgefallen).

7.4 Weitere Analysen: Facebook-Nutzung, Geschlecht und Konformität

In einer explorativen Analyse gingen wir noch der Frage nach, ob sich hinsichtlich der gefunden Konformitätseffekte Geschlechtsunterschiede ergeben. Dazu lassen sich unterschiedliche Vorhersagen treffen. Galten Frauen zunächst als beeinflussbarer als Männer (Allen & Levine, 1969; Gerard, Wilhelmy & Conolley, 1968; siehe auch Carli, 2001), legen neuere Ergebnisse aus dem Umfeld der CMC den Schluss nahe, dass Männer tendenziell beeinflussbarer sind als Frauen (Guadagno & Cialdini, 2007; Rosander & Eriksson, 2012). Der Übersichtlichkeit wegen haben wir für die nachfolgende Analyse zur Prüfung dieser Geschlechtseffekte die beiden Kontrollgruppen (KG1 und KG2) sowie die drei Experimentalgruppen (EG1, EG2, EG3) zusammengefasst (vgl. 7.2). Anschließend haben wir eine 2 Konformitätsdruck (ja vs. nein) x 2 Facebook-Nutzung (geringe vs. intensive) x 2 Geschlecht (weiblich vs. männlich) ANOVA für die Konformitätsvariable berechnet. Alle Effekte unter Beteiligung des Faktors Geschlecht sind bedeutsam: Der Haupteffekt Geschlecht, F(1,649) = 8.40, p < .01, η² = .01, die Interaktion zwischen Geschlecht und Konformitätsdruck, F(1,649) = 4.06, p < .05, η² = .01, sowie die Interaktion zwischen Geschlecht, Konformitätsdruck und Nutzungsintensität, F(1,649) = 6.33, p < .05, η² = .01. Wie aus Abbildung 4 zu erkennen ist, hat die über die Facebook-Likes simulierte Mehrheit insbesondere auf männliche Intensivnutzer eine verstärkende Wirkung auf die Konformität. Zwar ist auch bei weiblichen Intensivnutzern ein Anstieg in der Konformität, verglichen mit den Geringnutzern, festzustellen, dennoch fällt dieser Zuwachs viel geringer aus als bei männlichen Nutzern.

Abb4_FB

Abbildung 4: Dreifachinteraktion von Konformitätsdruck, Facebook-Nutzung und Geschlecht zur Zustimmung des Bildgefallens (höhere Werte entsprechen größerem Bildgefallen).

8 Diskussion

Konformität ist ein ubiquitäres Phänomen sozialer Gemeinschaften. Sie entspringt dem Wunsch nach Akzeptanz, nach Sicherheit und Gewissheit. Bisher wurden Konformitätsphänomene insbesondere in der Kleingruppenforschung beleuchtet. Die Forschungsergebnisse sind kaum zu überblicken, was auch darauf verweist, dass es an einer umfassenden und der Heterogenität der Befunde gerecht werdenden allgemeinen Theorie zum Wesen, Funktion und Bedingungen von Konformitätsprozessen mangelt (siehe dazu auch Erb & Bohner, 2002). Mit der vorliegenden Studie erweitern wir den Radius der Betrachtungen noch einmal. In unserem Fokus standen nicht reale, besser analoge Kleingruppen, sondern Facebook, quasi eine virtuelle, digitale Supergruppe. Facebook ermöglicht es uns, mit viel mehr Menschen als jemals zuvor Erfahrungen, Meinungen und Geschehnisse auszutauschen, genau so, wie wir es auch in unserem Freundeskreis machen, allerdings mit dem grundlegenden Unterschied, dass wir bei Facebook nicht mehr nur von fünf oder sechs Freunden sprechen, sondern womöglich von 200. Dazu kommt, dass die Selbstdarstellung ein wesentliches Merkmal der Facebook-Nutzung darstellt. So versuchen die meisten Nutzer ein möglichst positives Bild von sich zu vermitteln (Siibak, 2012) oder posten Beiträge, von denen sie sich eine gute Bewertung erhoffen (siehe dazu z. B. Donath, 2007). Aus diesen Umständen ergibt sich die Frage, ob die Nutzung sozialer Netzwerke allgemein und Facebook im Besonderen nicht zu Konformitätsprozessen führt, wie wir sie auch aus der Kleingruppenforschung kennen. Erste Hinweise auf solche Effekte lieferten erst kürzlich Egebark und Ekström (2012). Unsere Studie hatte das Ziel, die Konformitätsneigung bei der Beurteilung eines präsentierten Bildes zu überprüfen. Die Studie ergibt drei interessante Ergebnisse. Erstens finden wir einen deutlichen Konformitätseffekt. Ein Bild mit sichtbaren Likes wird von unseren Probanden positiver bewertet im Vergleich zu dem gleichen Bild ohne Likes. Zweitens: die Anzahl der Likes hat einen deutlichen Einfluss auf die Konformitätsneigung. Drittens: Männer, die Facebook intensiv nutzen tendieren zu einer stärkeren Konformität als Frauen. Die konformitätserzeugende Wirkung der Likes lässt sich jedoch einschränkend nur für Intensivnutzer von Facebook nachweisen. Was sagen uns diese Ergebnisse aus theoretischer Perspektive und aus praktischer Sicht?

8.1 Theoretische Einordnung der Befunde

Die Befunde lassen sich gut mit den Annahmen von Deutsch und Gerard (1955) erklären. Die Vorgabe eines interpretationsoffenes Stimulus, zu dem die Probanden zuvor noch keine Einstellung entwickeln konnten, führt zu Unsicherheit, die dadurch beseitigt werden kann, indem man sich dem Urteil anderer anschließt. Was wir mit unserer Studie demnach demonstrieren konnten ist, dass der Effekt der sozialen Bewährtheit (Cialdini, 2009) auch im Kontext von Facebook sehr wirksam ist. Und wie die Studie zeigt, wächst der Effekt mit zunehmender Anzahl von Likes noch an. Dies ist insofern interessant, da sich in der Kleingruppenforschung eher die Annahme durchgesetzt hat, dass der Gruppendruck ab einer bestimmten Größe nicht mehr steigt (z. B. Tanford & Penrod, 1984), andere vermuten dagegen ein Anwachsen des Drucks mit steigender Gruppengröße (z. B. Latané, 1981; siehe auch Bond, 2005). Dieser Konformitätseffekt gilt jedoch nur für Intensivnutzer von Facebook. Sofern die Nutzungsintensität auf die subjektive Bedeutung von Facebook hinweist, so ist das auch plausibel. Personen, die Facebook weniger Bedeutung beimessen, sollten sich auch weniger Facebook-konform verhalten, da sie sich weniger als Mitglieder dieser Community verstehen und vermutlich auch weniger Wert auf ein Gefühl der Zusammengehörigkeit legen. Ebenfalls von Bedeutung ist, dass wir auch in unserer Studie einen eindeutigen Geschlechtseffekt finden, der Befunde anderer Studien zur CMC unterstützt. Rosander und Eriksson (2012) erklären diese mit Prozessen des Selbstwertschutzes. Zur Interpretation dieser Ergebnisse kann aber auch auf Untersuchungen zum Self-Monitoring (Snyder, 1974) zurückgegriffen werden. So zeigt sich einerseits, dass Männer offenbar höhere Ausprägungen auf diesem Merkmal besitzen (Frazier & Fatis, 1980), zum anderen ist Self-Monitoring auch ein Mediator für Konformität (Rarick, Soldow & Geizer, 1976). Außerdem wäre es denkbar, dass sich Männer durch die sozialen Netzwerke vermehrt sozialen Situationen aussetzen und kommunizieren und dadurch verstärkt in ihren Reaktionen und Verhaltensweisen verunsichert sind, da diese kommunikative Rolle traditionell eher zur Frauenrolle gehört. Prüfen können wir diese Annahme nicht, sie scheint jedoch aufgrund ihrer nachhaltigen Wirkung als besonders interessant.

8.2 Praktische Einordnung der Befunde

Aus anwendungsorientierter Sicht sind die hier vorgelegten Ergebnisse aus zwei Perspektiven von Bedeutung. Zum einen lassen die Befunde den Schluss zu, dass es möglich ist, das Gefallen von vorher nicht bekannten Objekten zu beeinflussen. Das kann für das Marketing Bedeutung erlangen. In diesem Zusammenhang wäre es dann wichtig, darauf zu achten, dass zum Beispiel Online-Angebote auch mit vielen Likes ausgestattet werden. Allerdings ist hier aus Konsumentensicht Vorsicht geboten. Viele Likes scheinen heute bereits gekauft und somit Fälschungen zu sein (Hauck, 2012). Das Marktforschungsinstitut Gartner geht für das Jahr 2014 gar von 15% gekauften Likes aus (CHIP-Online, 2012). Aus Sicht der Facebook-Nutzer gilt daher, dass man sich bei der Beurteilung von Angeboten nicht ausschließlich an den bereits vergebenen Likes orientieren, sondern ganz individuell prüfen sollte, welche persönlich relevanten Kriterien das Angebot erfüllt und welche nicht. Aber nicht nur aus Marketingsicht, generell, wenn es darum geht, sich eine Meinung zu bilden oder eine Meinung vorzugeben. In jedem Fall müssen konformitätserzeugende Faktoren in der Online-Kommunikation berücksichtigt werden. Bedeutsam wird dies etwa dann, wenn es in gesellschaftlich relevanten Zusammenhängen um die Ausbildung von Mehrheitsmeinungen geht, also zum Beispiel bei Wahlen (Bond, Fariss, Jones, Kramer, Marlow, Settle & Fowler, 2012).

9 Fazit

Mit unseren Befunden erweitert sich der Kreis an Konformitätsphänomenen um den Bereich der sozialen Netzwerke. Bisher wurden soziale Netzwerke hauptsächlich unter der Perspektive der Nutzungsdauer, der Art und Weise der Nutzung oder unter motivationstheoretischen Gesichtspunkten analysiert. Mit der jetzt vorgelegten Studie wird deutlich, dass wir die Facebook-Nutzung auch unter Berücksichtigung sozialer Gruppenphänomene beleuchten müssen, um die Wirkung und Konsequenzen einer intensiven Nutzung besser verstehen zu können. Die Forschung zu Konformitätseffekten in sozialen Netzwerken hat erst begonnen. Bei zukünftigen Studien gilt es nun weitere Faktoren zu berücksichtigen, etwa die Rolle des Self-Monitorings, oder Fragen nach den moderierenden Effekten von öffentlicher Selbstaufmerksamkeit und Selbstwert. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine intensive Nutzung sozialer Netzwerke nicht generell eine Tendenz zur Meinungskonformität mit sich bringt, und zwar auch außerhalb dieser Netzwerke. Bei der zunehmenden Bedeutung von Facebook und Co. ist eine weitere wissenschaftliche Untersuchung dieser Phänomene von großer Bedeutung für Nutzer und Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft.

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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Peter Michael Bak
Hochschule Fresenius
Im Mediapark 4c
D-50670 Köln
GERMANY
e-mail: bak@hs-fresenius.de

Sensationssuchende Narzissten, Extraversion und Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken im Web 2.0

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1 Einleitung

Die nach 1982 geborene Generation sei die narzisstischste Generation der jüngsten Geschichte und weit entfernt von einer sozialen Orientierung, meint Jean Twenge (Twenge & Campbell, 2009). Diese Schlussfolgerung entnimmt die Psychologieprofessorin ihrer 2008 durchgeführten Studie, welche den Grad der narzisstischen Persönlichkeitsausprägung amerikanischer Studierenden zwischen 1979 und 2006 verglich (Twenge, Konrath, Foster, Campbell, & Bushman, 2008). Grund für diese Entwicklung seien vor allem die sozialen Netzwerkseiten des Web 2.0, auf welchen diese Generation besonders viel Zeit verbringe. Sie würden vermehrt narzisstische Züge zum Vorschein bringen und diese auch verstärken (Twenge & Campbell, 2009). Denn nur derjenige, der sich hier besonders gut darstellen könne, erhalte die Aufmerksamkeit und Bewunderung anderer Nutzer (Vazire & Gosling, 2004). Inwieweit man dieser Aussage zustimmen kann, ist eine strittige Frage. Sie findet viele Befürworter aber auch Gegner. Es lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass zwischen den virtuellen Netzwerken und den Persönlichkeitsmerkmalen ihrer Nutzer bestimmte Zusammenhänge bestehen (Marcus, Machilek & Schütz, 2006). Doch wie genau sehen diese aus? Basieren Unterschiede in der sozialen Interaktion auf Internetplattformen auf Persönlichkeitsdifferenzen? Diese Fragen haben zu einem breit angelegten Forschungsansatz geführt, welchem sich auch die vorliegende Studie anschließt. In unserer Forschung werden die Merkmale Extraversion und Narzissmus, welche sich bereits als bedeutsame Einflussgrößen erwiesen haben (z.B. Buffardi & Campbell, 2008; Krämer & Winter, 2008), sowie Sensation Seeking (Zuckerman, 1994) untersucht.

Als Ort zur Erfassung der Selbstdarstellung wird die deutschsprachige Internetplattform StudiVZ gewählt, die bislang kaum als Untersuchungsort benutzt wurde.

1.1 Web 2.0 und die sozialen Netzwerkseiten

Die heutige Online-Welt wird durch das Web 2.0 geprägt (O’Reilly, 2005). Hier wird das Web zu einer Plattform, auf der jeder Nutzer an der virtuellen Informations- und Meinungsverbreitung teilnehmen und sich mit anderen Nutzern weltweit vernetzen kann (Dominick, 1999). Dieses „Mitmachweb“ (Mara, 2009, S. 15) wird vor allem durch die sog. Social Network Sites (soziale Netzwerkseiten) (Boyd & Ellison, 2006) ermöglicht. Diese geben dem Nutzer die Möglichkeit sein Ich in der virtuellen Welt zu konstruieren, Bekanntschaften aus dem realen Leben online zu pflegen und neue zu knüpfen. Eines der heute weltweit bekanntesten sozialen Netzwerke ist die von Mark Zuckerberg 2004 gegründete Internetplattform Facebook (Cassidy, 2006). Diese verzeichnete Ende 2011 weltweit über 800 Millionen Nutzer (Facebook, 2012). Im Oktober 2005 wurde StudiVZ als Plattform für Studierende im deutschen Sprachraum gegründet. Im Februar 2007 folgte die Gründung von SchuelerVZ für Schüler ab 12 Jahren und im Februar 2008 von MeinVZ für alle weiteren Nutzergruppen. Anfang 2012 hatte das gesamte VZ-Netzwerk ca. 16 Millionen Mitglieder. StudiVZ alleine verzeichnete davon 6 Millionen (Wikipedia, 2012).

1.2 Die Netzwerkplattform StudiVZ

Bei der Anmeldung auf der Internetplattform StudiVZ erstellt jeder Nutzer ein persönliches Profil. Dabei besteht die Möglichkeit unter nahezu 50 Rubriken, welche auf fünf Kategorien („Allgemeines“, „Kontakte“, „Persönliches“, „Arbeit“, „Lehrveranstaltungen“) aufgeteilt sind, Informationen über sich preiszugeben. Unter der Kategorie „Persönliches“ befindet sich unter anderem auch die „Über mich“ Rubrik, wo frei über die eigene Person berichtet werden kann. Die Funktion „Profilbild hochladen“ erlaubt es, ein reales Foto oder jegliches andere Bild auf dem Profil zu veröffentlichen. Weitere Fotos/Bilder werden unter „Fotoalben“ hoch geladen. Die Plattform bietet mehrere Möglichkeiten zur computervermittelten Interaktion. Dazu gehört die Profilpinnwand. Hier kann jeder Profilbesucher kurze Botschaften für ihren Besitzer hinterlassen. Des Weiteren können die Mitglieder Online-Freundschaften schließen. Die Namen der virtuellen Freunde erscheinen in der Freundschaftsliste auf dem Profil. Weiterhin befindet sich auf der Profilseite der Bereich „Gruppen“. Hier werden alle Gruppen aufgelistet, denen ein Nutzer beigetreten ist bzw. welche er selbst gegründet hat. Als Diskussionsforen gedacht geben diese die Möglichkeit zum Austausch über unterschiedliche Themen. Zur weiteren Funktion der Plattform gehören die Edelprofile, politischen Profile und Festivals. Nach dem „Beitritt“ erscheinen diese auf dem eigenen Profil und signalisieren damit, dass man z. B. einer bestimmten politischen Orientierung angehört. Die Profilsichtbarkeit für andere Nutzer (z. B. nur Online-Freunde) sowie die eigene Sichtbarkeit beim Besuchen fremder Profile kann im Bereich „Privatsphäre“ individuell eingestellt werden.

2 Theoretischer Hintergrund und Hypothesenableitung

Im Folgenden werden die für die vorliegende Studie bedeutsamen theoretischen Konstrukte Selbstdarstellung, Extraversion, Narzissmus und Sensation Seeking vorgestellt. Darauf aufbauend werden die Hypothesen abgeleitet.

2.1 Selbstdarstellung

Die soziale Interaktion macht den Großteil des menschlichen Lebens aus und prägt dieses bereits von der Geburt an (Goffman, 1969; Traut-Mattausch & Frey, 2006). Typisch für den Interaktionsprozess ist eine positive Selbstdarstellung, deren Intensitätsgrad interpersonell variabel und situationsabhängig ist (Mummendey, 1995). Der Begriff Selbstdarstellung fasst all das zusammen, was man tut, um anderen ein bestimmtes Bild von sich zu vermitteln (sog. Impression Management; Schlenker, 2003). Dabei kann es sich sowohl um verbales als auch um nonverbales Verhalten, Formen des Auftretens und der äußeren Erscheinung handeln (Mummendey, 2006). Selbstdarstellung kann zwar bewusst und kontrolliert erfolgen, läuft jedoch meistens weitgehend unbewusst und automatisiert ab (Laux & Renner, 2002; Leary & Kowalski, 1990).

Zugleich sind die Interaktionspartner keine passiven Rezipienten. Sie bewerten ihr Gegenüber und geben ihm entsprechende Rückmeldungen bezüglich dessen, wie sie sie oder ihn wahrnehmen. Dieses Feedback kann verinnerlicht und in die eigene Identität überführt werden (Laux & Renner, 2006).
Die Selbstdarstellung erfolgt nicht nur in der realen (Offline-), sondern auch in der virtuellen (Online-)Welt. Während man bei der realen Selbstdarstellung vor allem beim Emotionsausdruck oft dazu neigt non-verbale Kommunikationselemente zu benutzen, entfällt diese Möglichkeit in der virtuellen Welt. Deshalb können Emotionen in der virtuellen Welt nur noch begrenzt ausgedrückt werden (Clark & Brennan, 1991; Dwyer, 2006; Rice, 1993). Zudem entfällt das non-verbale Feedback des Gegenübers (Paechter, 2006). Dafür kann die computervermittelte Selbstdarstellung gezielter gesteuert und kontrolliert werden (Ellison, Heino & Gibbs, 2006; Paechter, 2006). Das Bild, welches man von sich auf den sozialen Plattformen aufbaut, ist vielfach genau durchdacht und entspricht vermutlich dem Eindruck, den man erwecken möchte (Dominick, 1999; Valkenburg, Peter & Schouten, 2006). Zugleich ist man jedoch auch einer viel breiteren Bezugsgruppe ausgesetzt als in der realen Situation. Der Eindruck, den man den verschiedenen Interaktionspartnern vermitteln möchte, kann sich dabei sehr unterscheiden. Daher muss ein Kompromiss zwischen den konkurrierenden Selbstdarstellungszielen geschlossen werden. So kann jemand, der sich z. B. als häufiger Partybesucher darstellen möchte, zugleich bedenken, dass auch der potentielle oder aktuelle Arbeitgeber diese Information erfahren könnte (Krämer & Winter, 2008). Ein weiterer Unterschied besteht im Grad der Anonymität, den die virtuelle Welt ihren Nutzern bietet. Hier erhält man die Möglichkeit mit der eigenen Identität zu experimentieren, indem man sich z. B. einen neuen Namen zulegt und sein Geschlecht verändert (Döring, 2003). Die Mitglieder sozialer Netzwerke nutzen diese Gelegenheit jedoch eher selten und präferieren eine authentische Präsentation der eigenen Person (Back, Stopfer, Vazire, Gaddis, Schmukle, Egloff, & Gosling, 2010; Machilek, Schütz & Marcus, 2004; Vazire & Gosling, 2004).

In Anbetracht der Bedeutung der Selbstdarstellung für das menschliche Leben und der Möglichkeiten, die die Online-Welt für die Selbstpräsentation eröffnet, erscheint die Fragestellung interessant, welche Persönlichkeitsmerkmale mit der Selbstdarstellungsart auf Internetplattformen wie StudiVZ zusammenhängen.

2.2 Extraversion

Das Konstrukt Extraversion gehört gemeinsam mit seinem Gegenpol Introversion zu den grundlegenden Dimensionen der Persönlichkeit. Mit den Eigenschaften Neurotizismus, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit wurde Extraversion zu den „Big Five“ zusammengefasst und als eine der fünf stabilen und kulturübergreifenden Hauptpersönlichkeitskomponenten beschrieben (Angleitner & Ostendorf, 1994; Asendorpf, 2007; Eysenck, Wilson & Jackson, 1997).

Personen mit einer hohen Extraversionsausprägung werden als gesprächig, gesellig, aktiv, energisch, dominant sowie sensationssuchend charakterisiert. Außerdem lassen sich Merkmale wie Impulsivität, Neigung zur Aggressivität und Unzuverlässigkeit erkennen (Borkenau & Ostendorf, 1993; Paulhus & Williams, 2002). Extravertierte zeigen ein hohes Interesse an sozialen Interaktionen (Argyle, Martin & Crossland, 1989; Ashton, Lee & Paunonen, 2002; Finn, 1997). Zur Befriedigung ihres Bedürfnisses nach Geselligkeit, Interaktion und Aufmerksamkeit versuchen Extravertierte mithilfe ihrer Selbstdarstellung, das Interesse der Gegenüber zu wecken und möglichst viele Kontakte zu knüpfen (Borkenau & Ostendorf, 1993). Dies tun sie sowohl off- als auch online. Krämer und Winter (2008) belegten, dass Personen mit einer hohen Extraversionsausprägung dazu tendieren, zusätzlich bearbeitete Profilbilder für ihre StudiVZ-Seiten zu wählen. Marcus, Machilek und Schütz (2006) fanden auf Homepages hoch Extravertierter öfter Partybilder. Zudem geben sie hier mehr Aspekte ihres Privatlebens preis und stellen öfter ihre Meinung zu unterschiedlichen Themen dar als schüchterne Personen.

Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass das Persönlichkeitsmerkmal Extraversion mit der Selbstdarstellung im StudiVZ in Beziehung stehen könnte. Die Plattform bietet extravertierten Nutzern die Gelegenheit, parallel zueinander viele Kontakte zu knüpfen, um ihr Bedürfnis nach Geselligkeit und Interaktion zu befriedigen. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Profilseite erlauben es, persönliche Informationen offenzulegen, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Auf dieser Grundlage ist es plausibel anzunehmen, dass Extraversion in einem positiven Zusammenhang mit den Selbstdarstellungsmerkmalen in Bild und Text und auch den Merkmalen der sozialen Interaktion auf der Plattform StudiVZ steht (Hypothese 1).

2.3 Narzissmus

Unter dem Konstrukt Narzissmus versteht man ein Persönlichkeitsmerkmal, durch das ein ausgeprägter Egozentrismus und Selbstbezug zum Ausdruck gebracht werden. Narzissmus als Persönlichkeitsmerkmal darf nicht mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstö-rung gleichgesetzt werden (vgl. Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003). Diese beinhaltet eine extreme Ausprägung des Narzissmus, die das Alltagsleben der betroffenen Person beeinträchtigt (Bierhoff & Herner, 2006, 2009).

Personen mit einem hohen Narzissmuswert haben folgende Eigenschaften: überhöhte Selbsteinschätzung, Ichbezogenheit, Verwendung selbstdienlicher Verzerrungen, Betonung von Erfolg, Macht und eigener Großartigkeit, Desinteresse an anderen, Empathiemangel, überhöhtes Interesse an eigener Person, geringe Verträglichkeit, Sensationssuche sowie übertriebene Selbstdarstellung. Durch ihre soziale Gewandtheit können Narzissten leicht Bekanntschaften schließen, die jedoch eher oberflächlich und meist kurzlebig sind (Bierhoff & Herner, 2009; Herner, 2008; Paulhus, 2001). Narzissmus beruht auf zwei Dimensionen. Während einige Narzissten durch ihr großspuriges und überhebliches Auftreten leicht zu erkennen sind, überraschen andere durch ihre schüchterne und unsichere Erscheinung (Neumann, 2010).

Dementsprechend lassen sich zwei Narzissmusformen unterscheiden: offen und verdeckt (Wink, 1991). Beiden Formen gemeinsam sind Eigenschaften wie Arroganz, Intoleranz und Verlogenheit. Ihre Unterscheidung besteht vor allem darin, dass der offene Narzissmus durch die Dimension „Grandiosität-Exhibitionismus“ beschrieben wird und Merkmale wie Selbstsicherheit, Aggression und Ignoranz fremder Bedürfnisse aufweist. Dagegen beschreibt die Dimension „Vulnerabilität-Sensitivität“ den verdeckten Narzissmus, für welchen Eigenschaften wie Defensivität, Hypersensitivität, Ängstlichkeit und sozialer Rückzug typisch sind (Dickinson & Pincus, 2003).

Mehrere Untersuchungen belegen den positiven Zusammenhang zwischen Extraversion und Narzissmus (z. B. Bradlee & Emmons, 1992; Egan & McCorkindale, 2007; Miller & Campbell, 2008; Paulhus & Williams, 2002; Schütz, Marcus & Sellin, 2004). Dies überrascht nicht, da die ausgeprägte Extraversion den Narzissten dabei hilft, andere für das Erreichen ihrer Ziele zu gewinnen (Campbell, Brunell & Finkel, 2006). Hendin und Cheek (1997) untersuchten den Zusammenhang mit der Extraversion für beide Formen des Narzissmus: Während der offene Narzissmus positiv mit der Extraversion korreliert, weist der verdeckte Narzissmus einen negativen Zusammenhang mit Extraversion auf. Dementsprechend stellen wir die Hypothese auf, dass ein positiver Zusammenhang zwischen Extraversion und offenem Narzissmus und ein negativer zwischen Extraversion und verdecktem Narzissmus erwartet wird (Hypothese 2).

Besonders auffallend ist die Fähigkeit zur genau durchdachten Selbstdarstellung von Narzissten, die es ihnen ermöglicht, die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen und dadurch die gewünschte Bewunderung und Anerkennung zu gewinnen (Bierhoff & Herner, 2009; Foster, Shrira & Campbell, 2006; Oltmanns, Friedman, Friedler & Turkheimer, 2004). Es ist naheliegend anzunehmen, dass narzisstisch veranlagte Personen diese Fähigkeit auch in der virtuellen Welt nutzen. Hier finden sie die optimalen Bedingungen für eine genau kontrollierte Selbstpräsentation vor einem großen Publikum vor, dessen Aufmerksamkeit dauerhaft garantiert ist (Buss & Chiodo, 1991; Vazire & Gosling, 2004). Denn die einmal online veröffentlichten Informationen bleiben auch dann erhalten, wenn man selbst die virtuelle Welt verlässt. Marcus et al. (2006) fanden heraus, dass Homepage-Besitzerinnen erhöhte Narzissmuswerte haben. Buffardi und Campbell (2008) zeigten, dass Betrachter der Facebookprofile auf der Grundlage der Profilgestaltung in der Lage sind, zwischen narzisstischen und weniger narzisstischen Nutzern zu unterscheiden. Und auch im deutschen Netzwerk StudiVZ fallen Personen, die selbst besonders viele Gruppen gründen, durch hohe Werte des offenen Narzissmus auf (Mara, 2009). Bislang liegen die Ergebnisse nur für den offenen Narzissmus vor. Vermutlich gilt jedoch auch für verdeckte Narzissten, dass sie in der virtuellen Welt über sich auskunfts- und kontaktfreudig sind. Denn hier können sie ihre Schüchternheit aufgrund des Fehlens einer direkten Interaktion ablegen.

Basierend auf den vorgestellten Befunden und Überlegungen scheint die Annahme begründet zu sein, dass sich sowohl offene als auch verdeckte Narzissten durch eine erhöhte Selbstdarstellung und soziale Interaktion auf der Plattform StudiVZ auszeichnen (Hypothese 3).

2.4 Sensation Seeking

Sensation Seeking ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das sich auf die Tendenz bezieht, neue, verschiedenartige, komplexe und intensive Eindrücke zu suchen oder entsprechende Erfahrungen zu machen und dafür auch Risiken in Kauf zu nehmen (Zuckerman, 1994). Diese Eigenschaft ist bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen und nimmt nach einem Maximum im Alter von ca. 17-19 Jahren ab (Möller, Hell & Kröber, 1998). Die individuelle Variabilität des Merkmals Sensation Seeking ist teilweise genetisch bedingt (Fulkner, Eysenck & Zuckerman, 1980; Zuckerman, 1990, 1994). Hohe Sensation Seeker haben eine Vorliebe für Risikosportarten, suchen sexuelle Erfahrungen mit verschiedenen Partnern und sind in der Gruppe der risikoreichen Drogenkonsumenten überrepräsentiert (Allcock & Grace, 1988; Foreit & Foreit, 1978; Gomà-I-Freixanet, 1991; Kraft & Rise, 1994; Malkin & Rabinowitz, 1998; Zuckerman & Neeb, 1980). Sie fallen oft durch abweichendes Sozialverhalten bis hin zu einer kriminellen Tendenz auf (Kröber, 1998). Zugleich zeigen sie ein hohes Interesse an sozialen Begegnungen, in denen sie sich durch eine offene und ungezwungene Selbstdarstellung auszeichnen (Zuckerman, 1994).

Die vielfältigen Bereiche, auf die sich Sensation Seeking auswirkt, legen nahe, dass das zugrundeliegende Konstrukt mehrdimensional ist. Dementsprechend wird die Erfassung von Sensation Seeking in vier Unterskalen gegliedert: Die Subskala Gefahr- und Abenteuersuche (Thrill and Adventure Seeking, TAS) beschreibt die Tendenz Spannung und Abenteuer durch riskante, aufregende (sportliche) Aktivitäten zu erleben. Erfahrungssuche (Experience Seeking, ES) misst die Neigung für neue Eindrücke und Erfahrungen durch non-konformistischen Lebensstil und Reisen. Die Subskala Enthemmung (Disinhibition, DIS) erhebt die Tendenz zu sozial und sexuell enthemmtem Verhalten, während Empfänglichkeit für Langeweile (Boredom Susceptibility, BS) eine Abneigung gegen Wiederholung und Routine misst (Zuckerman, Eysenck & Eysenck, 1978).

Mehrere Untersuchungen konnten die positive Verbindung zwischen Sensation Seeking und der Eigenschaft Extraversion belegen (Aluja, Garcia & Garcia, 2002; Bone & Montgomery, 1970; Farley & Farley, 1967, 1970; Zuckerman, Kuhlman, Joireman, Teta & Kraft, 1993). Dabei weist die Skala DIS einen besonders hohen Zusammenhang mit der Extraversion auf (Zuckerman, 1979; Zuckerman, Bone, Neary, Mangelsdorff & Brustman, 1972). Weiterhin findet sich in der Definition des Narzissmus der hohe Drang zur Sensationssuche (Bierhoff & Herner, 2006, 2009). Dies lässt vermuten, dass Sensation Seeking mit Narzissmus positiv korreliert ist. Bislang wurde dies jedoch nach unserem Wissen noch nicht systematisch untersucht.

Daher soll in der vorliegenden Arbeit die Annahme überprüft werden, dass Extraversion sowie beide Narzissmusformen einen positiven Zusammenhang mit Sensation Seeking aufweisen (Hypothese 4).

Aufgrund der vorangegangenen Darstellungen erscheint es plausibel, dass Plattformen wie StudiVZ besonders attraktiv für hohe Sensation Seeker sind. Hier können sie leicht soziale Interaktionen aufsuchen, Freundschaften knüpfen und so an neue Erfahrungen kommen. Die Selbstdarstellungsmöglichkeiten, z. B. durch das Profilfoto, erlauben es hohen Sensation Seekern ihre Mitteilungsfreude auszuleben. So können sie wiederum „Gleichgesinnte“ finden, mit denen sie neue Erfahrungen sammeln und austauschen können. Diese Überlegungen führen zu der Annahme, dass ein positiver Zusammenhang zwischen Sensation Seeking einerseits und den Selbstdarstellungsmerkmalen in Bild und Text sowie den Merkmalen der Interaktion andererseits besteht (Hypothese 5).

Möglicherweise wirkt sich Sensation Seeking nicht unabhängig auf die Selbstdarstellung aus. Obwohl diese Vermutung spekulativ ist, soll die plausible Annahme getestet werden, dass sich der Zusammenhang zwischen Narzissmus und Selbstdarstellung bei hohem Sensation Seeking enger gestaltet als bei niedrigem Sensation Seeking. Danach wäre die hohe Ausprägung des Sensation Seeking eine förderliche Voraussetzung dafür, dass Narzissmus in Selbstdarstellung umgesetzt wird. Diese Annahme eines Moderatoreffekts führt zu der Erwartung einer signifikanten Interaktion zwischen Sensation Seeking und Narzissmus im Hinblick auf die Selbstdarstellung (Hypothese 6).

3 Methode

Die vorliegende Arbeit untersuchte den Zusammenhang zwischen den Merkmalen der Selbstdarstellung und sozialen Interaktion im Internet und den vorgestellten Persönlichkeitseigenschaften, die mithilfe der entsprechenden Fragebögen erfasst werden. Im Folgenden gilt, dass ein höherer Wert des Fragebogens eine höhere Eigenschaftsausprägung darstellt. Weiterhin wurden die StudiVZ-Profile ausgewertet, um die Ausprägung der sozialen Interaktion und Selbstdarstellung zu messen. Teilweise dienten hierfür auch Angaben zu den StudiVZ-Nutzungsgewohnheiten.

3.1 Beschreibung der Stichprobe

Die Studie wurde an der Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt. Die Teilnahmevoraussetzungen waren die Mitgliedschaft auf der Internetplattform StudiVZ sowie die Zustimmung zur Analyse der Profilseite dieser Plattform. Alle 181 Teilnehmer (69 Männer, 112 Frauen) erfüllten diese Voraussetzungen. Die Altersspanne der Teilnehmer lag zwischen 18 und 50 Jahren (M = 23.48, SD = 3.96). Die meisten waren Studierende (93.40%), von denen wiederum etwa ein Drittel Psychologie studierte.

3.2 Vorgehensweise und Untersuchungszeitraum

Die Untersuchung bestand aus zwei Teilen: Ausfüllen von Fragebögen (schriftlich oder online) und Abspeichern der StudiVZ-Profilseite. Die Teilnehmer der Untersuchung wurden über Aushänge in der Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum sowie mehreren Fakultäten der Technischen Universität Dortmund, persönliche Ansprachen und Aufrufe zur Teilnahme auf den online Plattformen StudiVZ und Facebook angeworben. Die Teilnehmer konnten sich eine Erhebungsmethode aussuchen. 28 von ihnen entschieden sich für die schriftliche und 153 für die Online-Umfrage. Um die Auswertung der Inhalte zu ermöglichen, wurde die Profilseite unter der Ansicht „Meine Seite“ im HTML-Format abgespeichert. Die dreimonatige Befragung wurde zwischen Februar und Mai 2010 durchgeführt.

3.3 Messinstrumente

Demografische Merkmale und StudiVZ-Nutzungsgewohnheiten. Zur Erfassung von demografischen Daten und StudiVZ-Nutzungsgewohnheiten wurde ein Fragebogen zusammengestellt. Um die Zuordnung der Profile zu den Fragebögen zu ermöglichen, wurde zunächst ein Versuchspersonen-Code erhoben, der im Fragebogen und bei der Profilabspeicherung angegeben werden musste. Dadurch wurde die Anonymität der Auswertung gesichert. Anschließend wurden demografische Daten wie Alter, Geschlecht und Beruf erfasst. Studierende sollten ihre Studienrichtung, den angestrebten Abschluss und ihre Hochschule angeben. Dann wurde die Mitgliedschaft auf Internetplattformen erfragt. In den Abschnitt zu den Nutzungsgewohnheiten gehörten die Fragen zur Besuchshäufigkeit und Wahrheitstreue des Profils. Außerdem wurden Profil-Sicherheitseinstellungen erhoben (Profilsichtbarkeit für andere Nutzer, Sichtbarkeit beim Besuchen fremder Profile). Anschließend wurde um das Einverständnis zur Profilanalyse gebeten.

Sensation Seeking Scale Form V (SSS-V) Subskala Disinhibition (DIS) in der deutschen Version (Beauducel & Brocke, 2003). Zur Erfassung von Sensation Seeking wurden die 10 Items der Skala DIS verwendet. Diese wies eine interne Konsistenz von α = .69 auf (Beauducel & Brocke, 2003).

Adaptierte Version des Narzissmusinventars (NI) (Neumann & Bierhoff, 2004). Mit den 43 Items des NI wurde die Ausprägung des verdeckten Narzissmus gemessen. Der verwendete Fragebogen wurde auf der Basis des Narzissmusinventars von Deneke und Hilgenstock (1989) entwickelt. Von den vier Skalen des Ursprungsfragebogens beinhaltet das NI die beiden Skalen „Klassisch-Narzisstisches Selbst“ und „Ideal-Selbst“. Die interne Konsistenz des NI liegt bei α = .93 (Neumann & Bierhoff, 2004).

Narcissistic Personality Inventory (NPI) in der deutschen Version (Schütz et al., 2004). Zur Erhebung des offenen Narzissmus wurde das NPI verwendet. Die insgesamt 40 Items erfassen folgende Narzissmuskomponenten: gefühlte Einzigartigkeit, Überlegenheitsempfinden, fehlende Empathie, Prahlerei, Betonung körperlicher Attraktivität, Eitelkeit, hoher Anspruch und Selbstüberschätzung (Triller, 2003). Das NPI wies eine interne Konsistenz von α = .82 auf (Schütz et al., 2004).

NEO Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) Skala Extraversion (Borkenau & Ostendorf, 1993). Die Messung der Extraversion erfolgte mithilfe der 12 Items der Extraversionsskala der deutschen Form des NEO-FFI, das die fünf Grundpersönlichkeitsmerkmale („Big Five“) erfasst. Die interne Konsistenz der Skala ist mit α = .81 gut (Borkenau & Ostendorf, 1993).

3.4 Profilanalyse

Die Operationalisierung der sozialen Interaktion erfolgte quantitativ über die Bestimmung der Anzahl der Freunde und Pinnwandeinträge. Diese Maße wurden aus folgenden Gründen ausgewählt: Die Online-Freundschaft besteht auf einer beidseitigen Bestätigung. Viele interaktive Funktionen der Seite, z. B. das Markiertwerden auf und Kommentieren von Bildern der Fotoalben, waren zum Zeitpunkt der Erhebung (seit Ende 2010 ist dies für alle Nutzer möglich) nur für Freunde erlaubt. Die Pinnwandeinträge führen meist zu einer Antwort auf der Pinnwand des anderen. So können offen gestellte kurze Konversationen entstehen. Somit scheinen diese beiden Maße angemessen zu sein, um als Indikatoren der computervermittelten Interaktion herangezogen zu werden.

Zur Erfassung der Selbstdarstellung wurden sowohl quantitative als auch qualitative Maße untersucht. Zur quantitativen Auswertung gehörten folgende Werte: Anzahl der Fotoalben, Festivals, Edel- und politischen Profile, Diskussionsgruppen, ausgefüllten Felder und Worte sowie der Worte im „Über mich“ Bereich. Bei der qualitativen Untersuchung wurde jedes Profilfoto in Anlehnung an die Kriterien von Krämer und Winter (2008) ausgewertet (vgl. Tabelle 1). Dabei ging man folgendermaßen vor: Soweit ein Profilbild vorhanden war, wurde unterschieden, ob es sich um ein potentiell reales Foto der Nutzerin oder des Nutzers oder um ein anderes Bild (z. B. eine Landschaft) handelte. Nur wenn ein reales Foto vorlag, wurde die Klassifizierung fortgesetzt. Zunächst wurde bewertet, ob das Gesicht der abgebildeten Person ganz, teilweise (z. B. nur eine Seite) oder gar nicht zu sehen war (z. B. Person steht mit dem Rücken zur Kamera). Dann wurde beurteilt, ob es sich um ein Farbfoto oder um ein grafisch bearbeitetes Bild (z. B. farblich verändert) handelte. Im nächsten Schritt wurde der Aufnahmeort (z. B. Umgebung kaum sichtbar, Partyaufnahme, Person am Arbeitsort) klassifiziert. Anschließend wurde der Gesichtsausdruck des Abgebildeten eingestuft (ernst, aktiv – Foto zeigt Person bei einer Tätigkeit, Posing – Nutzer posiert für die Kamera, Grimasse). Abschließend wurde erfasst, ob die Person in die Kamera blickt.

Bei der Auswertung der Diskussionsgruppen wurden die einzelnen Gruppen der Teilnehmer je einer der fünfzehn verschiedenen Kategorien zugeordnet (nach Krämer & Winter, 2008): „Persönliche Daten“, „Aussehen“, „Geografie“, „Arbeit und Beruf“, „Entertainment“, „Kunst, Kultur und Literatur“, „Hobbys und Interessen“, „Essen und Trinken“, „Politik“, „Partys, Alkohol und Events“, „Soziales Leben und Beziehungen“, „Spaß und Unsinn“, „StudiVZ“ (Gruppen, die sich um die Seite selbst drehen), „Persönlichkeit, Eigenschaften und Verhalten“, „Einstellungen und Meinungsäußerungen“ (vgl. Tabelle 2). Außerdem wurde die Gruppenanzahl pro Kategorie für jeden Teilnehmer bestimmt.

Tabelle 1: Kategorien für Profilfotos mit Angabe der Interraterreliabilität.
figure1

Zur Prüfung der Kategorisierungsübereinstimmung zwischen drei unabhängigen Ratern für die Profilbilder und Gruppen wurden zufällig zehn Profile ausgewählt. Im Anschluss wurde die Interraterreliabilität nach Krippendorffs Alpha bestimmt (Jenderek, 2012). Die Reliabilitätsmaße für die Profilbilder lagen zwischen .51 und 1.00 (vgl. Tabelle 1). Besonders niedrig lag „Blick in die Kamera“ und „Gesichtssichtbarkeit“, so dass die auf diese Merkmale bezogenen Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren sind. Die Objektivität der Gruppenauswertung war überwiegend hoch (vgl. Tabelle 2), wie die Korrelationen nach Pearson zeigen. Die Korrelationen zwischen jeweils zwei Ratern wurden z-transformiert und die jeweils drei Koeffizienten wurden gemittelt und wieder zurücktransformiert (Bortz, 2005).

Tabelle 2: Kategorien für Diskussionsgruppen mit Beispielen und Angabe der Interraterreliabilität.
figure2

4 Ergebnisse

Die Auswertungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgten mithilfe des Statistikprogramms SPSS (PASW Statistics 18). Für alle Merkmale erfolgte eine deskriptive Auswertung. Anschließend wurden die Korrelationen der Persönlichkeitsmerkmale untereinander und mit den StudiVZ-Variablen bestimmt. Weiterhin wurden einfaktorielle Varianzanalysen berechnet. Die sechste Hypothese wurde mithilfe linearer Regressionsanalysen überprüft.

4.1 Deskriptive Statistik

Die Normalverteilungsüberprüfung erfolgte mithilfe des Kolmogorov-Smirnov-Tests, einer Histogrammanalyse und der Überprüfung der Schiefe. Für alle untersuchten Variablen bis auf die Anzahl der politischen Profile, Festivals, Worte im „Über mich“ Bereich sowie einige Gruppenkategorien lässt sich auf eine hinreichende Annährung an eine Normalverteilung schließen.

Während der Mittelwert für offenen Narzissmus tendenziell über dem Wert liegt, den man für dieses Merkmal in früheren Untersuchungen findet (Mara, 2009), ist der Mittelwert des verdeckten Narzissmus in der Tendenz niedriger als der früher berichtete (Neumann & Bierhoff, 2004). Die Durchschnittswerte für Extraversion (Borkenau & Ostendorf, 1993) und Sensation Seeking (Beauducel & Brocke, 2003) entsprechen in etwa früheren Ergebnissen (vgl. Tabelle 3).

Tabelle 3: Mittelwerte, Standardabweichungen, Minima und Maxima der Persönlichkeitsmerkmale, N = 181.
figure3

StudiVZ-Variablen. Die Profilanalyse ergab, dass die Freundschaftslisten der Nutzer im Schnitt aus 135.69 Freunden (SD = 83.92) bestehen (Min-Max: 0 – 562). Die durchschnittliche Anzahl der Fotoalben beträgt 3.20 (SD = 4.19), die der Pinnwandeinträge 266.30 (SD = 297.27). Der durchschnittliche Nutzer füllt 12.13 Felder aus (SD = 5.88), wobei er im Schnitt 72.34 Worte dafür verwendet (SD = 76.14). Zur Beschreibung der eigenen Person im „Über mich“ Bereich werden im Schnitt 6.89 Worte benutzt (SD = 17.6). Anmeldungen bei Festivals (M = .14, SD = .48), Edelprofilen (M = .31, SD = .79) und politischen Profilen (M = .11, SD = .49) sind selten. Die durchschnittliche Anmeldedauer beträgt 30 Monate (SD = 9.76). Die mittlere Gruppenanzahl liegt bei 40.59 (SD = 27.81), wobei die Gruppen der Kategorie „Spaß und Unsinn“ überwiegen (M = 11.45, SD = 10.13).

Die Profilfotoanalyse zeigte, dass kaum ein Nutzer ein Profil ohne Foto besitzt (2.80%). Die meisten Profile enthalten ein potenziell reales Foto ihres Besitzers (87.30%), dessen Gesicht in 61.90% der Fälle ganz und in 19.30% teilweise zu sehen ist. 75.10% der Bilder sind Farbfotos. 51.40% der Fotos sind Porträts, 22.70% lassen die Umgebung der Aufnahme erkennen und 12.70% sind Partyfotos. Der Kategorie „Posing“ werden bei der Gesichtsausdrucksbewertung 47% der Fotos zugeordnet, während 22.10% der Bilder ernste Gesichtsausdrücke und 3.30% eine Grimasse zeigen. Auf 14.90% der Fotos geht die Person einer Tätigkeit nach und bei 64.60% schaut sie in die Kamera.

Viele Teilnehmer sind neben StudiVZ auch auf anderen Plattformen angemeldet, z. B. Facebook (53.6%), Myspace (24.3%). 65.7% von ihnen besuchen einmal bis mehrmals pro Tag ihr StudiVZ-Profil und nur 6.1% loggen sich ca. alle zwei Wochen und seltener ein. Die meisten Teilnehmer haben ein wahrheitsgetreues Profil (64.1%) und wahren ihre Privatsphäre: 30.4% haben ein uneingeschränkt sichtbares Profil, 24.3% sind beim Besuchen fremder Profile sichtbar.

4.2 Korrelationsanalyse

Tabelle 4 enthält die Skaleninterkorrelationen einschließlich der Zusammenhänge mit Alter und Geschlecht. Alterseffekte treten nicht auf. Im Hinblick auf das Geschlecht findet sich nur der erwartete Zusammenhang mit Sensation Seeking, da Männer auf diesem Merkmal höhere Werte erreichen als Frauen (vgl. Möller et al., 1998). Offener und verdeckter Narzissmus korrelieren wie in früheren Studien (Neumann & Bierhoff, 2004) positiv. Außerdem finden sich positive Korrelationen der beiden Narzissmusskalen mit Extraversion. Dieses Ergebnis steht mit dem ersten Teil der Hypothese 2 in Übereinstimmung. Hingegen widerspricht die positive Korrelation zwischen Extraversion und verdecktem Narzissmus dem zweiten Teil der Hypothese 2. Sensation Seeking korreliert erwartungsgemäß signifikant positiv mit Extraversion (Zuckerman, 1984) sowie offenem und verdecktem Narzissmus. Die interne Konsistenz der Skalen fällt zufriedenstellend bis sehr gut aus (vgl. Tabelle 4). Die niedrigste Konsistenz weist die Skala DIS auf, die aber auch nur aus 10 Items besteht.

Die Selbstdarstellungsmaße und die Persönlichkeitsvariablen hingen wie erwartet zusammen (vgl. Tabelle 5). Beide Narzissmusformen und Sensation Seeking korrelieren signifikant positiv mit der Anzahl insgesamt verwendeter Worte (offener Narzissmus: r = .19, verdeckter Narzissmus: r = .30, Sensation Seeking: r = .23; alle: p < .01). Alle Persönlichkeitsmerkmale hängen signifikant positiv mit der Gruppenanzahl zusammen (offener Narzissmus: r = .27, Extraversion: r = .20; beide: p < .01; Sensation Seeking: r = .18, verdeckter Narzissmus: r = .17; beide: p < .05). Bis auf Sensation Seeking korrelieren die Eigenschaften signi-fikant positiv mit der Fotoalbenanzahl (offener Narzissmus: r = .20, verdeckter Narzissmus: r = .21, Extraversion: r = .25; alle: p < .01). Nur Extraversion weist keinen signifikant positiven Zusammenhang mit der Edelprofilanzahl auf (offener Narzissmus: r = .25, verdeckter Narzissmus: r = .21, Sensation Seeking: r = .30; alle: p < .01). Signifikant positiv ist auch der Zusammenhang zwischen offenem Narzissmus, Sensation Seeking sowie Extraversion und der Gruppenkategorie „Partys, Alkohol und Events“ (offener Narzissmus: r = .32, Sensation Seeking: r = .34, Extraversion: r = .30; alle: p < .01). Weiterhin wurden die Zusammenhänge zwischen den Persönlichkeitsvariablen und der sozialen Interaktion analysiert.

Beide Interaktionsmaße zeigen einen hoch signifikanten positiven Zusammenhang mit offenem Narzissmus (Freunde: r = .46, Pinnwandeinträge: r = .39; beide: p < .01), verdecktem Narzissmus (Freunde: r = .27, Pinnwandeinträge: r = .28; beide: p < .01), Sensation Seeking (Freunde: r = .33, Pinnwandeinträge: r = .32; beide: p < .01) sowie Extraversion (Freunde: r = .45, Pinnwandeinträge: r = .35; beide: p < .01). Diese Ergebnisse bestätigen die in den Hypothesen 1, 3 und 5 gemachten Annahmen.

4.3 Varianzanalysen

In einem weiteren Auswertungsschritt sollte festgestellt werden, ob die Profilfotoauswahl (vgl. Tabelle 1) mit den Persönlichkeitsmerkmalen zusammenhängt. Die Ausprägungen der nominalskalierten Merkmale (z. B. Wahl des Aufnahmeortes mit vier Abstufungen) stellten die unabhängigen Variablen in einfachen Varianzanalysen dar, deren abhängige Variable die Persönlichkeitsmerkmale bildeten. Von den Kategorien für Profilfotos hängt nur „Ort der Aufnahme“ systematisch mit Sensation Seeking, F(3, 177) = 4.35, p < .01, offenem Narzissmus, F(3, 177) = 3.53, p < .05, und verdecktem Narzissmus, F(3, 177) = 3.05, p < .05, zusammen. Die Mittelwertunterschiede wurden mit Student-Newman-Keuls Tests auf Signifikanz getestet. Die Ergebnisse zeigen, dass bei Teilnehmern, die ein Partyfoto wählen, Sensation Seeking und Narzissmus höher ausgeprägt sind als in den anderen Profilfotobedingungen.

Somit tendieren Teilnehmer, die höhere Werte in Sensation Seeking, offenem Narzissmus und verdecktem Narzissmus aufweisen, dazu ein Profilfoto zu wählen, das sie auf einer Party, mit einem Getränk bzw. in der Gesellschaft anderer Personen zeigt (anstelle eines Profilfotos, das keine Umgebung oder z. B. eine Landschaft abbildet).
Dies ist eine weitere Bestätigung der Hypothesen 3 und 5.

4.4 Regressionsanalysen

Um Hypothese 6 zu prüfen, wurde das statistische Vorgehen gewählt, das für die Prüfung von Moderatoreffekten empfohlen wird (Hayes & Matthes, 2009). In einer hierarchischen Regressionsanalyse wurde im ersten Schritt Sensation Seeking und Narzissmus (entweder NPI oder NI) als Prädiktor verwendet. Im zweiten Schritt wurde das Produkt der beiden Prädiktoren eingegeben. Die Prädiktoren wurden z-standardisiert. Als Kriterien dienten die Merkmale der Selbstdarstellung und Interaktion.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Moderatorhypothese nicht bestätigt werden konnte. Von den 54 Tests (alle Selbstdarstellungs- und Interaktionsvariablen, je 27 Variablen mit dem NPI und NI als Prädiktor) ergibt sich nur für zwei Kriterien eine signifikante Interaktion für den offenen Narzissmus („Anzahl der Gruppen „Arbeit und Beruf“: ß = .19, p < .01; Anzahl der Gruppen „Partys, Alkohol und Events“: ß = .18, p < .01). Diese Resultate sind vereinzelt und lassen keine allgemeinen Schlussfolgerungen zu. Daher kann die Hypothese 6 als im Wesentlichen wiederlegt betrachtet werden. Sensation Seeking scheint in der Regel nicht als Moderator zwischen Narzissmus und Selbstdarstellung zu fungieren.

Tabelle 4: Korrelationen zwischen Alter, Geschlecht und Persönlichkeitsmerkmalen sowie interne Konsistenzen, N = 181.
figure4

Tabelle 5: Korrelationen der Persönlichkeitsmerkmale mit Selbstdarstellungsmaßen, N = 181.
figure5
5 Diskussion

Das Anliegen dieser Studie war es, der Antwort auf die Frage näher zu kommen, inwiefern die Persönlichkeitsmerkmale Narzissmus, Sensation Seeking und Extraversion mit der Selbstdarstellung und sozialen Interaktion auf der Internetplattform StudiVZ zusammenhängen. Im Folgenden werden auf dem Hintergrund früherer Erkenntnisse in diesem Forschungsbereich die Ergebnisse der vorliegenden Studie diskutiert.

5.1 Zu den Hypothesen

Die Ergebnisse der Untersuchung entsprechen größtenteils den Erwartungen. Da Extraversion ein Merkmal der narzisstischen Persönlichkeit ist (Paulhus & Williams, 2002), überrascht ihr positiver Zusammenhang mit offenem Narzissmus nicht, den bereits Hendin und Cheek (1997) nachweisen konnten. Dagegen ist die positive Korrelation der Extraversion mit dem verdeckten Narzissmus unerwartet, da sich diese Narzissmusform durch soziale Ängstlichkeit auszeichnet (Dickinson & Pincus, 2003). Vermutlich beruht dieses Ergebnis auf der inhaltlichen Überlappung der beiden Narzissmusformen. Beide Ausprägungen haben einen bestimmten Anteil des Gesamtkonstrukts Narzissmus miteinander gemeinsam. Möglicherweise verursacht dieser Anteil den Zusammenhang zwischen verdecktem Narzissmus und Extraversion. Diese Vermutung wird durch eine partielle Korrelationsanalyse weitgehend bestätigt. Wenn offener Narzissmus aus dem Zusammenhang zwischen verdecktem Narzissmus und Extraversion auspartialisiert wird, sinkt die Korrelation von r = .37 auf r12.3 = .14 (n.s.). Der positive Zusammenhang zwischen Extraversion und Sensation Seeking entspricht früheren Ergebnissen (z. B. Bone & Montgomery, 1970), wobei die Höhe der hier gefundenen Korrelation die bisher berichtete in der Tendenz übertrifft. Auch der vermutete Zusammenhang zwischen Narzissmus und Sensation Seeking wurde für beide Narzissmusformen signifikant nachgewiesen. Weiterhin wurde entsprechend den Ergebnissen von Zuckerman (1994) gezeigt, dass Männer höhere Sensation Seeking Werte haben als Frauen. Dies lässt sich auf der Grundlage neurobiologischer Erkenntnisse dadurch erklären, dass Sensation Seeking höhere Testosteronwerte zugrunde liegen (Ruch & Zuckerman, 2001). Obwohl in früheren Untersuchungen berichtet (Zuckerman, 1994), konnte aufgrund der geringen Altersvarianz der Stichprobe nicht nachgewiesen werden, dass jüngere Personen höhere Sensation Seeking Werte haben als ältere. Dafür ist vermutlich die Einschränkung des Altersrange der Befragten verantwortlich.

Mehrere Selbstdarstellungsmaße hängen mit den untersuchten Persönlichkeitsmerkmalen zusammen. So korreliert die Gruppenanzahl signifikant positiv mit allen Dispositionen. Im StudiVZ gibt es sehr viele Diskussionsgruppen zu unterschiedlichsten Inhaltsbereichen, sodass jeder im Gesamtpool die Gruppen finden kann, welche am ehesten seiner Persönlichkeit entsprechen. Viele Gruppen enthalten trotz einer hohen Mitgliederanzahl kaum Diskussionsthemen. Dies spricht dafür, dass meist der Gruppenname und seine Passung zum Eindruck, den man von sich vermitteln möchte, und weniger der Diskussionsbedarf über den Gruppenbeitritt entscheidet. Auch kann jedes Mitglied selbst neue Gruppen gründen. So überrascht es nicht, dass die Gruppenanzahl als Selbstdarstellungsmerkmal signifikant positiv mit allen Dispositionen korreliert. Was dagegen überraschen könnte, ist der positive Zusammenhang zwischen dem offenen Narzissmus und der Gruppenkategorie „Partys, Alkohol und Events“. Narzissten sind darum bemüht in einem möglichst positiven Licht gesehen zu werden. Gruppen mit Namen wie „Feiern bis der Notarzt kommt!“ scheinen diesem Zweck nicht zu entsprechen. Andererseits könnte die Mitgliedschaft in solchen Gruppen auch eine Strategie darstellen, um anderen zu vermitteln, dass man beliebt und überall ein gern gesehener Gast ist. Dazu würde auch passen, dass offene Narzissten dazu neigen Partybilder als Profilfotos zu wählen.

Bei der schriftlichen Selbstdarstellung besteht nur zwischen der Gesamtanzahl verwendeter Worte und den beiden Narzissmusformen sowie Sensation Seeking ein signifikant positiver Zusammenhang. Für die Anzahl der ausgefüllten Felder finden sich keine systematischen Verbindungen mit den Persönlichkeitsvariablen. Vielleicht kann das damit erklärt werden, dass StudiVZ-Mitglieder generell weniger Informationen über sich preisgeben. Dies könnte daran liegen, dass die seit 2008 auf der Plattform eingeführte personalisierte Werbung vielen Nutzern das Gefühl des Eindringens in ihre virtuelle Privatsphäre gibt. Die meisten Nutzer legen jedoch offensichtlich großen Wert auf diese, wie man an der Häufigkeit der begrenzten Profilsichtbarkeit, die die Nutzer für ihre Seiten wählen, erkennen kann.

Alle vier Persönlichkeitsmerkmale korrelieren signifikant positiv mit beiden Interaktionsmaßen. Der positive Zusammenhang zwischen der Anzahl der Freunde und Pinnwandeinträge mit Extraversion entspricht den Erwartungen. Extravertierte zeichnen sich im realen Leben dadurch aus, dass sie die Gesellschaft anderer suchen und viele Freunde haben (Borkenau & Ostendorf, 1993). Diese Tendenz behalten sie offensichtlich auch in der virtuellen Welt bei. Dies wird in der Studie von Krämer und Winter (2008) allerdings nicht nachgewiesen. Eventuell lässt sich das durch die kleinere Stichprobe (58 Teilnehmer) und eine niedrigere Anzahl virtueller Freunde (M = 91.78, SD = 51.73) als in der vorliegende Untersuchung erklären. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Buffardi und Campbell (2008) auf der Internetplattform Facebook und Mara (2009) auf StudiVZ hängt die Narzissmusausprägung positiv mit der Freundesanzahl zusammen. Dies gilt auch für die Anzahl der Pinnwandeinträge. Für den offenen Narzissmus ist dieses Ergebnis erwartungsgemäß. Offene Narzissten tendieren auch in der Offline-Welt dazu schnell viele oberflächliche Kontakte zu knüpfen. Da im Web 2.0 die synchrone Interaktion nur begrenzt möglich ist, können diese Kontakte länger aufrechterhalten werden, ohne dass die selbstsüchtigen und arroganten Züge offener Narzissten von anderen erkannt werden und der Beziehung schaden können. Dass sich verdeckte Narzissten ebenfalls durch eine hohe virtuelle Interaktion auszeichnen, obwohl diese Personen in der realen Welt durch sozialen Rückzug gekennzeichnet sind (Dickinson & Pincus, 2003), kann eventuell durch den Mangel an direktem Kontakt in der Online-Interaktion erklärt werden. Im Gegensatz zur realen unterliegt die virtuelle Interaktion viel stärker der Kontrolle der Interaktionspartner. Dies nimmt den verdeckten Narzissten möglicherweise die soziale Hemmung, die sie in Alltagssituationen normalerweise empfinden. Darüber hinaus gilt: Auch hohe Sensation Seeker scheinen ihren Drang nach neuen Erfahrungen durch vielfältigen sozialen Kontakt in der virtuellen Welt auszuleben.

In welcher Beziehung steht die Sensation Seeking Ausprägung mit Narzissmus und Selbstdarstellung? Der in Hypothese 6 vermutete Interaktionseffekt zwischen Narzissmus und Sensation Seeking wurde nicht bestätigt. Es gibt unabhängige Effekte beider Persönlichkeitseigenschaften, wobei meistens Sensation Seeking in seiner Bedeutung als Prädiktor von Narzissmus übertroffen wird. Jedenfalls kann auf der Grundlage der aktuellen Ergebnisse nicht von einem Moderatoreffekt durch Sensation Seeking ausgegangen werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aus den Inhalten der StudiVZ-Profile gut auf die Persönlichkeitszüge der Besitzer geschlossen werden kann. Trotzdem ist Vorsicht geboten im Hinblick auf die Aussage, dass die hohen narzisstischen Züge der Mitglieder von Internetplattformen durch ihre Nutzung verstärkt werden. Um feststellen zu können, ob dies tatsächlich der Fall ist, ist eine genaue Untersuchung des Konstrukts Narzissmus sowie aller weiteren Konstrukte, die mit ihm zusammenhängen, nötig.

5.2 Ist das Web 2.0 tatsächlich „schuld“ an den narzisstischen Tendenzen seiner Nutzer?

Wie schon in der Einleitung dargestellt nimmt Twenge an, dass die sozialen Netzwerke die narzisstischen Züge ihrer Mitglieder nicht nur zum Vorschein bringen, sondern auch verstärken. Dies betrifft vor allem die jüngere Generation, die zur Hauptnutzergruppe der sozialen Plattformen gehört (Twenge & Campbell, 2009). Inwieweit diese Annahme gerechtfertigt ist, lässt sich im Hinblick auf die vorliegenden Forschungsergebnisse nicht eindeutig klären. Was jedoch auffällt, wenn man die Untersuchungen zur Narzissmusausprägung vergleicht, ist, dass je aktueller die Studie ist, desto höher die berichteten Narzissmuswerte sind. So wurde z. B. in einer Arbeit von 1994 ein mittlerer NPI-Wert von 11.57 gefunden (Zimmermann, 1994). Dieser lag deutlich unter dem Mittelwert des offenen Narzissmus der vorliegenden Untersuchung (M = 16.49, SD = 9.30). Auch ist nicht zu leugnen, dass soziale Netzwerkseiten immer stärker das menschliche Leben im beruflichen und privaten Bereich prägen. Laut einer Umfrage legen immer mehr Firmen großen Wert auf ihren Auftritt im Web 2.0 und suchen nach ihren Bewerbern auch auf sozialen Netzwerkseiten . Und auch das Angebot von Plattformen wie ElitePartner, die dem einsamen Internetnutzer den perfekten Partner fürs Leben zu finden versprechen, wird immer häufiger genutzt, wie die Ergebnisse einer Online-Umfrage zeigen (Statista, 2007).

Das Internet und vor allem das Web 2.0 spielen in der heutigen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Die Frage ist aber, ob eine negative Wirkung auf die Nutzer ausgeübt wird, indem bei diesen unerwünschte Persönlichkeitsausprägungen verstärkt werden? Das Auftreten einer solchen Negativwirkung kann bezweifelt werden. Die sozialen Netzwerke des Web 2.0 sind eines der vielen von Menschen entwickelten Medien, deren Hauptzweck die Kommunikation und Aufrechterhaltung bestehender Beziehungen ist (Döring, 2003). Wieso sollte dieses Medium gefährlicher sein als alle anderen? Das Web 2.0 hat wie jede andere menschliche Erfindung seine Vor- und Nachteile. Solange die Nutzung der Internetseiten, wie sie von StudiVZ angeboten werden, nicht zur Sucht wird, bestehen wohl kaum besondere Probleme. Denn derjenige, der narzisstisch veranlagt ist, wird sich in der modernen Welt, sei sie virtuell oder real, die Möglichkeit schaffen, durch seine Selbstdarstellung in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu rücken.

6 Einschränkungen der vorliegenden Untersuchung

Die Anzahl der ausgefüllten Felder als ein Maß der schriftlichen Selbstdarstellung hängt nicht mit den untersuchten Persönlichkeitsmerkmalen zusammen. Dies kann möglicherweise durch das Streben der Nutzer nach Wahrung ihrer Privatsphäre erklärt werden. Andererseits besteht ein positiver Zusammenhang zwi-schen der Gesamtanzahl der Worte und den Merkmalen Narzissmus und Sensation Seeking. Das könnte bedeuten, dass Narzissten und Sensation Seeker dazu tendieren mehr Informationen über sich zu berichten, dies jedoch nur unter bestimmten Kategorien tun. In weiteren Studien könnte untersucht werden, welche Felder am häufigsten ausgefüllt werden. Ein weiteres Ergebnis besagt, dass narzisstische und extravertierte Personen mehr virtuelle Fotoalben besitzen. Ob sie jedoch auch mehr Fotos veröffentlichen als Nutzer mit einer geringeren Ausprägung dieser Merkmale, bleibt offen, da die Gesamtanzahl der hochgeladenen Bilder nicht erhoben wurde. Vermutlich hängt aber die Anzahl der Bilder mit der Anzahl der Fotoalben positiv zusammen.

Schließlich kann noch kritisch angemerkt werden, dass die soziale Interaktion nur durch zwei Maße, nämlich die Anzahl der Freunde und Pinnwandeinträge, operationalisiert wurde. In zukünftigen Studien wäre es wünschenswert, diese Indikatoren der sozialen Interaktion durch weitere wie Anzahl der am Tag geschickten und erhaltenen Nachrichten zu ergänzen.

Es sei noch angemerkt, dass die Teilnehmer ihre Profile unter der Ansicht „Meine Seite“ speicherten. Die Profile wurden mithilfe des erhobenen VP-Codes den Fragebögen zugeordnet. Diese Vorgehensweise war notwendig, um Aussagen bezüglich des Zusammenhangs zwischen der Selbstdarstellung und sozialen Interaktion im StudiVZ auf der einen und den Persönlichkeitsmerkmalen auf der anderen Seite treffen zu können. Alle 181 Teilnehmer gaben explizit die Erlaubnis ihre Daten auf diese Weise zum Zwecke der Untersuchung auszuwerten. Bei der Auswertung wurden persönliche Daten weggelassen.

7 Ausblick

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale mit einer erhöhten Selbstdarstellung und Interaktion auf der StudiVZ-Plattform einhergehen. Twenge und Campbell (2009) stellen die Behauptung auf, dass die jüngeren Web 2.0 Nutzer besonders narzisstisch auftreten. Um diese Behauptung zu prüfen, könnte man in einer weiteren Untersuchung jüngere und ältere Nutzer ähnlicher Plattformen miteinander vergleichen. Noch weiterführend wäre eine Längsschnittuntersuchung, bei der die Nutzer über mehrere Jahre beobachtet werden, um zu testen, ob ihre Narzissmuswerte tatsächlich mit der Zeit steigen und ob dieser Anstieg mit dem Ausmaß ihrer Internetnutzung zusammenhängt.

Des Weiteren könnte man einen Vergleich der Netzwerkmitglieder aus unterschiedlichen Kulturkreisen anstellen. Es ist vorstellbar, dass die Zusammenhänge zwischen den Persönlichkeitseigenschaften und der Online-Selbstdarstellung auch davon abhängen, ob man einer individualistischen oder kollektivistischen Kultur angehört. Da in der vorliegenden Untersuchung zur Erfassung des Sensation Seeking nur die Skala DIS verwendet wurde, bietet es sich für zukünftige Studien an, alle SSS-V Items in die Untersuchung einzubeziehen. Auf dieser Basis könnte in umfassender Weise getestet werden, ob Sensation Seeking ein bedeutsamer Moderator für die Beziehung zwischen Narzissmus und virtueller Selbstdarstellung ist.

8 Schlussfolgerung

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Narzissmus, Sensation Seeking und Extraverion in einem systematischen Zusammenhang mit unterschiedlichen Merkmalen der Selbstdarstellung und sozialen Interaktion auf der StudiVZ-Plattform stehen. Diese Zusammenhänge beruhen auf unabhängigen Datenquellen (Gestaltung der StudiVZ-Profile einerseits und Fragebögen andererseits), so dass sie sich nicht als Halo-Effekt oder „Self-report bias“ interpretieren lassen. Insofern beruhen die empirischen Aussagen, die wir getroffen haben, auf einer soliden methodischen Basis und können für weitere Untersuchungen zur Grundlage genommen werden.

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Korrespondenzadresse:

Julia Brailovskaia (M.Sc. Klinische Psychologie)
Fakultät für Psychologie
Ruhr-Universität Bochum
Universitätsstraße 150
D-44801 Bochum
Deutschland
julia.br@gmx.de

„Burnout?“ – „Nein, danke. Ich hab schon.“ Wie die Präsenz von Burnout die Einschätzung unserer Gesundheit beeinflusst

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1 Einleitung

Es dauert 0,26 Sekunden, um bei Google 60.400.000 Treffer zu dem Begriff „Burnout“ zu finden. Wenn man das Wort „Volkskrankheit“ in die Suchleiste der Suchmaschine eingibt, so erhält man den Vorschlag von Google, nach „Volkskrankheit Burnout“ zu suchen. Im Dezember 2011 erhielt der Begriff Burnout den sechsten Platz der Wörter des Jahres von der Gesellschaft für deutsche Sprache (Hegerl, 2012). Das Thema Burnout hat bereits die Titelblätter nahezu aller Zeitungen und Zeitschriften geschmückt. So sprach der „Focus“ in seinem Titelthema von der „Generation Burnout“ und veröffentlichte sogleich die Liste der Top 131 Mediziner für psychische Krankheiten (Bartholomäus, 2011). Die Redaktion des „Spiegel“ weiß schon lange, „Burnout ist für alle da“ (Greiner & Sander, 2012), und das Manager Magazin wirbt damit, das erste deutsche Burnout-Ranking veröffentlichen zu können (Buchhorn, Kröher & Werle, 2012). Zahlreiche Veröffentlichungen mit Informationen zu Ursachen und Symptomatik, oft eingebettet in eine emotionale Geschichte mit hohem Identifikationsgrad, sorgen für ein breitgefächertes Wissen in der Bevölkerung.

„Wird es denn häufiger?“, fragt Burisch (2006, S. IX) in seinem Vorwort und bezieht sich damit auf die Karriere des Burnout-Begriffs. Bei Betrachtung der zwischen 2004 und 2010 angestiegenen Zahl der Burnout-bedingten Arbeitsunfähigkeitstage in deutschen Unternehmen von 8,1 auf 72,3 pro 1000 Versicherte (Buchhorn et al., 2012) liegt die Vermutung nahe, dass die (gesellschaftliche) Bereitschaft, eine Symptomatik als Burnout zu klassifizieren, ebenfalls gewachsen ist. In einer Umfrage des Deutschen Führungskräfteverbands äußerten 76% der befragten Mitglieder, die Häufigkeit beruflicher Burnouts habe in ihrem unmittelbaren Umfeld zugenommen (Buchhorn et al., 2012). Viele Autoren sprechen von der Burnout-Epidemie (Hillert & Marwitz, 2006) oder auch von einem grassierenden Burnout-Virus (Brühlmann, 2007), um die gesellschaftliche Orientierung hinsichtlich des Symptom-Komplexes psychischer Erkrankungen zu beschreiben.

Obgleich Burnout noch häufig als ein stigmatisiertes Tabuthema charakterisiert wird, weist die zunehmende Popularisierung des Begriffs in eine andere Richtung. Eine zentrale Rolle übernehmen dabei die Medien, die durch stetige und aktuelle Thematisierung nahezu eine Legitimation des Begriffs erzielen. Eine Legitimation, die dazu führt, dass wir nicht nur Burnout-gefährdeter sondern zugleich auch Burnout-begeisterter sind (Pawelzik, 2011)? Die Hürde, sich als verletzlich und „kaputtbar“ zu outen, kann genommen werden, da man sich an einer gesellschaftlich zeitgemäßen Erscheinung orientiert. Ist eine kranke Gesellschaft die Folge der Konfrontation mit bewussten und unbewussten Burnout-Stimuli?

Dieser Sachverhalt geht mit der Vermutung einher, dass die Menschen aufgrund der vermehrten Konfrontation mit der Burnout-Thematik in verschiedenen Lebensbereichen dazu tendieren, die vermittelten Informationen mit ihrem eigenen physischen und psychischen Wohlbefinden in Zusammenhang zu bringen.
Kurzzeitig erlebte Symptome werden durch das erweiterte Bewusstsein und die erhöhte Sensibilisierung für das Syndrom direkt auf ein sich anbahnendes Burnout zurückgeführt, ohne dass das Erleben und Verhalten eine für Burnout diagnostische Basis haben muss.

Infolgedessen stellen sich folgende Fragen: Ist Burnout übertragbar? Und inwieweit spielt die mediale und soziale Präsenz von Burnout eine Rolle bei dem Prozess, der die Menschen berechtigter oder unberechtigter Weise das Etikett Burnout für sich aufgreifen lässt?

2 Begriffsverständnis und Zielsetzung

In der vorgestellten Studie wurde untersucht, ob und wie stark die Präsenz von Burnout, die sich sowohl in den Medien, in der Gesellschaft und in den sozialen Kontexten der Menschen niederschlägt, wahrgenommen wird und ob diese die Einschätzung der eigenen Gesundheit hinsichtlich des individuellen Burnout-Levels beeinflusst. Des Weiteren untersucht die Studie inwieweit sich das Persönlichkeitsmerkmal Empfänglichkeit auf den Einfluss der Burnout-Präsenz auf die eigene Burnout-Einschätzung auswirkt. Nach Kenntnis der Verfasser hat sich die Forschung mit dieser Auswirkung von Burnout noch kaum befasst.
Der Begriff Burnout ist ein wissenschaftliches Konstrukt, das aus verschiedenen Facetten besteht. Eine allgemeingültige, international akzeptierte Definition von Burnout gibt es derzeit nicht (Kaschka, Korczak & Broich, 2011). Dennoch finden sich zahlreiche Definitionsversuche in der Literatur, und es besteht ein Konsens über wiederkehrende, identifizierbare Gleichmäßigkeiten des Burnout-Phänomens (Burisch, 2006). An den von Christina Maslach 1981 erstmals beschriebenen drei Hauptdimensionen von Burnout, Erschöpfung, Depersonalisation (Zynismus) und Ineffektivität (reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit), orientieren sich weiterhin zahlreiche Autoren in ihren Versuchen, den umfassenden Systemkomplex Burnout zu charakterisieren (vgl. Burisch, 2006; Cherniss, 1980; Pines & Aronson, 1988; Schulze & Rössler, 2006).

Eine von Schaufeli und Enzmann (1998, S. 36) vorgeschlagene Begriffsbestimmung des Burnout-Konstruktes soll zahlreiche Definitionsversuche zusammenfassend beschreiben:

„Burnout ist ein dauerhafter, negativer, arbeitsbezogener Seelenzustand ‘normaler‘ Individuen. Er ist in erster Linie von Erschöpfung gekennzeichnet, begleitet von Unruhe und Anspannung (distress), einem Gefühl verringerter Effektivität, gesunkener Motivation und der Entwicklung dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit. Diese psychische Verfassung entwickelt sich nach und nach, kann dem Betroffenen aber lange unbemerkt bleiben. Sie resultiert aus einer Fehlpassung von Intentionen und Berufsrealität. Burnout erhält sich wegen ungünstiger Bewältigungsstrategien, die mit dem Syndrom zusammenhängen, oft selbst aufrecht“.

Das Fehlen einer allgemein akzeptierten Definition führt jedoch zu der Situation, „dass Burnout beinahe alles und damit nichts ist“ (Burisch, 2006, S. 20). In der vorliegenden Arbeit stimmt die Definition von Schaufeli und Enzmann (1998) mit dem Burnout-Verständnis der Verfasser überein und bietet folglich die definitorische Grundlage.

Gesellschaftliche Einflüsse auf die Entstehung von Burnout wurden bisher kaum untersucht. 1982 stellte Howard J. Karger bereits fest, dass Burnout dadurch, dass es in die Privatsphäre verbannt sei, nicht zum sozialen und gesellschaftlichen Problem werde (Geyerhofer & Unterholzer, 2009). Diese Annahme ist für die Fragestellung der vorliegenden Studie von besonders großem Interesse, da sich in den letzten Jahren ein Wandel in der Gesellschaft vollzogen hat. Der Gedanke, Burnout in den privaten Kontext der Menschen zu verbannen, hat sich durch die stetige Thematisierung des Syndroms in der Gesellschaft verändert und wesentlichen Einfluss auf dessen heutige Wahrnehmung als soziales Problem.

3 Effekte der emotionalen Übertragung

Die Erforschung der Nosologie von Burnout hat ergeben, dass sich das Syndrom in verhaltens- und sozial-bezogenen Symptomen manifestiert, was darauf hinweist, dass diese Burnout-Symptome auch von anderen bemerkt werden können (Schaufeli & Enzmann, 1998). Dieser Sachverhalt wird besonders dann relevant, wenn nichtbetroffene Personen den Symptomen der Burnout-Betroffenen ausgesetzt sind und die Wahrscheinlichkeit einer Symptom-Übertragung dadurch ermöglicht wird. Diese Erkenntnis bildet eine zentrale Komponente in Hinblick auf das Untersuchungsziel, da Übertragungsprozesse eine bedeutsame Rolle bei der Einschätzung der eigenen Gesundheit spielen können.

Einige Forscher wie Cherniss (1980), Edelwich und Brodsky (1980) haben schon früh behauptet, dass Burnout „ansteckend“ sein kann. Dennoch mangelte es lange Zeit an der empirischen Untermauerung dieser Hypothese und einer Untersuchung des Übertragungsprozesses von Burnout von einer zu einer anderen Person (Bakker & Schaufeli, 2000).

Der erste Hinweis für die ansteckende Beschaffenheit von Burnout ergab sich aus einer Studie von Rountree (1984), der über 180 Arbeitsgruppen in 20 verschiedenen Arbeitsumgebungen untersuchte. Er beobachtete, dass nahezu 90% der Personen die hohe Burnout-Werte aufwiesen, Mitglieder von Arbeitsgruppen waren, deren Gruppenmitglieder zu wenigstens 50% an fortgeschrittenem Burnout litten. Golembiewski, Munzenrider und Stevenson (1986) fassten nach ergänzenden Studien zusammen, dass eine Tendenz zur Konzentrierung von hohen bzw. niedrigen Burnout-Werten darauf hinweise, dass es Übertragungs- bzw. Resonanzeffekte geben kann.

Bei der Frage, wie diese Übertragung erklärt werden kann, argumentieren Buunk und Schaufeli (1993), dass die Kollegen, deren Symptome im Zuge des emotionalen Übertragungsprozesses imitiert werden, wie Vorbilder fungieren: Personen, die unter Stress stehen, werden die Symptome ihrer Kollegen bemerken und diese automatisch übernehmen. Die Autoren vergleichen den Prozess mit dem der emotionalen Übertragung, der die Tendenz beschreibt, automatisch die Gesichtsausdrücke, Vokalisierungen, Haltungen und Bewegungen einer anderen Person zu übernehmen oder sich anzupassen und somit emotional konvergent zu verlaufen. Dieser Vorgang wurde in zahlreichen Studien untersucht (vgl. auch Cacioppo & Rapson, 1994; Chartrand & Bargh, 1999; Ekmann, Friesen & Scherer, 1976; Kelly & Barsade, 2001). Dabei liegt der Fokus auf der unbewussten Übertragung.

Bakker und Schaufeli (2000) nennen eine zweite Möglichkeit, die Emotionen anderer „aufzuschnappen“. Die Übertragung kann während eines kognitiv gesteuerten Prozesses ablaufen, bei dem es darum geht, sich in die Gefühle anderer hineinzuversetzen. Das bewusste Wahrnehmen der Gefühle einer anderen Person führt dazu, dass sich die Person an eigene ähnliche Situationen erinnert und infolgedessen vergleichbare Emotionen auftreten (Hsee, Hatfield, Carlson & Chemtob, 1990). McIntosh, Druckmann und Zajonc (1994) halten fest, dass negative Emotionen ansteckender sind als positive, und weisen darauf hin, dass Burnout-Symptome folglich besonders geeignet für emotionale Ansteckung sind. In Ergänzung dazu dient die in mehreren Studien erwiesene ansteckende Depression, die wiederum ein mit Burnout eng zusammenhängendes Syndrom darstellt (Bakker et al., 2000a; Glass, McKnight & Valdimarsdottir 1993; Howes, Hokanson & Lowenstein, 1985; Leiter & Durup, 1994; Schaufeli & Enzmann, 1998).

Dennoch ist anzumerken, wie die zuvor erwähnten Erkenntnisse von Rountree (1984) demonstrierten, dass Personen, die sehr hohe bzw. niedrige Burnout-Werte aufweisen, auch häufig Bestandteil eines Teams sind, nicht notwendigerweise die Folge eines Übertragungsprozesses sind. Es ist daher anzunehmen, dass Burnout innerhalb einer Arbeitsgruppe besonders prävalent sein kann, weil die Arbeitsbelastung in dieser Gruppe aufgrund von Absentismus der Betroffenen sehr hoch ist.

Die Untersuchungen der Übertragung von Burnout gehen jedoch auch über den Arbeitskontext hinaus, was insofern mit der Annahme der hier vorgestellten Studie übereinstimmt, dass die Präsenz von Burnout auch Auswirkungen auf Personen in anderen Kontexten haben kann. Bolger, DeLongis, Kessler und Wethington (1989) beschreiben den Übergang (crossover) als interpersonalen Prozess, der auftritt, wenn der von einer Person empfundene Stress sich auf das Stresslevel einer anderen Person in dem gleichen sozialen Umfeld auswirkt. So konnten beispielsweise die Ergebnisse von Bakker (2009), Bakker, Demerouti & Schaufeli (2005) und Westman, Etzion & Danon (2001) die Annahme, dass Burnout eines Arbeitsnehmers auf den Beziehungspartner übertritt und dessen Gesundheit beeinflusst, bestätigen. Aus den aufgeführten Untersuchungen (vgl. darüber hinaus auch Bakker, Schaufeli, Sixma, Bosveld & Van Dierendonck, 2000b; Bakker, Van Emmerik & Euwema, 2006; Bakker, Westman & Schaufeli, 2007; Hatfield, Cacioppo & Rapson, 1994) lässt sich ableiten, dass ein Übertragungsprozess von einer unter Burnout leidenden Person auf weitere Personen möglich ist. Dabei kann der Vorgang im arbeitsbezogenen und im privaten Kontext zwischen zwei oder mehreren Personen stattfinden. Diese Erkenntnisse bieten die Grundlage für die Untersuchung der vorliegenden Arbeit, bei welcher der Übertragungsaspekt eine zentrale Rolle spielt. Dabei spielt jedoch die Ansteckung einer Person „lediglich“ aufgrund des Kontaktes mit einer Burnout-betroffenen Person eine untergeordnete Rolle. Im primären Fokus der Betrachtung stehen die kumulierten Begegnungen mit Burnout in unterschiedlichen Kontexten, die in der Summe eine aggregierte Wahrnehmung der Burnout-Präsenz ergeben.

4 Empfänglichkeit

Es wird davon ausgegangen, dass die Übertragungskraft von Burnout-Symptomen von einer betroffenen Person auf eine oder mehrere andere Personen maßgeblich von deren Grad der Empfänglichkeit für emotionale Ansteckung abhängt. Die Empfänglichkeit beschreibt den Grad, zu welchem eine Person anfällig ist, sich an den Emotionen anderer „anzustecken“ und diese zu teilen (Siebert, Siebert & Taylor-McLaughlin, 2007).

Gemäß Doherty (1997) tragen auch die Gene, das Geschlecht, frühe Erlebnisse und Persönlichkeitsmerkmale zu den individuellen Unterschieden der Empfänglichkeit für emotionale Ansteckung bei. Temperament, Einstellung, Ablenkbarkeit, Aufmerksamkeitsspanne, die Grenze und Intensität der Empfindlichkeit beeinflussen demnach die Empfänglichkeit. Hatfield et al. (1994) behaupten, dass es einige Umstände gibt, unter denen es besonders wahrscheinlich ist, die Emotionen anderer auf sich selbst zu übertragen. Dabei handelt es sich um den Fall, wenn Menschen sehr aufmerksam anderen gegenüber sind und sich selbst mit anderen zusammenhängend wahrnehmen anstatt sich unabhängig und einzigartig zu fühlen. Darüber hinaus tendieren die Menschen dazu, Gesichtsausdrücke, Laute und Haltungen zu mimen. Ihre emotionalen Erlebnisse und Erfahrungen werden durch externes Feedback beeinflusst. Gemäß der wachsenden Anzahl der Modelle zu Teamarbeit in modernen Organisationen ist es daher wahrscheinlich, dass die Mitarbeiter tatsächlich stärkere Interdependenz verspüren und folglich sensibler gegenüber den Gefühlszuständen ihrer Kollegen sind (Bakker, Westman & Van Emmerik, 2009)

Westman und Vinokur (1998) beschreiben eine enge Verknüpfung der emotionalen Ansteckung und der Empathie. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Empathie ist das „Hineinfühlen“. Starcevic und Piontek (1997) definieren Empathie als interpersonelle Kommunikation, die hauptsächlich eine emotionale Struktur aufweist. Empathie umfasst die Kapazität eines Menschen, sich imaginativ in das Denken, Fühlen und Handeln eines anderen hineinzuversetzen (Allport, 1937/1961) und erfordert nicht nur die Fähigkeit der Differenzierung zwischen den eigenen psychologischen Eigenschaften und denen der anderen, sondern auch die Fähigkeit die Rolle eines anderen anzunehmen (Feshbach, 1978). Die empathische Identifikation beschreibt, dass eine Anspannung einer Person eine empathische Reaktion des Partners hervorruft und dessen Leiden erhöht. Verfechter der sozialen Lerntheorie (Bandura, 1969; Stotland, 1969) unterstützen diese Sichtweise und beschreiben die Übertragung von Emotionen als eine bewusste Verarbeitung von Informationen: Personen stellen sich vor, wie sie sich in der Position eines anderen fühlen würden (empathische Identifikation), erleben diese und teilen folglich die Gefühle des anderen. Eckenrode und Gore (1981) erwähnen, dass die Übertragung der Anspannung einer Person auf das Leiden des Ehepartners zum Beispiel aus Gedanken wie: ‚Wir spüren ihren Schmerz wie unseren eigenen.‘, resultiert.

Die Empfänglichkeit ist ein zentraler Bestandteil für die emotionale Übertragung. Bakker et. al. (2000b) beobachteten einen positiven Zusammenhang zwischen der individuellen Empfänglichkeit für emotionale Übertragung und Burnout bei Allgemeinärzten. Im Einklang dazu steht die Prognose von Hatfield et al. (1994), dass die Empfänglichkeit für die Emotionen anderer besonders in Beziehung mit Burnout bei Ärzten auftritt, die viele unter Burnout leidende Kollegen haben. Unterstützt werden diese Erkenntnisse durch die Studie von Bakker und Schaufeli (2000), die ergab, dass Lehrer am wahrscheinlichsten zu Burnout neigen wenn sie besonders anfällig für die Emotionen und negativen Äußerungen ihrer Kollegen sind.

Werden die Ergebnisse dieser Untersuchungen auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit übertragen, so kann die individuelle Empfänglichkeit der Menschen eine zentrale Rolle dabei spielen, wie stark sie sich auf die Gefühlszustände und Empfindungen anderer einlassen und eine potentielle Übertragung auf sich selbst ermöglichen.

Zusammenfassend lassen sich im Modell der progressiven Burnout-Perspektive wie Abbildung 1 zeigt folgende bedeutsame Faktoren festhalten und auf vier Ebenen beschreiben:

Abb1
Abbildung 1: Das Modell der progressiven Burnout-Perspektive.

Die erste Ebene beschreibt die ätiologischen Einflüsse, die eine Entstehung von Burnout begünstigen. Wird dieses durch ein vorhandenes Ungleichgewicht in einem oder mehreren der drei zentralen Ursachenfelder hervorgerufen, so äußert es sich auf der zweiten Ebene in Form von syndromalen Burnout-Charakteristika. Die nachfolgende, dritte Ebene weist auf die Präsenz des Syndroms in der Gesellschaft hin, welche sich insbesondere bei den betroffenen Personengruppen niederschlägt. Ferner ist es gegenwärtig in den Medien und in der interpersonalen Kommunikation. Potentielle Begegnungen mit der Burnout-Präsenz resultieren daraus, dass die Personen darüber sprechen, darüber hören, etwas darüber lesen oder sehen. Werden diese Konfrontationen mit Burnout als einzelne Impressionen summiert, so entsteht eine aggregierte Wahrnehmung der Burnout-Präsenz (kumulierte Präsenzebene) dessen Auswirkung auf die Einschätzung der individuellen Gesundheit es zu untersuchen gilt.

5 Untersuchungshypothesen

Die Annahmen der Untersuchungshypothesen sollen sich auf die drei zu untersuchenden Konstrukte beziehen: Burnout-Präsenz, Empfänglichkeit und das individuell eingeschätzte Burnout-Level.

Dabei liegt der Schwerpunkt dieses Kapitels auf der Vorstellung ausgewählter, zentraler Hypothesen, die mit ihrer Aussagekraft das Erkenntnisinteresse der Studie erfüllen können.

H1: Je größer die Präsenz von Burnout wahrgenommen wird, desto größer wird das individuelle Burnout-Level eingeschätzt.

Ähnlich der Studie von Lemal und Van den Bulck (2011) soll überprüft werden, ob eine hocheingestufte Präsenz von Burnout im Berufs-, Familien-, Freundes- und Medienkontext in einer hohen Einschätzung des individuellen Burnout-Levels resultiert.

H2: Je größer die Empfänglichkeit einer Person ist, desto größer ist die Einschätzung des individuellen Burnout-Levels.

Gemäß Siebert et. al. (2007) ist die Empfänglichkeit das Maß für die Anfälligkeit, sich von Emotionen anstecken zu lassen und zu teilen. Je empfänglicher und folglich anfälliger eine Person ist, desto mehr lässt sie sich von den Emotionen anderer anstecken und wird ihr individuelles Burnout-Level höher einschätzen.

H3: Die Empfänglichkeit hat einen Einfluss auf den Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Präsenz von Burnout und dem eingeschätzten individuellen Burnout-Level.

Der Grad der Empfänglichkeit bestimmt das Ausmaß, in welchem die Personen auf die Burnout-Präsenz reagieren und ihr individuelles Burnout-Level einschätzen. Korrespondierend dazu sind die Erkenntnisse von Bakker und Schaufeli (2000), die Burnout besonders bei den Lehrern feststellten, die ein hohes Maß an Empfänglichkeit aufwiesen.

H4: Je größer die mediale Präsenz von Burnout wahrgenommen wird, desto höher wird das individuelle Burnout-Level eingeschätzt.

Die mediale Präsenz bildet einen zentralen Bestandteil der Burnout-Präsenz. Durch die mediale Berichterstattung hat das Burnout-Syndrom viel Aufmerksamkeit gewonnen. Es ergibt sich die Vermutung, dass der Umfang der medialen Burnout-Perzeption mit dem Ausmaß der eigenen Burnout-Einschätzung in einem abhängigen Verhältnis steht.

6 Erhebungsdesign

Im Rahmen der empirischen Untersuchung des Einflusses der Burnout-Präsenz auf die Einschätzung der Gesundheit wurde eine Online-Befragung (Welker & Wünsch, 2010) als Methode der Datenerhebung ausgewählt. Gründe von entscheidender Relevanz für diese Methode waren der geringe Zeit- und Kostenaufwand sowie die Möglichkeit, eine große Anzahl von Personen erreichen zu können. Die schnelle Weiterverarbeitung der Daten wird durch das Vorliegen der Daten in digitaler Form ermöglicht und bietet einen Vorteil, der im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen der Untersuchung von Bedeutung ist. Die Erhebung der erforderlichen Daten erfolgte im Zeitraum vom 18.05.2012 bis zum 31.05.2012.

Die Versendung des Fragebogens erfolgte über das Soziale Netzwerk Facebook, das berufliche Netzwerk Xing sowie über einen eingerichteten Emailverteiler. Dabei ging jeder Nachricht ein persönliches Anschreiben voraus, das in wenigen Sätzen die Untersuchung erläuterte. Die URL-Adresse wurde zum Aufrufen des Fragebogens beigefügt. Weiterhin wurde eine neutrale Email mit einer kurzen Erläuterung der Untersuchung und dem beigefügten URL Link verfasst, die bei Interesse von den bereits befragten Personen an ihr Netzwerk weitergeleitet werden konnten. Das Untersuchungsziel wurde in den Anschreiben sehr allgemein formuliert, um mögliche Verzerrungseffekte in den Antworten zu vermeiden. Die potentiellen Probanden erhielten die Information, dass über Burnout in der Gesellschaft geforscht werde.

Nach einer kurzen Instruktion folgte der Fragebogen, der sich in vier Teile differenzieren lässt. Im ersten Teil wurde mit 20 Fragen bzw. 46 Items die Wahrnehmung der Burnout-Präsenz untersucht. Der sich anschließende, zweite Teil untersuchte mit elf Items die Empfänglichkeit der Probanden. Das individuelle Burnout-Level der Probanden wurde mit dreizehn Items gemessen. Der letzte Teil des Fragebogens setzte sich aus den soziodemografischen Daten zusammen. Insgesamt wurde eine Bearbeitungszeit von zehn Minuten eingeplant.

Im Rahmen der internetbasierten Befragung konnten insgesamt 297 Probanden für die Beantwortung des Fragebogens gewonnen werden. 259 Teilnehmer füllten den Fragebogen komplett aus, so dass ausschließlich deren Daten in der Analyse verwendet wurden. Es ist eine recht große Spannbreite in Bezug auf Alter, Berufserfahrung und Berufssektor vorhanden. An der Befragung nahmen 61% weibliche und 39% männliche Probanden teil. Das Alter wurde in Kategorien erfragt. Die erste Alterskategorie umfasste die Spanne von 15 bis 19 Jahren und die letzte Kategorie eine Altersspanne von 60 bis 64 Jahren (vgl. Abbildung 2).

Der Großteil der Probanden ist der zweiten (20 bis 24 Jahre; n = 83), dritten (25 bis 29 Jahre; n = 63) und vierten Altersklasse (30 bis 34 Jahre; n = 29) zuzuordnen, was einen Anteil von 67% aller Teilnehmer ausmacht. 19% der Probanden fallen in die achte (50 bis 54 Jahre; n = 21), neunte (55 bis 59 Jahre; n = 18) und letzte Alterskategorie (60 bis 64 Jahre; n = 9) (vgl. Abbildung 2).

Nahezu 50% aller Probanden gaben an, sich noch in der akademischen Ausbildung in Form von Studium und Promotion zu befinden, während ein gutes Drittel im Angestelltenstatus und in der Selbstständigkeit berufstätig war. 34% der Probanden gaben an im wirtschaftlichen Berufssektor tätig zu sein. 19% der befragten Teilnehmer waren dem sozialen und 12% dem medizinischen Berufsfeld zuzuordnen. Aus dem Berufskontext der Bildung waren 11%, des Journalismus und der Gastronomie jeweils 2% der Teilnehmer vertreten. 17% der Probanden konnten dem Berufssektor „Sonstiges“ zugeordnet werden, welcher sich zu 10% aus der beruflichen Tätigkeit im kreativen und gestalterischen Sektor zusammensetzte. Auch Probanden auf höheren Hierarchieebenen waren in der Stichprobe vertreten. Über ein Viertel der Stichprobe gab an, eine leitende Funktion mit Personalverantwortung zu haben. 37% der Probanden hatten null bis fünf Jahre Berufserfahrung. 17% gaben an, fünf bis zehn Jahre zu arbeiten und 46% standen seit mehr als zehn Jahren im Arbeitsleben.

Abbildung 2: 	Altersverteilung in der vorliegenden Stichprobe<br />
(N = 259) mit Alterskategorien in Fünf-Jahres-Schritten ab „15 bis 19 Jahre“ bis „60 bis 64 Jahre“.<br />
Abbildung 2: Altersverteilung in der vorliegenden Stichprobe
(N = 259) mit Alterskategorien in Fünf-Jahres-Schritten ab „15 bis 19 Jahre“ bis „60 bis 64 Jahre“.

Die Basis für die Erhebung der abhängigen Variable, das individuelle Burnout-Level, liefert das Copenhagen Burnout Inventory (CBI) (Kristensen, Borritz, Villadsen & Christensen, 2005). Das CBI überwindet als etabliertes Instrument die Einschränkung des häufiger verwendeten Maslach Burnout Inventory (Maslach & Jackson, 1986), das den Fokus auf die Messung von berufsbezogenem Burnout legt. Hingegen differenziert das CBI mit neunzehn Items zwischen persönlichem, arbeits- und klientenbezogenem Burnout (Milfont, Denny, Ameratunga, Robinson & Merry, 2008). Dabei wird davon ausgegangen, dass es sich bei Burnout um ein kontextfreies Phänomen handelt, dass nicht nur aufgrund der beruflichen Tätigkeit entstehen kann. Aus diesem Grund wurde für die durchgeführte Untersuchung Burnout auf Basis des CBI mittels der Items der ersten beiden Skalen gemessen.

Die auf persönliches Burnout bezogene Dimension (α = .90) misst mit sechs Items den erlebten Grad physischer und psychischer Müdigkeit und Erschöpfung der Person, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zur berufstätigen Bevölkerung und stellt somit eine generelle Burnout-Skala dar (bspw.: „Wie häufig sind Sie körperlich erschöpft?“). Die arbeitsbezogene Dimension (α = .74) misst den Grad physischer und psychischer Müdigkeit in Zusammenhang mit der Arbeit (bspw.: „Ist Ihre Arbeit emotional erschöpfend?“) (Milfont et. al., 2008). Dabei bilden die Items wesentliche Aspekte der Definition von Schaufeli und Enzmann (1998) ab und werden somit der favorisierten Definition der Verfasser gerecht. Mittels einer 5-stufigen Likert-Skala wurde entweder die Häufigkeit (Nie bis Immer) oder die Intensität (In sehr geringem Maß bis In sehr hohem Maß) bewertet. Für die späteren Berechnungen wurde auf Basis der hohen Korrelation beider Dimensionen, r = .82, eine neue Variable gebildet, die den Burnout-Gesamtscore abbildet.

Die Prädiktorvariable stellt in der Untersuchung die wahrgenommene Burnout-Präsenz dar. Diese Daten wurden mit eigenen, konstruierten Items erhoben, die aus einer umfassenden Literatursichtung abgeleitet worden sind (Bakker & Schaufeli, 2000; Coleman, 1993; Lemal & Van den Bulck, 2011; Linville, Fischer & Fischhoff, 1993; Morton & Duck, 2001; Tyler & Cook, 1984; Sutton, 1992; Helweg-Larsen, 1999; Weinstein, 1989). Die Items wurden zu fünf aus der Literatur abgeleiteten Skalen der Burnout-Präsenz zusammengefasst: Begegnung mit Burnout, Burnout im Medienkontext, Kommunikation über Burnout, Burnout im sozialen Kontext und betroffene Personengruppen. Schlussendlich wurden 20 Items ausgewählt. Davon bestanden viele aus Unteritems, so dass die wahrgenommene Burnout-Präsenz (α = .68) insgesamt mit 46 Items erhoben wurde. Das Antwortformat variierte zwischen einer Ratingskala, Einfachwahl, Dichotom, Schieberegler und Rangordnung. Bei der Ratingskala wurde die 5-stufige Likert-Skala angewendet, die sich entweder in Häufigkeits- (nie bis häufig), Bewertungs- (stimme gar nicht zu bis stimme voll zu) und Meinungsskalen (interessiert mich gar nicht bis interessiert mich sehr) verankerte. Das nachfolgende Item wurde beispielhaft ausgewählt und stellt einen wesentlichen Anteil der neuen Variable Burnout-Präsenz dar, die unter Einbezug der Items mit den aussagekräftigsten Daten berechnet wurde. Das nachfolgende Item wurde beispielhaft ausgewählt. Die Antwortmöglichkeiten konnten auf einer 5-stufigen Likert-Skala (Nie bis Sehr häufig) an-gegeben werden. „Die Thematik des Burnout-Syndroms (nicht auf einen konkreten Krankheitsfall bezogen) ist mir im Alltag in folgenden Kontexten begegnet: a) Internet, b) Radio, c) TV (Dokumentation, Nachrichten), d) Printmedien (Zeitschriften, Zeitungen, Bücher), e) Freunde, f) erweiterter Bekanntenkreis, g) Arzt/Psychologe, h) Arbeit, i) Familie.“ Um die allgemeine Burnout-Präsenz jedoch auch in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt betrachten zu können, wurde beispielsweise für das nachfolgend aufgezeigte Item ein Index für die konkreten Burnout-Fälle im Umfeld der Probanden errechnet. „In welchem Bereich Ihres Lebens hat es bereits einen konkreten Fall von Burnout gegeben? a) Freundeskreis, b) Arbeitskollegenkreis, c) Familienkreis, d) erweiterter Bekanntenkreis.“ Das Item konnte mit „keinen Fall“, „einen Fall“ oder „mehrere Fälle“ beantwortet werden.

Moderatorvariable Empfänglichkeit. In der vorliegenden Studie soll untersucht werden, ob der Zusammenhang zwischen der Burnout-Präsenz und dem individuellen Burnout-Level durch die Empfänglichkeit beeinflusst wird. Die Empfänglichkeit wird durch die Moderatorvariable abgebildet (Abbildung 3), die eine Veränderung des Effektes der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable hervorruft (Bortz & Döring, 2006). Wie aus den Erkenntnissen der Forschung erkennbar ist, hat die Empfänglichkeit einen großen Einfluss darauf, ob oder wie stark sich die Übertragung von Burnout auswirken kann.

Abb3
Abbildung 3: Der Einfluss der Empfänglichkeit auf den Wirkprozess der UV auf die AV.

Die Empfänglichkeit wurde basierend auf den Items der Multidimensional Emotional Empathy Scale von Caruso und Mayer (1998) gemessen, um den Effekt dieser Moderatorvariable auf den Zusammenhang zwischen der UV und AV zu überprüfen. Die Entscheidung dafür wurde aufgrund des im wissenschaftlichen Kontext bereits angewandten Testverfahrens zur Messung der Empathie und Empfänglichkeit (Susceptibility) getroffen (Caruso & Mayer, 1998; Shen & Zhang, 2012).

Das Messinstrument besteht aus sechs Dimensionen, die Indikatoren für Empathie darstellen: Empathic Suffering, Positve Sharing, Responsive Crying, Emotional Attention, Emotional Contagion and Feelings for others (Caruso & Mayer, 1998). Das Instrument misst diese mit 26 Items auf einer 5-stufigen Likert-Skala mit dem Ratingformat starke Ablehnung bis starke Zustimmung. In der Studie von Caruso und Mayer (1998) wurden hohe Reliabilitätswerte von .86 festgestellt.

Für die beschriebene Untersuchung wurde eine dem Untersuchungsgegenstand angemessene Auswahl der englischsprachigen Items übersetzt und angewendet (α = .72). Um eine möglichst identische Formulierung zu der ursprünglichen Aussage der Items zu generieren, wurde die Übersetzung durch zwei Native Speaker validiert. Die Dimensionen Empathisches Leiden (bspw.: „Fernsehbeiträge und Nachrichten über kranke und verletzte Menschen nehmen mich sehr mit.“), Emotionale Aufmerksamkeit (bspw.: „Ich denke wenig über die Gefühle anderer nach.“), Mitgefühl für Andere (bspw.: „Mir fällt es leicht, mich von den Gefühlen anderer mitreißen zu lassen.“) und Emotionale Übertragung (bspw.: „Wenn eine Menschenmasse über etwas aufgeregt ist, dann werde ich auch aufgeregt.“) fanden mit elf Items im zweiten Teil des Fragebogens Anwendung.

7 Auswertungsdesign

Für die Auswertung der Daten erschien das lineare Regressionsmodell geeignet, welches unterschieden werden kann in eine einfache und eine multiple Regression. Letztere zielt darauf ab, die Ausprägungen eines abhängigen, metrisch skalierten Merkmals aus mehreren unabhängigen Merkmalen zu erklären (Manderscheid, 2012). Eine Linearkombination der Prädiktoren Burnout-Präsenz und Empfänglichkeit ermöglicht die Testung des Moderatoreffektes von Empfänglichkeit auf den Zusammenhang von Burnout-Präsenz und Burnout-Level.

Die einfache lineare Regression fand ebenso Anwendung bei der Überprüfung der Hypothesen. Weiterhin wurden Aussagen über den linearen, ungerichteten Zusammenhang der Variablen durch die Berechnung der bivariaten Korrelation getroffen.

Für die Erleichterung der Interpretation sowie zur Standardisierung der Daten wurde vor der Durchführung der Regressionsanalyse für die zur Analyse in Frage kommenden Variablen eine Z-Transformation durchgeführt (Bortz & Schuster, 2010).

8 Zentrale Ergebnisse

Bei der Betrachtung der einzelnen Komponenten ergibt sich aus der Analyse, dass alle drei Prädiktoren einen signifikanten Vorhersagewert für die abhängige Variable Burnout-Level erreichen (Tabelle 1).

Tabelle 1: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse zu H1, H2 und H3.
Abb4

Der Prädiktor Burnout-Präsenz hat ein signifikantes Regressionsgewicht mit β = .26, t(255) = 4.30, p < .01 und sagt damit in dem Modell einen signifikanten Anteil der Varianz der abhängigen Variable vorher. Gleiches lässt sich für die unabhängige Variable Empfänglichkeit feststellen, obschon die Vorhersagestärke mit β = .15, t(255) = 2.48, p < .01 im Vergleich zur Burnout-Präsenz etwas geringer ausfällt. Der Moderationsterm ist ebenfalls noch signifikant mit β = -.12, t(255) = -1.97 bei einem Signifikanzwert von p = .05. Da die Hypothese jedoch einseitig gerichtet ist, ist der Wert zu halbieren und liegt damit unter dem 5%-Signifikanzniveau, welches für diese Arbeit als Maßstab dient.

Tabelle 2: Ergebnisse der Interaktion zwischen Moderatorvariable Empfänglichkeit und Prädiktor Burnout-Präsenz.

Wie aus Tabelle 2 zu entnehmen ist, gibt es bei den Probanden mit unterdurchschnittlicher Empfänglichkeit keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Burnout-Präsenz und Burnout-Level, da das Regressionsgewicht, β = .10, t(121) = 1.14, p < .26 nicht signifikant ist. Die Ergebnisse bestätigen auch die Modellzusammenfassung dieser einfachen Regression, anhand derer zu erkennen ist, dass keine signifikante Vorhersage über den Effekt der Burnout-Präsenz auf die eigene Burnout-Einschätzung gemacht werden kann, F(1, 122) = 1.29, p > .26.

Im Gegensatz dazu erklärt die Variable Burnout-Präsenz bei überdurchschnittlicher Empfänglichkeit einen signifikanten Anteil der Varianz der Variable, R2 = .17, F(1, 135) = 28.03, p < .01. Die Burnout-Präsenz sagt damit bei Probanden mit überdurchschnittlicher Empfänglichkeit hochsignifikant das Burnout-Level vorher, β = .41, t(134) = 5.29, p < .01. Zur weiteren Erforschung der Auswirkung der Burnout-Präsenz auf die gesundheitliche Einschätzung der Probanden wird bei der Testung der H4 der mediale Aspekt betrachtet (Tabelle 3). Dementsprechend setzt sich der Prädiktor aus der medialen Burnout-Präsenz zusammen, während das Kriterium identisch bleibt. Anhand der Modellzusammenfassung ist bereits zu erkennen, dass die Modellgleichung einen signifikanten Anteil der Varianz der Burnout-Werte aufklärt, R2 = .02, F(1, 258) = 5.45, p < .02.

Tabelle 3: Ergebnisse der einfachen Regressionsanalyse zu H4.

Ergänzend dazu weist der Regressionskoeffizient des Prädiktors eine signifikante Vorhersagestärke für das Burnout-Level auf, β = .14, t(257) = 2.34, p < .02. Weil die Hypothese einseitig gerichtet war, ist der Signifikanzwert auf p < .01 zu halbieren. Trotz einer (geringen) signifikanten aufgeklärten Varianz des Prädiktors, konnte die Hypothese auf der Interpretationsebene nicht endgültig bestätigt werden, da die mediale Präsenz lediglich einen von zahlreichen Faktoren darstellt, um das Burnout-Level einer Person vorhersagen zu können. Dennoch regt der Aspekt der medialen Burnout-Präsenz zu weiteren Überlegungen an, die in weiterführenden Studien ausführlicher behandelt werden könnten.

Die nachfolgende Interkorrelationsmatrix (Tabelle 4) stellt die verwendeten Variablen der drei Konstrukte Burnout-Level, Empfänglichkeit und Burnout-Präsenz übersichtlich dar. Die Werte zeigen auf, zu welchem Grad die angewendeten Faktoren denselben Bereich abdecken bzw. miteinander in Verbindung stehen. Die Koeffizienten, die Burnout messen, liegen über r = .50 und weisen auf eine enge Verknüpfung dieser beiden Faktoren für das Vorhandensein von Burnout hin. Ähnliches ist bei zwei der vier Faktoren zu beobachten, die Empfänglichkeit messen. Insbesondere zwischen der emotionalen Übertragung und dem empathischen Leiden ist eine hohe Korrelation erkennbar.

Tabelle 4: Interkorrelationsmatrix der Konstrukte Burnout-Level, Empfänglichkeit und Burnout-Präsenz.
Abb7

9 Diskussion

Die Erhebung der Daten erfolgte auf dem Wege der internetbasierten Befragung. Durch die Wahl eines quantitativen Verfahrens konnte eine große Anzahl von Personen befragt und folglich eine umfangreiche Datenmenge generiert werden. Eine limitierende Auswirkung der Auswahl der Online-Befragung stellt die unzureichende Umgebungskontrolle dar. Aus diesem Grund war es nicht möglich, die Rahmenbedingungen zu standardisieren.

Das Verfahren ermöglichte jedoch das Zustandekommen einer großen Stichprobe. Die Absicht der Untersuchung war es, eine hohe Generalisierbarkeit der Stichprobe zu erzielen. Dabei wurde sich um eine möglichst hohe Heterogenität der Daten bemüht. Diese konnte im Hinblick auf die Vielfalt der vertretenden Alters-, Berufsstatus- und Berufssektorverteilung erzielt werden. An dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass aufgrund des Alters und Status der Primärautorin ein Großteil der kontaktierten Probanden ebenfalls der Berufsgruppe der Studenten zugeordnet werden konnte. Eine Repräsentativität der Stichprobe in Bezug auf die Grundgesamtheit war nicht zu realisieren.

Eine Berücksichtigung weiterer Kontrollvariablen in der Datenanalyse und die Untersuchung von Genderaspekten wäre im Zusammenhang mit dieser Studie von wissenschaftlichem Interesse gewesen. Die Ausgangsfragestellung wurde jedoch dem vorgeschriebenen Umfang der hier vorgestellten Studie und der dafür zur Verfügung stehenden Zeit entsprechend formuliert.

Zusammenfassend konnte nachgewiesen werden, dass die allgemeine Burnout-Präsenz, die im medialen, sozialen und gesellschaftlichen Kontext wahrgenommen wird, einen Einfluss auf die Einschätzung des Burnout-Zustandes der befragten Probanden hat.

In den bisherigen Studien lag der Untersuchungsschwerpunkt bei der Übertragung, die sich aufgrund von zwischenmenschlichem Kontakt ergeben kann. Die Ergebnisse der hier diskutierten Untersuchung erweitern die Betrachtungsperspektive, da sich die Quelle der Ansteckung, nämlich die Burnout-Präsenz, vielschichtig zusammensetzt. Berücksichtigung finden die medialen als auch die interpersonellen Begegnungen mit Burnout im privaten und im gesellschaftlichen Kontext.

Es lässt sich schlussfolgern, dass eine Übertragung nicht notwendigerweise einen menschlichen Kontakt voraussetzt, sondern dass die alleinig wahrgenommene Präsenz von Burnout in Form von Erzählungen, Berichten und Informationen dazu führen kann, dass die Personen höhere Burnout-Werte aufweisen. An dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass hier streng genommen keine Kausalaussage möglich ist. Ein hohes Burnout-Level kann auch dazu führen, dass vermehrt Stimuli in der Umgebung wahrgenommen werden. Dementsprechend wäre der Zusammenhang umgekehrt.

Eine weitere Interpretationsmöglichkeit ergibt sich durch die Argumentation, dass die Menschen aufgrund der vermehrten Diskussion über Burnout eine große Sensibilität für die Thematik entwickelt haben und folglich empfindsamer auf die Präsenz reagieren. Ergänzend dazu dient die gewonnene Erkenntnis, dass das Merkmal Empfänglichkeit einen moderierenden Effekt auf den Wirkprozess der wahrgenommenen Burnout-Präsenz und den Burnout-Werten hat. Es konnte festgestellt werden, dass der Zusammenhang zwischen der Burnout-Präsenz und dem Burnout-Level deutlich stärker bei Personen mit überdurchschnittlicher Empfänglichkeit ist. Das Ergebnis stimmt mit den Erkenntnissen von Bakker und Schaufeli (2000), Bakker et al. (2000b) und Hatfield et al. (1994) überein, die einen positiven Zusammenhang zwischen der individuellen Empfänglichkeit und den Burnout-Werten postulieren.

10 Impulse und Ausblick

Die Ergebnisse der vorgestellten Studie geben Anlass für Impulse in verschiedenen beteiligten Interessenfeldern.

Zunächst wäre es wünschenswert, wenn ein offensiv ressourcenorientierter Umgang mit Burnout durch mediale Aufklärungskampagnen angeregt würde. Verbunden mit dem Aufzeigen diverser Möglichkeiten, zu entspannen und wieder zu Kräften zu kommen, könnte dies die Resilienz gefährdeter Rezipienten erhöhen. Die Medien haben hier die Chance, Aufklärungsarbeit zu leisten und sich weniger „modern-psychologisch-gesundheitsbewusst“
(Husmann, 2008, S. 42) zu inszenieren. Die Idee einer lösungsorientierten Berichterstattung sollte die der problemorientierten ablösen.

Jedoch braucht es auch für diese Forderung zunächst Klarheit über die Burnout-Charakteristika. Eine Abgrenzung könnte zu einer immer notwendiger werdenden Entzauberung des Begriffs führen. Bis dies erfolgt ist, sollte die Schulung von Rezipienten im kritischen Umgang mit medialer Berichterstattung einen größeren Stellenwert erhalten. Solche Maßnahmen müssten bereits in der Schule intensiver umgesetzt werden (vgl. Tulodziecki, 2010) und würden auch Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung bereichern, was zum zweiten Einflussbereich dieses Ausblicks führt.

Für nachhaltige Mitarbeiterführung und Unternehmensgestaltung ist die Einführung und Umsetzung von Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) eine hilfreiche und zuweilen notwendige Bereicherung (Kowalski, 2011). Auf Grundlade der Ergebnisse können für Maßnahmen im Rahmen des BGM zudem vor allem zwei Aspekte empfohlen werden. Einerseits benötigen Führungskräfte wie Mitarbeiter ein fundiertes Wissen über Konstrukte wie Burnout und dessen Auswirkungen, das sich von riskantem Halbwissen, welches durch Mediendarstellung und soziale Umgebung generiert wurde, abhebt. Nur mit der Kompetenz einer trennscharfen Abgrenzung von bedeutsamen Symptomen oder systembedingten Mangelzuständen, können Betroffene rechtzeitig unterstützt werden. Andererseits können Führungskräfte durch ein Verständnis von Übertragungsprozessen oder der Bedeutung von individueller Empfänglichkeit, wie sie in dieser Untersuchung belegt werden konnten, einen Prozess der „Gesundheitsorientierten Führung“ (vgl. Mann, 2011) erfolgreicher umsetzen. Beide Aspekte können in Seminaren, Coachings oder Trainings im Rahmen des BGM erlernt und geschult werden.

Um Missverständnisse zu vermeiden, sei hier betont, dass die Autoren die Umsetzung solcher Maßnahmen oder gar die Intervention bei erfolgter Burnout-Diagnose, nicht als Aufgabe von Führungskräften sehen. Diese sollten jedoch für solche Aspekte sensibilisiert werden.
Prävention, Intervention oder Therapie sind Aufgaben von professionellen Praktikern, die somit den dritten Einflussbereich bilden, für den sich Impulse ergeben. Die Ergebnisse der Studie belegen erneut, wie bedeutsam die Einbeziehung des sozialen Systems eines Betroffenen in die Umsetzung von entsprechenden Maßnahmen ist. Wie beispielsweise bereits Selvini-Palazzoli, Anolli und DiBlasio (1995) in den 1980er Jahren feststellen konnten, ist die Sensibilisierung für gruppendynamische und wechselseitig beeinflussende Prozesse auch in der Organisationsberatung elementar. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nicht isoliert ihren Belastungen ausgesetzt, sondern befinden sich in interdependenten Beziehungen zueinander. Diese systemische Haltung bestätigte sich in dieser Studie und sollte daher bei der Gestaltung von Beratungsprozessen berücksichtigt werden.

Wie die Ergebnisse der Untersuchung verdeutlicht haben, stehen die verschiedenen Faktorenbereiche, die die Entstehung einer Burnout-Symptomatik beeinflussen können, wiederum in wechselseitiger Abhängigkeit. So wird etwa eine isoliert durchgeführte Betriebliche Weiterbildungsmaßnahme zur Gesundheitsorientierten Führung nur wenig nachhaltige Auswirkungen haben, wenn die dort erarbeiteten Werte und Haltungen nicht Einzug in das gelebte Unternehmensleitbild finden. Umgekehrt werden mediale Sensibilisierungskampagnen fruchtlos bleiben, wenn diese am Arbeitsplatz und im Kollegenkreis nicht reflektiert werden.

Demzufolge müssen nachhaltig wirksame Präventions- und Interventionsprozesse auf einer ganzheitlichen Ebene angesetzt werden. Hierzu können auch weitere Forschungsergebnisse beitragen, indem etwa ein diagnostisches Instrument entwickelt wird, das Faktoren wie Empfänglichkeit und wahrgenommene Burnout-Präsenz berücksichtigt. Zudem könnten Untersuchungen unterstützen, die klären, ob der letztgenannte Faktor in verschiedenen Alterskohorten unterschiedlich stark ausgeprägt ist. In Hinblick auf das technologische Zeitalter liegt die Hypothese nahe, dass die jüngeren, besonders technik- und medienaffinen Generationen die Burnout-Präsenz stärker auf dem medialen bzw. digitalen Wege wahrnehmen, als ältere Bevölkerungsgruppen. Eine darauf aufbauende altersspezifische Gestaltung von Präventionsmaßnahmen würde Betroffene zielgerichteter in ihren jeweiligen Bedürfnissen unterstützen. Ähnliches gilt für mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede, die in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt wurden.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die vorliegende Studie die bisherige Burnout-Forschung zur Übertragung um den Aspekt erweitert, dass die wahrgenommene Präsenz des Syndroms auch Auswirkungen auf die Menschen und ihre subjektive gesundheitliche Einschätzung hat. Ob diese berechtigt oder unberechtigt ist, kann erst entschieden werden, wenn abgrenzungsfähige Kriterien für eine eindeutige Diagnose definiert sind. Bis diese Definitionen gefunden sind, wird an einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Begriff Burnout appelliert, um die tatsächlich Leidenden zu entlasten.

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Korrespondenzadressen:

Charlotte Kraus (B.A. Wirtschaftspsychologie)
Adelheidstraße 32
D-80796 München
GERMANY
e-mail: charlottekraus1@googlemail.com

Prof. Dr. Simon Hahnzog
Hochschule Fresenius München
Infanteriestr. 11a
D-80797 München
GERMANY
e-mail: hahnzog@hs-fresenius.de


Gender and Diversity Management: Zielgruppen wertschätzen explizite Werte in Unternehmenskulturen

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In Exp. 1 sahen männliche und weibliche Versuchsteilnehmer eine Personalmarketingbroschüre, in der eine vorrangig feminine oder eine vorrangig maskuline Unternehmenskultur propagiert wurde. (Cameron & Freeman, 1991; Hofstede, 1980). Adjektivratings zeigen, dass das Unternehmensimage wie beabsichtigt wahrgenommen wurde: Wie erwartet beurteilten weibliche Befragte das Unternehmen als attraktiver und äußerten eine höhere Bewerbungsabsicht angesichts der prototypisch femininen im Vergleich zur prototypisch maskulinen Unternehmenskultur. Männliche Befragte zeigten das umgekehrte Ergebnismuster. Der Karrierestatus der Teilnehmer (Student vs. Arbeitnehmer) hatte keinen Einfluss auf die wahrgenommene Arbeitgeberattraktivität. In Exp.2 wurde Probanden, die entweder einer Minoritätsgruppe (körperliche Behinderung, Familie mit Migrationshintergrund, nicht-heterosexuelle Orientierung) angehörten oder nicht, eine Stellenausschreibung präsentiert, die entweder eine diversityfreundliche oder eine leistungsorientierte Unternehmenskultur propagierte. Erneut zeigten die Imageeinschätzungen, dass die Anzeigen wie intendiert wahrgenommen wurden. Obwohl die allgemeine Einschätzung der Arbeitgeberattraktivität hier unbeeinflusst blieb, äußerten Angehörige einer Minorität höhere Bewerbungsabsichten gegenüber dem diversityfreundlichen im Vergleich zum leistungsorientierten Unternehmen. Teilnehmer, die keiner Minorität angehörten, zeigten das umgekehrte Muster. Jenseits eines Manipulationschecks zeigten die Imageratings ein signifikant positiveres Muster für die diversityfreundliche Unternehmenskultur, unabhängig vom Minoritätsstatus der Befragten. Implikationen für die Etablierung und Kommunikation von Werten in Zeiten organisationalen und gesellschaftlichen Wandels werden diskutiert.

My brand and I – Facebook brand Pages und Symbolische Selbstergänzung

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Unternehmen, die in elektronischen Sozialen Netzwerken wie Facebook Markenseiten betreiben, fragen sich, warum Nutzer/innen sich überhaupt mit diesen verbinden und ob dies tatsächlich zum Erfolg der (eigenen) Marke(n) beiträgt. Mit sozialpsychologischen Theorien zum Selbst lassen sich solche Facebook-Praktiken als Identitätskonstruktion und Symbolische Selbstergänzung auffassen. Eine Studie zu den Facebook-Seiten einer Haarkosmetik-Marke soll die Motivation der Seiten-Verlinkung klären. Mit der Methode des Cognitive Mapping wird das Selbst als ein Teil der Repräsentation der Marke und die Marke als ein Teil der Repräsentation des Selbst zu visualisieren versucht. Drei Online-Erhebungen mit Gesamt-N von 327 waren nötig. Hypothesenkonform kann die Markenidentifikation auch nach Auspartialisierung von anderen Motiven (Beschäftigte, Facebook als Unterhaltung) für die Seiten-Verlinkung verantwortlich sein. Das Selbst war für Menschen, die mit der Marke bei Facebook verlinkt sind, näher im Kern der Marken-Map und die Marke näher im Kern der Selbst-Map lokalisiert. Da die Mehrheit der Facebook Nutzenden, die mit einer Marken Page verlinkt sind, “echte Fans” sind, können sich die Marketingaktivitäten der Marken lohnen.

Wenn Mediendarbietungen Antwortleistung und Antwortdisposition gleichzeitig bestimmen. Ursache-Wirkungs-Konvergenz als Problem der medien- und werbepsychologischen Forschung und Item-Response-Analyse als ein Lösungsvorschlag

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1 Ausgangspunkt: Testen und Messen nach klassischer versus probabilistischer Testtheorie

Informationsangebote öffentlicher Kommunikationsmedien ‚wirken’ grundsätzlich nicht auf alle NutzerInnen gleich, sondern abhängig von Persönlichkeitseigenschaften sowie vom situativen Kontext des Medienhandelns. Diese Annahme ist Konsens in der medienpsychologischen wie in der Werbeforschung (vgl. Suedfeld & Tetlock, 2003; Richter 2007; Woelke, 2008) – ungeachtet der Tatsache, dass die Frage nach durchschnittlichen kausalen (Werbe)Effekten1 aus medienethischen, medienpolitischen oder medienökonomische Gründen nach wie vor relevant ist und bearbeitet wird
(vgl. Russel, 2002; Mackay, Ewing, Newton & Windisch, 2009; Dardis, Schmierbach & Limperos, 2012). Zwei Gründe lassen die Kritik an medien- und werbepsychologischen Projekten mit Begrenzung auf nur durchschnittliche kausale (Medien)Effekte jedoch gerechtfertigt erscheinen: Medienwirkungen entstehen nicht allein durch additive Verknüpfung von zwei oder mehr Einflussfaktoren, weshalb sich Einflüsse einer einzelnen, als Verursachungsbedingung angenommenen Größe ohne simultane Beobachtung anderer erheblicher Einflussgrößen (‚Drittvariablen’) kaum valide beurteilen lassen und Kovarianz- und Moderatoranalysen der Auswertung getrennter Gruppen vorzuziehen sind (vgl. Cohen, Cohen, West & Aiken, 2002).

Allerdings sind die ‚anderen Einflussfaktoren’ in Kovarianz- oder Moderatoranalysen (vgl. Nicovich, 2005; Schemer, 2007; Klein, 2009; Slater, Hayes, Reineke, Long & Bettinghaus, 2009; Taylor, Strutton & Thompson, 2012) meist nur quasi-experimentelle Faktoren, sodass Verteilungsvoraussetzungen und die Annahme der Unkorreliertheit von ‚True Score’ und Fehlern in der klassischen Testtheorie nicht nur in Beobachtungsstudien (Steyer, Partchev, Kroehne, Nagengast & Fiege, 2010), sondern regelmäßig auch in experimentellen Analysen nicht erfüllt sind.

Abgesehen davon, dass die Berücksichtigung von Interaktionseffekten und von Verteilungsvoraussetzungen quasi-experimenteller Faktoren einen methodischen Fortschritt bedeutete, findet ein zumindest bekanntes und relevantes Problem empirischer Forschung damit noch immer eher geringe Beachtung – es wird folgend unter dem Stichwort ‚Ursache-Wirkungs-Konvergenz’ adressiert. Angesprochen ist der in Item-Response-Theorien (IRT) bzw. der Latent-Trait-Analyse (LTA) bearbeitete Umstand, dass ein Testwert Y (z. B. ‚Wiedererkennungsraten’) nicht nur den um eine Fehlerkomponente ergänzten ‚True Score’-Effekt X (z. B. den tatsächlichen Gedächtniseffekt eines Informationsangebotes) repräsentiert, sondern neben der vom Informationsangebot bestimmten (zunächst latenten) Fähigkeit X1 einer Person (z. B. zuvor dargebotene Reize wiedererkennen zu können) zugleich auch deren Antwortdisposition X2 misst (Steyer & Eid, 2001).

Diese Annahme bedeutet einen wesentlichen Unterschied zu Analysen nach der klassischen Testtheorie (KTT): Antwortdispositionen wie z. B. das Verwechseln von Namen, auch wenn man sich Personen grundsätzlich gut merken kann, die Neigung auf schwierige, Unsicherheit erzeugende Aufgaben eher mit ‚raten’ oder ‘keine Antwort geben’ zu reagieren, oder bestimmte Fragen eher zu verneinen als zu bejahen, werden in Haupteffektanalysen und mit der Wiedererkennungsrate als manifester Indikator über die Annahme einer Unkorreliertheit von Fehlern und ‚True Score’ durch Vergleiche zwischen Gruppen (unter der Voraussetzung homogener Fehlervarianzen) oder mit wiederholten Beobachtungen derselben Person quasi ausgeblendet oder in der Moderatoranalyse in einen separaten und einen gemeinsamen Erklärungsanteil zerlegt (wobei es im Fall des Recognition-Tests keine essentielle Multikollinearität zwischen Wiedererkennungsraten und Antwortneigung geben dürfte).

In der IRT/LTA liegt der Fall etwas anders: Bei der Ableitung empirisch testbarer Bedingungen kommt man auch hier nicht ohne Unabhängigkeitsannahme aus, allerdings wird keine generelle, sondern nur eine bedingte stochastische Unabhängigkeit angenommen. Bedingte oder lokale stochastische Unabhängigkeit bedeutet, dass die Informationsfunktion eines Tests maximal ist, wenn dessen Schwierigkeit bzw. die damit wahrscheinliche individuelle Antwortdisposition mit der latenten Fähigkeit oder anderen latenten Eigenschaften einer Person (θ) übereinstimmt bzw. abnimmt mit größer werdender Differenz zwischen Schwierigkeit der Testaufgabe und latenten Lösungsfähigkeit. Am Beispiel einer Skala wie der CSII-D (vgl. Woelke & Dürager, 2012) aus der Persuasionsforschung, die eine Anfälligkeit für interpersonale Beeinflussungsversuche misst und sich in der Prognose differentieller Werbeeffekte als zielführend erwiesen hat (vgl. Woelke, 2008), bedeutet das: Die individuellen Messwerte auf den einzelnen Items der CSII-D geben nicht generell, sondern abhängig von den Ausprägungen der latenten Eigenschaft ‚Beeinflussbarkeit’ (X1) einer Person auch die Antwortdispositionen X2 von Befragten wieder, diese Items z. B. deutlicher ‚abzulehnen’. Befragte mit einer etwas höheren latenten Ausprägung von Beeinflussbarkeit (in Tabelle 1 als θ bezeichnet) sehen die Anfälligkeit für interpersonale Beeinflussung u.U. gar nicht als ‚Problem’ und stimmen CSII-Items ‚eher zu’. Personen mit einer etwas geringeren latenten Ausprägung von Beeinflussbarkeit fassen die Anfälligkeit für interpersonale Beeinflussung dagegen möglicherweise als individuelle Eigenschaft auf, die sozial negativ gesehen wird – entsprechend dürften diese Personen CSII-Items deutlicher ablehnen, als aufgrund ihrer latenten Ausprägung von Beeinflussbarkeit vorhersagbar. Wenn Items eines Tests in der sozialen Realität über die Bandbreite von manifesten Antworten tatsächlich nicht gleich gut messen, ist es zielführend, die Informationsfunktion von Items zu ermitteln.

Tabelle 1: Item-Informations-Werte der CSII-D (Woelke & Dürager 2012) im Graded-Response Model.

Item-Informations-Werte der CSII-D (Woelke & Dürager 2012) im Graded-Response Model.

Nur so kann beurteilt werden, wie gut oder schlecht manifeste Indikatorvariablen (z. B. ‚Wiedererkennungsraten’) das interessierende Phänomen (das fragliche Gedächtnispotential eines Informationsangebotes) bei bestimmen Ausprägungen der zunächst latenten Fähigkeit einer Person (z. B. Reize potentiell wiederzuerkennen) messen – Auswertungen gemäß IRT-Modellen wie dem von Rasch, Mokken oder anderen (vgl. Mokken, 1997; Scheiblechner, 2007) liefern die dazu nötigen Informationen.

2 Warum man bei Werbewirkungstests zwischen Aufgabenschwierigkeit und Personenfähigkeit trennen sollte – zur situativen Abhängigkeit von Antwortleistung und Antwortdisposition in verbalen Daten

Für die Anwendung des Konzepts lokaler stochastischer Unabhängigkeit gibt es mehrere Gründe: In der Bildungsforschung werden probabilistische Testmodelle (z. B. Raschlogistisches Modell, 2PL oder GRM) nicht nur aus forschungsökonomischen Gründen angewendet sondern vor allem aufgrund der Tatsache, dass sich von den vielen Aufgaben, die valide Schulleistungstest erfordern, tatsächlich nur eine begrenzte Anzahl praktisch umsetzen lässt. Zur Auswahl geeigneter Testaufgaben ist allerdings die Information unerlässlich, wie schwierig deren Lösung in welchen Bereichen latenter Personenfähigkeit ist. Gemäß dieser Information können Aufgaben ausgewählt werden, die in einem definierten Fähigkeitsbereich hinreichend schwierig sind und dort feindifferenziert messen (zielführend z. B. bei Auswahltests unter Piloten) oder Aufgaben, die jeweils nur mittelmäßig schwierig sind, dafür aber einen breiten Bereich von Personenfähigkeit abdecken (notwendig etwa in der Berufsberatung) (vgl. Kubinger 2005).

Man könnte einwenden, dass die methodisch aufwändige und voraussetzungsreiche Trennung von Aufgabeschwierigkeit und (latenter) Fähigkeit einer Person eine Fingerübung darstellt, die im Grunde nur dann relevant wird, wenn Tests erhebliche Konsequenzen für die Handlungsfreiheit von Menschen haben, z. B. in der angesprochenen Schulleistungsforschung. So gesehen wäre der praktische Nutzen des Konzepts lokaler stochastischer Unabhängigkeit für die medien- und werbepsychologische Forschung fraglich, wo solche Entscheidungen nicht getroffen werden und mit dem Ansatz der Moderatoranalyse mittlerweile recht differenzierte Erkenntnisse möglich sind.

Studien aus anderen Forschungsbereichen zeigen aber, dass die Trennung von (latenter) Personenfähigkeit und (spezifischer) Aufgabenschwierigkeit höchst bedeutsam ist, wenn diese zwei Aspekte eine gemeinsame, im Test selbst liegende Ursache haben. In der Intelligenzforschung z. B. wird aktuell diskutiert, in wie weit mentale Geschwindigkeit und mentale Kapazität als zwei korrelierende Aspekte (Sheppard & Vernon, 2007) unabhängig sind und – gemäß gängiger Intelligenztestmodelle (z. B. BIS und APM; vgl. Neubauer & Knorr, 1998) – tatsächlich separat oder extern gemessen werden können. Anhand mehrerer fMRT-Studien kommen Rypma und Prabhakaran (2009) zu dem Schluss, dass weder ‚Kapazität’ noch ‚Geschwindigkeit’ ‚Trait’-Eigenschaften repräsentieren, sondern beide im Grunde ‚State‘-Merkmale sind, die vom jeweils anderen, als Mediator fungierenden Merkmal abhängen. Mit anderen Worten: Mentale ‚Kapazität’ ist ein latenter Teilaspekt von Intelligenz, dessen Beitrag zu einem manifesten IQ-Testwert von den Bedingungen abhängt, die der Test in Bezug auf mögliche Ausprägungen des anderen (latenten) Teilaspekts mentale ‚Geschwindigkeit’ vorgibt.

Folglich halten Partchev und de Boeck (2012) die sogenannte ‚cognitive correlates method’ als wenig geeignet zur Kontrolle von IQ-Testwerten und schlagen aus der IRT abgeleitete Auswertungsmodelle vor. Ähnliche Hinweise finden sich in der Persönlichkeitsforschung: In der Diskussion um Aggressionsreaktionen nimmt man aktuell an, dass deren Messung über manifeste Indikatoren zugleich eine individuelle Traiteigenschaft ‚Agressivität’ (im Sinne von Fähigkeit’) und als auch das Statemerkmal ‚situationale Sensitivität’ (als personenspezifische Interpretation einer Situation) erfasst (Schmitt et al., 2008).

Die Möglichkeit, einen Teilaspekt von Handlungen (z. B. komplexe Aufgaben schnell versus korrekt versus vollumfänglich zu lösen) als separates Merkmal unkonfundiert zu erfassen und den Einfluss auf den jeweils anderen Teilaspekt per Moderatoranalyse oder Kovarianzanalyse zu kontrollieren, fehlt aber nicht nur bei Intelligenz- oder Persönlichkeitstests: Im ‚Eurobarometer’ finden sich regelmäßig Länderunterschiede, z. B. bezüglich des Interesses an aktuellen wissenschaftlichen Entdeckungen und technologischen Entwicklungen3. Studien wie diese sind ein typischer Fall, in dem die Antworten von Befragten nicht nur ihre (latenten) Einstellungen bezüglich des fraglichen Sachverhaltes wiedergeben, sondern zugleich auch generelle Antwortdispositionsunterschiede abbilden (z. B. dass Befragte aus Österreich regelmäßig kritischer sind, d.h. seltener Zustimmung äußern als Befragte aus der Schweiz oder Deutschland). Im Ländervergleich beobachtete Unterschiede hinsichtlich manifester Indikatoren sind daher noch vorsichtiger zu interpretieren als ohnehin angeraten wird – eine Forderung, die über die gängigen Analysen von Konstrukt- und Itemäquivalenz hinausgeht (Kolb & Beck, 2011).

Das im vorliegenden Beitrag als Ursache-Wirkungs-Konvergenz bezeichnete Problem, das beide für das Zustandekommen eines manifesten Testwertes ursächliche Aspekte, also nicht nur die (latente) Fähigkeit einer Person, ‚korrekt‘ antworten zu können (hier als Antwortleistung adressiert), sondern auch die Schwierigkeit einer Testaufgabe (hier Antwortdisposition genannt) State-Merkmale2 sein könnten, sollte auch in der medien-, markt- und werbepsychologischen Forschung nicht unterschätzt werden.

Ob die übliche Annahme der persönlichkeitspsychologischen Forschung (vgl. Schmitt, 2004), das zentrale Eigenschaften einer Person und damit auch deren Antwortdisposition(en) zeitlich und über verschiedene Handlungen hinweg stabile Merkmale (‚Trait’) sind, deren Realisation als konkreter Zustand (‚State’) im Grunde die Form einer Konstante aufweist, auch für die Antwortdisposition in Gedächtnistests gilt, wird in einer Re-Analyse von zwei Studien zur Werbewirksamkeit verschiedener Informationsdarbietungen geprüft.

3 Zur Unterscheidung von Antwortleistung und Antwortdisposition in Gedächtnistest

Gedächtnisleistungen gehören neben Einstellungen, Emotionen und Verhaltensdispositionen zu den zentralen Analyseebenen in der Werbewirkungsforschung. Nach einer Metaanalyse von Wirth und Kolb (vgl. 1999) über 255, zwischen 1970 und 1997 in 11 deutschsprachigen und internationalen kommunikationswissenschaftliche Fachzeitschriften erschienen Studien setzen sowohl Rezeptions- als auch Wirkungsforschung schwerpunktmäßig Gedächtnismessungen ein: 52 Prozent der erhobenen Indizes sind gestützte oder ungestützte Recall-Tests oder Recall-Test-Mischtypen, ein weiteres Zehntel der untersuchten Studien verwendeten unterschiedliche Retrieval-Typen. Auch die Aktualisierung der Studie ergibt ähnliche Ergebnisse, wenngleich die Werte zu Gunsten von Recognition-Tests zurückgehen: Im Zeitraum von 1998 bis 2005 erheben die Autoren nur noch 36 Prozent reiner Recall-Messungen und sieben Prozent Mischtypen (vgl. Wirth, Heydecker & Kolb, 2006). In der Praxis der Marktkommunikation ist ‚Gedächtnis’ ebenfalls eine zentrale Ziel- und Planungsgröße (vgl. Engelhardt, 1999) und auch hier sind die Gedächtnismessungen meist eindimensional konzipiert: Die Testergebnisse werden uni-sono als Medienwirkung bzw. kommunikative Leistung des Informationsangebotes gewertet. Zwischen der Antwortleistung und den Bedingungen ihres Zustandekommens wird meist nicht unterschieden – ein Umstand, der angesichts des Verbreitungsgrads von Gedächtnistests mit Erinnerungshilfen (gestützter Recall oder Recognition-Test) verwundert.

Die Anwendung der Signalentdeckungstheorie (SDT) auf Wiedererkennungsdaten macht die aus der Anwendung der KTT folgende Bedingung obsolet, dass andere für das Zustandekommen der individuellen Testwerte ebenfalls verantwortliche Drittvariablen (hier die ‚Antwortneigung’ verstanden als individuelle Disposition, in der Entdeckung oder Klassifizierung von Objekten und Personen Fehler eher zuzulassen oder eher vermeiden zu wollen) zufällig verteilt und von der vermeintlichen Ursache (hier dem Gedächtnispotential eines Informationsangebotes) stochastisch unabhängig sein müssen.

Um die Signalentdeckungstheorie anwenden zu können, ist ein Wiedererkennungstest a) als ja/nein-Recognition zu konzipieren und sind b) die Antworten der Befragten zu den zwei Typen von Itemvorgaben (‚alte’ Items = im medialen Angebot bereits vermittelte Reize und ‚neue’ Items = erstmals im Wiedererkennungstest präsentiert) in einem Vier-Felder-Schema aufzuschlüsseln: Das Wiedererkennen eines im Medienangebot zuvor tatsächlich gezeigten Reizes ist ein ‚Treffer’ und dessen Nicht-Wiedererkennung ein ‚Verpasser’, das Wiedererkennen eines zuvor nicht gezeigten Reizes ein ‚falscher Alarm’ und das richtige Nicht-Wiedererkennen desselben eine ‚korrekte Zurückweisung’ (siehe Kategorien in Abbildung 1). Die SDT beschreibt Gedächtnisleistungen als Funktion der Empfindungsstärke eines zu erinnernden oder wiederzuerkennenden Items (vgl. Velden, 1982). Beim Vergleich mehrerer Personen oder alternativ von mehreren Reizen streuen die Empfindungsstärken gemäß dem Modell des sensorischen Kontinuums um eine mittlere Empfindungsstärke. Werden in einem Wiedererkennungstest nicht nur ein zuvor bereits präsentierter Reiz (‚altes Item’), sondern ein zusätzlicher, bisher nicht präsentierter Reiz vorgelegt (‚neues Item’), streuen die Empfindungsstärken in zwei separaten Verteilungen (mit  1 für ‚neue’ und  2 für ‚alte’ Items). Im Idealfall, z. B. wenn Reize eindeutig unterscheidbar sind oder bei Medienangeboten mit wenigen ausgewählten Informationen, sind die beiden Verteilungsfunktionen (nahezu) überlappungsfrei.

Ergebnisse im Wiedererkennungstest nach dem Modell des sensorischen Kontinuums.
Abbildung 1: Ergebnisse im Wiedererkennungstest nach dem Modell des sensorischen Kontinuums.

Im Alltag jedoch, wenn Personen komplexe multimediale und multimodale Informationsangebote mit vielen ähnlichen Reizen wenig aufmerksam rezipieren oder die Abfrageliste eines Gedächtnistests viele Items enthält, überlagern sich die Verteilungsfunktionen für die Empfindungsstärken von ‚alten’ und ‚neuen’ Items. Löst nun ein ‚altes’ Item, d.h. bereits zuvor dargebotener Reiz einen kleineren Empfindungswert aus als ein ‚neues’ Item, kommt es zu fehlerhaften Zuordnungen: Der neue, zuvor nicht gezeigte Reiz wird fälschlich wiedererkannt (‚falscher Alarm’), der zuvor tatsächlich gezeigte Reiz jedoch übersehen (‚Verpasser’). Die Fähigkeit von Personen, zwischen ‚alten’ und ‚neuen’ Items unterscheiden zu können – sie ist z. B. abhängig von der Stärke einer Reizdarbietung und damit ein Maß für das Aufmerksamkeits- bzw. Gedächtnispotential eines Medienangebotes – wird in der SDT als Diskriminationsleistung bezeichnet.

Die Entscheidung, ein Item in der Vorlagenliste des Wiedererkennungstests als ‚alt’ oder als ‚neu’ zu markieren, ist aber nicht nur eine Frage der Diskriminationsfähigkeit. Die Empfindungsstärke, die Reize bei wenig aufmerksamer Rezeption, bei einer Vielzahl von Informationen im Medienangebot und/oder bei einer großen Anzahl von Items in der Abfrageliste des Wiedererkennungstest hervorrufen, lässt selten nur eine, sondern meist zwei in gleicher Weise plausible Entscheidungen zu – jene, dass der Reiz in der vorherigen Mediendarbietung bereits vorkam (‚altes’ Item), aber auch die gegenteilige Entscheidung, dass es sich um einen bisher nicht präsentierten Reiz (‚neues’ Item) handelt. Den Wert der Empfindungsstärke, ab dem sich Personen bei Unsicherheit für die Antwort ‚altes’ Item statt ‚neues’ Item entscheiden, markiert die in Abbildung 1 als Reaktionsneigung bezeichnete senkrechte Linie. Die Reaktionsneigung von Personen (IRT = Aufgabenschwierigkeit, hier auch als Antwortdisposition bezeichnet) lässt sich zunächst als individuell ‚festgelegt’ vorstellen:

Aufgrund bestimmter Prädisposition (vermutlich handelt es sich um offene, spontane und selbstbewusste Menschen mit geringer externaler Kontrollüberzeugung) neigen manche Personen grundsätzlich dazu, Reize auch bei kleiner Empfindungsstärke als ‚alt’ zu markieren, während andere Personen (vermutlich ängstlichere und weniger selbstbewusste Menschen mit höherer externaler Kontrollüberzeugung) solche Reize eher als ‚neu’ einstufen. Vorstellbar ist aber auch, dass die Ursachen für unterschiedliche Reaktionsneigungen situativ sind: Wer in einem Quiz mit einer richtigen Antwort eine Runde weiter kommt, wird sich frühzeitig äußern, auch wenn subjektiv noch große Unsicherheit über die Korrektheit der Antwort besteht. Wenn eine falsche Antwort dagegen Punktabzug bedeutet, den Kontrahenten einen Punkt bringt oder in Spielshows wie MILLIONENSHOW oder WER WIRD MILLIONÄR sogar zum Verlust des Gewinns führt, warten Quizteilnehmer eher länger mit ihrer Antwort ab – und zwar so lange, bis sie sicherer sind, damit richtig zu liegen.

4 Informationsgehalt der SDT

Das ‚Wiedererkennen’ von zuvor nicht präsentierten (‚falscher Alarm’) bzw. das ‚Übersehen’ von zuvor präsentierten Reizen (‚Verpasser’) steht offenbar nicht nur im Zusammenhang mit der kognitiven Leistungsfähigkeit – wenn die Entscheidung für die Antwortkategorien ‚alter Reiz’ versus ‚neuer Reiz’ unter Unsicherheit fällt, geben Wiedererkennungsraten ebenso die Antwortdisposition von Personen wieder. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, ist deren Ausprägung von erheblicher Konsequenz für das Ergebnis einfacher Gedächtnistests: Bei der Antwortdisposition ‚progressives Rating’ ist die Wahrscheinlichkeit geringer, in einem Medienangebot tatsächlich dargebotene Reize im Wiederkennungstest als ‚nicht wiedererkannt’ zu markieren (‚Verpasser’). Allerdings ist dadurch die Gefahr größer, dass zuvor nicht dargebotene Reize fälschlich wiedererkannt werden (‚falscher Alarm’) – die Wiedererkennungen sind wenig korrekt. Umgekehrt stellt sich die Situation für Personen mit der Antwortdisposition ‚konservatives Rating’ dar: Die Wahrscheinlichkeit, im Medienangebot nicht enthaltene Stimuli fälschlich als ‚wiedererkannt’ zu markieren (‚falscher Alarm’) ist wesentlich geringer. Allerdings ist bei einem ‚konservativem Rating’ die Gefahr größer, im Medienangebot tatsächlich enthaltene Stimuli als ‚nicht wiedererkannt’ einzuordnen‚ d.h. einen ‚Verpasser’ zu erzielen.

Reaktionsneigung und Fehler in der Wiedererkennung: ‚progressives versus konservatives Rating.
Abbildung 2: Reaktionsneigung und Fehler in der Wiedererkennung: ‚progressives versus konservatives Rating.

Mit der Unterscheidung von Diskriminationsleistung und Reaktionsneigung in der Signalentdeckungstheorie wird deutlich, vor welchem Problem die medien- und werbepsychologische Forschung steht, die allein Wiedererkennungsraten (Anzahl der als wiedererkannt markierten, im Medienangebot tatsächlich präsentierten Stimuli) bzw. die Anzahl von Nennungen in einem Recall-Test als Gedächtnisleistung begreift und darüber Aussagen über das kognitive Potential von Medienangeboten trifft. Unbestritten ist, dass hohe Wiedererkennungsraten bzw. viele Nennungen in einem Recall-Test zunächst auf ein erhebliches Aktivierungspotential von Medienangeboten hinweisen; ebenso ist es aber auch möglich, dass Befragte einen Gedächtnistest ‚progressiv’ bearbeiten, d.h. Antworten geben, ohne sich über das tatsächliche Rezeptionserleben ‚sicher’ zu sein. Umgekehrt lassen sich geringe Wiedererkennungsraten oder wenige Nennungen in einem Recall-Test als minimales Aktivierungspotential von Medienangeboten deuten; allerdings kann die Ursache auch hier im Antwortverhalten (= Antwortdisposition) liegen: Das Medienangebot kann genauso viel Aktivierungspotential entfaltet haben wie im Fall zuvor, nur haben die Befragten im Gedächtnistest vielleicht ‚konservativer’ entschieden.

5 Antwortleistung und Antwortdisposition als ‚State’-Variablen in Wiedererkennungstests – eine Reanalyse von zwei medienpsychologischen Studien

Um die empirische Relevanz der theoretisch plausiblen Unterscheidung von Messwerten in einen Leistungsaspekt und eine Antwortdisposition für die medien- und werbepsychologische Forschung zu verdeutlichen, wurden zwei frühere Medienwirkungsstudien reanalysiert. In beiden Studien wurden Gedächtniseffekte über ja/nein-Wiedererkennungstests erfasst – entsprechend lassen sich unter Anwendung der SDT die tatsächliche Wiedererkennungsleistung (IRT = Personenfähigkeit) und die Antwortdisposition (IRT = Aufgabenschwierigkeit) einer Person beim Lösen der Wiedererkennungsaufgabe getrennt berechnen und ausweisen.

5.1 Skizze der Ursprungsstudien mit Wiedererkennungsaufgaben

Studie 1, eines von drei Experimenten in der Studienreihe zur Analyse kommunikativer Abgrenzungen von Zuschauern am Beispiel Programmintegration (vgl. Woelke, 2004), wurde im Wintersemester 2000 an der Universität Jena durchgeführt. Es handelte sich um ein Zwei-Gruppen-Experiment mit zufälliger Zuteilung der Untersuchungsteilnehmer4: In beiden Gruppen war Stimulus eine aus Originalszenen und Originalwerbespots erstellte Fassung der Show DIE DICKSTEN DINGER (RTL 2, 1997-2001), die von drei Werbeblöcken unterbrochen wurde und wie in der Originalversion Moderation, Spotpräsentationen, Charts und ein Gewinnspiel enthielt. In der ersten Experimentalgruppe (‚Sendungsgruppe‘) waren die sechs Zielwerbespots (GMX-Internet, IKEA-Möbel, CONTINENTAL-Reifen, TUI-Flugreisen, SWATCH-IRONY-Uhren und TUBORG-Bier) innerhalb der Sendung zu sehen, abgestimmt auf die Anmoderation.

Für die zweite Experimentalgruppe (‚Werbungsgruppe‘) wurden die Stimuli rotiert: Hier waren die sechs Zielspots Element der Werbeblöcke, welche die Sendungen zwischen den drei Sendungsteilen unterbrachen. Die Position der Zielspots, die in der Stimulusfassung für die Sendungsgruppe als Teil der Show DIE DICKSTEN DINGER nach der Anmoderation ausgestrahlt wurden, übernahmen jene Spots, die in der ersten Stimulusfassung die Stellen im Werbeblock ausfüllten, die hier in Stimulusfassung zwei von den sechs Zielspots eingenommen wurden.

Studie 2 war eine ebenfalls experimentelle Untersuchung zur Wirksamkeit von Product Placement, die im Frühjahr 1996 an der Freien Universität sowie an der Technischen Universität Berlin durchgeführt wurde (vgl. Woelke, 1998). Die Untersuchungsteilnehmer5 , per Zufallsverfahren aufgeteilt in zwei Gruppen, sahen einen Ausschnitt (Dauer ca. 55 Minuten) des Spielfilms BIS ANS ENDE DER WELT (Regie: Wim Wenders, 1987). In diesem Film waren zahlreiche Produkte und Marken zu sehen, die aktuelle Angebote aber auch Zukunftstechnologien bekannter Marken (wie BOSS, BAUKNECHT, COCA COLA, LUFTHANSA, SONY-CAR-INFORMATION-SYSTEM, SONY-MOBILE-BILD-TELEFONE; SHARP-NETBOOK) vorstellten: Gruppe A sah den Film in der Originalfassung mit Product Placements, allerdings mit geänderter Anzahl von Platzierungen: Einblendungen von Produkten und Marken aus der realen Konsumwelt (BOSS, BAUKNECHT und COCA-COLA) wurde entfernt, ebenso einige sehr kurze Einblendungen von LUFTHANSA, SONY (2x: Mobil-Bild-Telefon und Car-Informationssystem) und SHARP, die zusätzlich zu langen und ausreichend erkennbaren Darbietungen für diese vier Produkte/Marken in so genannten Product-Placement-Inseln im Spielfilm vorkamen. In der Stimulusfassung für Gruppe B kam keines der vier Produkte als Product Placement im Spielfilm vor; die dazu entfernten Szenen wurden zu Werbespots umgeschnitten und zusammen mit anderen Werbespots in zwei Unterbrecherwerbeblöcken (anstelle der Product-Placment-Inseln) innerhalb von BIS ANS ENDE DER WELT gezeigt.

5.2 Ermittlung von Leistungsaspekt (d’) und Antwortdisposition (B’’) und Interpretation der Kennwerte

Um Leistungsaspekt (SDT: Diskriminationsleistung) d’ und Antwortdisposition (SDT: Reaktionsneigung) B” bestimmen zu können, wurden zunächst die Wahrscheinlichkeiten von ‚Treffer (H)’ und ‚falscher Alarm (FA)’ ermittelt und anhand dieser zwei Informationen der Leistungsaspekt d’ (bzw. AG) und die Antwortdisposition (B”) berechnet (siehe Abbildung 3). Für den nicht-parametrischen Fall des ja/nein-Recognition-Tests wird die Berechnung von AG nach Craig anstelle von d’ vorgeschlagen (Shapiro, 1994).Für die Interpretation von AG und B” gilt: Je größer AG, desto besser kann eine Person zwischen zuvor bereits gezeigten (‚alte Items’) und in der Abfrageliste erstmals vorkommenden Stimuli (‚neue Items’) unterscheiden. B” kann Werte im Bereich von –1 bis +1 annehmen. Positive Werte von B” verweisen auf ein konservatives Entscheidungsverhalten, d.h. eine Person, die fälschliche Wiedererkennungen (ein ‚neues’ Items wird als ‚alt’ bezeichnet = ‚falscher Alarm’) zu vermeiden versucht und

Formeln zur Berechnung von Leistungsaspekt (AG) und Antwortdisposition (B’’)( Shapiro, 1994, S. 144).
Abbildung 3: Formeln zur Berechnung von Leistungsaspekt (AG) und Antwortdisposition (B’’)( Shapiro, 1994, S. 144).

damit riskiert, die Zahl der korrekten Wiedererkennungen (‚Treffer’) zu reduzieren. Negative Werte von B” verweisen auf ein progressives Entscheidungsverhalten: Personen die so raten, wollen möglichst viele ‚Treffer’ erzielen, wodurch sie das Risiko für fälschliche Wiedererkennungen (‚falscher Alarm’) erhöhen.

5.3 Ergebnisse

In Studie 1 zeigte sich kein Effekt der unterschiedlichen Programmintegration von Werbespots (siehe Tabelle 2): Die Wiedererkennungsraten unterschieden sich nicht, egal ob Werbespots für die sechs untersuchten Produkte/Marken innerhalb oder in Werbeblöcken zwischen Teilen der Unterhaltungsshow Die dicksten Dinger vorkamen. Nach der statistischen Analyse der Wiedererkennungsdaten zeigte sich selbiger Befunde für die Fähigkeit der Befragten, die Marken- oder Produktnamen im Fragebogen in alte (Marke- oder Produkt wurden zuvor im TV-Mitschnitt präsentiert) und neue Items (Marke- oder Produkt war nicht im TV-Mitschnitt enthalten) einzuteilen: In beiden Gruppen waren die Wiedererkennungsraten für die im Werbeblock bzw. in der Show gezeigten Zielmarken und -produkte (‚alte Reize’) ebenso ausgeprägt wie AG als Maß für die Fähigkeit, zwischen diesen und den in der Abfrage des Wiedererkennungstests als Distraktoren präsentierten ‚neuen’ Reizen unterscheiden zu können. Dieses Ergebnis legt nahe, beiden Darbietungsformen ein ähnliches Aktivierungs- und Wahrnehmungspotential zu unterstellen. Gemäß Signalentdeckungstheorie ist aber auch eine Interpretation derart vorstellbar, dass es tatsächlich eine Differenz im sensorisch Aktivierungspotential der Darbietungsformen Show oder Werbeblock gab, die zunächst unterschiedliche latente Antwortleistungen befördert haben könnte, in der manifesten Indikatorvariable ‚Wiedererkennungsraten’ aber nicht sichtbar wurde, da in beiden Gruppen mit unterschiedlichen Dispositionen vorgegangen wurde. Die deskriptiven Werte für die Reaktionsneigungen deuten zunächst auf ein tendenziell progressiveres Entscheidungsverhalten (geringe Werte für B”) von Personen in der Sendungsgruppe im Vergleich zu Personen in der Werbungsgruppe hin. Allerdings sind die Unterschiede innerhalb der Gruppen bei Standardabweichungen von 0,73 (Sendungsgruppe) und 0,77 (Werbungsgruppe) höher als die Unterschiede zwischen den zwei Gruppen, so dass ein signifikanter Effekt der Darbietungsformen auf die Reaktionsneigungen auszuschließen ist.

Tabelle 2: Analyse des kognitiven Potentials von Informationsangeboten – ‚konventionelle’ Auswertung des Wiedererkennungstests und Auswertung gemäß SDT für Studie 1 (Nmax = 105).

Analyse des kognitiven Potentials von Informationsangeboten – ‚konventionelle’ Auswertung des Wiedererkennungstests und Auswertung gemäß SDT für Studie 1 (Nmax = 105).

Es ist also festzuhalten: Mit der Programmintegration von Werbespots wird das Wiedererkennungspotential der Marken- bzw. Produktinformationen weder verbessert noch verschlechtert – Werbespots in einem redaktionellen Programm statt in einem Werbeblock darzubieten ist unerheblich für die Wahrnehmung und das Wiedererkennen von Marken- und Produkten.

In Studie 2, dem Vergleich von Product Placements im Spielfilm BIS ANS ENDE DER WELT bzw. Werbespots im Werbeblock zwischen Teilen der Fernsehfassung dieses Spielfilms, fällt die Bewertung in Bezug auf die Wiedererkennungsraten dagegen anders aus als in Studie 1 (siehe Tabelle 3): Die Informationen zu einem Car-Info-Systems und einem Mobiltelefon von SONY sowie einem SHARP-Netbook wurden bei der Werbespotdarbietung aufmerksamer wahrgenommen und intensiver verarbeitet als bei einer Platzierung dieser Produkte im Spielfilm. Während knapp die Hälfte der Personen in Gruppe B (Werbespots) das SHARP-Netbook im Gedächtnistest korrekt wiedererkannte, war dies in Gruppe A (Product Placements) nur bei etwa jeder zehnten Person der Fall. Eine Ausnahme betrifft die Platzierung von LUFTHANSA im Spielfilm: Als sogenanntes Creative Placement war der LUFTHANSA-Airliner nicht nur Hintergrundkulisse, sondern selbst Handlungsträger und wurde deshalb ähnlich intensiv wahrgenommen wie bei der Werbespotdarbietung. Neben der besseren Gesamtwerte für die vier möglichen korrekten Wiedererkennungen (‚Wiedererkennungsrate gesamt’) konnten Personen aus der Werbespotgruppe in der Wiedererkennungsaufgabe auch besser zwischen alten (Marke- oder Produkt wurde zuvor präsentiert) und neuen Reizen (Marke- oder Produkt war nicht enthalten) unterscheiden (‚AG’) – ein Befund, der (abgesehen von dessen eingeschränkter Interpretierbarkeit aufgrund heterogener Fehlervarianzen) zunächst auf ein geringeres Aktivierungspotential von Product Placements im Vergleich zu Werbespots verweist. Wie zuvor diskutiert, lässt sich das Ergebnis des Wiedererkennungstests in Studie 2 aber auch ganz anders interpretieren: Wenn Personen in der ja/nein-Wiedererkennungsaufgabe zu Werbespotszenen einer anderen Antwortdisposition folgten als Personen in der ja/nein-Wiedererkennungsaufgabe zu Filmszenen, wäre die Darbietungsform der werblichen Botschaft in Bezug auf das Aktivierungspotential als ähnlicher einzuschätzen, auch wenn sich die Wiedererkennungsraten signifikant unterscheiden. Diese Annahme bestätigt sich aufgrund der Werte für die Reaktionsneigung: Personen in Gruppe A, also jene, die Marken und Produkte innerhalb des Spielfilms sahen, erweisen sich im Wiedererkennungstest eher als ‚konservative Rater’. Indem sie versuchten, fälschliche Wiedererkennungen (‚falscher Alarm’) zu vermeiden, war eine im Vergleich zu den anderen Items in der Vorlagenliste des Wiedererkennungstests deutlich erhöhte Empfindungsstärke notwendig, einen Reiz als ‚zuvor gesehen’ zu markieren. Die in den Filmszenen enthaltenen Marken-/Produktdarstellungen waren offenbaren nicht aufdringlich genug für eine elaborierte Verarbeitung und die Differenz zu einem ‚neuen’ Item in der Abfrageliste zu gering – in dieser Unsicherheitssituation auf Nummer sicher gehend entschieden sich die Befragten im Wiedererkennungstest bei der überwiegenden Zahl von Items für die Antwort ‚zuvor nicht gesehen’ und verpassten dadurch Items, für die eine Wiedererkennung korrekt (‚Treffer’) gewesen wäre. Ganz anders gingen die Befragten in Gruppe B vor, denen Marken und Produkte per Werbespot dargeboten wurden: mit einem um fast 0,5 Punkte geringeren Wert für die Reaktionsneigung (bei einem Wertebereich von B” von +1 bis -1) erweisen sich diese im Vergleich zu Personen in Gruppe A als deutlich ‚progressivere Rater’, wenngleich B” noch immer im konservativen Bereich und nahe dem theoretischen Mittel liegt.

Tabelle 2: Analyse des kognitiven Potentials von Informationsangeboten – ‚konventionelle’ Auswertung des Wiedererkennungstests und Auswertung gemäß SDT für Studie 1 (Nmax = 105).

Analyse des kognitiven Potentials von Informationsangeboten – ‚konventionelle’ Auswertung des Wiedererkennungstests und Auswertung gemäß SDT für Studie 1 (Nmax = 105).

Indem Personen in Gruppe B versuchten, möglichst viele Treffer zu erzielen, d.h. ‚gute Werbungsentdecker zu sein‘, entschieden sie sich bereits bei einer (im Vergleich zu anderen Items in der Vorlagenliste des Wiedererkennungstests) minimal erhöhten Empfindungsstärke für die Antwortkategorie ‚zuvor gesehen’ – auch wenn die Marken-/Produktinformationen in Gruppe B (Werbespots) gar nicht wesentlich aufdringlicher waren als jene in Gruppe A. Dadurch wurde zwar das Risiko eingegangen, einen Reiz als ‚zuvor gesehen’ zu identifizieren, der im zuvor dargebotenen Werbeblock gar nicht vorkam – oft genug war diese Entscheidung aber (zufällig) richtig und die Wiedererkennung korrekt (ein ‚Treffer’). So entstand unter dem Eindruck der höheren Wiedererkennungsraten in Gruppe B der Eindruck, das Aktivierungspotential von Werbespots (mit Ausnahme LUFTHANSA) sei höher als das von Product Placements. Als Folge der separaten Betrachtung von Antwortleistung (Diskriminationsfähigkeit) und Antwortdisposition (Reaktionsneigung) in Studie 2 erscheint der Befund eines höheren Aktivierungspotentials von Werbespots gegenüber Product Placements nicht mehr ausreichend gültig.

Kritiker dieser Auffassung könnten einwenden, dass die als Reaktionsneigungen gemessenen unterschiedlichen Dispositionen, in einem Wiedererkennungstest bei Unsicherheit über die vorherige Wahrnehmung mit ‚zuvor gesehen’ bzw. ‚zuvor nicht gesehen’ zu antworten, eine Frage der Persönlichkeit, d.h. eine ‚Trait’-Eigenschaft sind und damit a priori vorhanden gewesen sein müssten. Faktisch können die beobachteten Gruppenunterschiede in den Reaktionsneigungen zum Wiedererkennungstest aber nur situative Realisationen dieser potentiell unterschiedlichen Antwortdispositionen in Folge der Darbietung unterschiedlicher Formate werblicher Botschaften sein – denn a) waren die interessierenden auditiven und visuellen Reizen in der Ursprungsstudie zur Reanalyse nahezu identisch, b) gab es im Unterschied zur üblichen Vorgehensweise bei Detektionsaufgaben (vgl. Fahr & Noessing, 2006) zuvor nicht die Instruktion, auf Werbespots bzw. Szenen im Spielfilm mit Produktplatzierungen zu achten und c) handelt es sich um ein kontrolliertes Experiment mit Randomisierung, bei dem alle Personen per Zufall auf die zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Im Durchschnitt von A- und B-Gruppe waren die für einzelne Personen potentiell vielleicht unterschiedlich ausgeprägten Antwortendispositionen vor der Stimuluspräsentation damit ähnlich und können die Mittelwertunterschiede im Wiedererkennungstest (Wiedererkennungsraten und Diskriminationsleistungen) nach der Stimulusdarbietung nicht erklären (vgl. Rasch, Verdooren & Gowers, 1999).

Diese Interpretation belegt auch eine moderierte Regression zum Test der Interaktion der beiden angenommenen Verursachungsgrößen ‚Format der Informationsdarbietung’ (Gruppe Product Placement versus Gruppe Werbespots) sowie ‚Reaktionsneigung’ in der Vorhersage des manifesten Indikators ‚Wiedererkennungsraten’. Die Darbietungsform werblicher Botschaften und die Reaktionsneigung sind zunächst statistisch unabhängig (kein Interaktionseffekt; siehe Abbildung 4) in ihrem Zusammenhang zu den Leistungen im Wiedererkennungstest: Product Placements werden schlechter wiedererkannt als Werbespots und konservative Rater (höhere Werte von B”) erkennen schlechter wieder als progressive Rater (geringere Werte von B”).

Test des Interaktionseffekts von ‚Format der Informationsdarbietung’ und ‚Antwortneigung’ in der Vorhersage von Wiedererkennungsrate.
Abbildung 4: Test des Interaktionseffekts von ‚Format der Informationsdarbietung’ und ‚Antwortneigung’ in der Vorhersage von Wiedererkennungsrate.

Betrachtet man jedoch die bedingten Effekte wird deutlich, dass sich der Effekt der Darbietungsform des Informationsangebotes mit Veränderungen der Antwortdisposition in Richtung ‚konservatives Raten’ tendenziell verringert: Werbespots sind in Studie 2 zwar auch dann noch Product Placements überlegen, wenn Befragte statt viele Treffer (Items, die zuvor gezeigt waren, als ‚wiedererkannt’ markieren) zu erzielen lieber weniger Fehler (im Sinne von falscher Alarm, d.h. Items als ‚wiedererkannt markieren’, die zuvor nicht gezeigt waren) machen wollen (höhere Werte von B”) – im direkten Stichprobenvergleich, d.h. an den Stellen, die die durchschnittlichen Ausprägungen von Reaktionsneigungen in den jeweiligen Stimulusbedingungen markieren (Gruppe mit Werbespots = 0,05; Gruppe mit Product Placements = 0.54), ist die Differenz in den Wiedererkennungsraten mit 0.97 aber deutlich größer als der Unterschied, der für zwei Personen mit gleichen Reaktionsneigungen (z. B. 0,59 bei B”=0) feststellbar ist – faktisch ist der Unterschied in den kognitiven Potentialen der beiden Informationsdarbietungen Werbespot und Product Placement geringer als über den manifesten ) Indikator vorhergesagt.

Mit der moderierten Regression wurde zudem die kritische Frage untersucht, ob man Größen wie ‚Diskriminationsleistung’ und ‚Reaktionsneigung’ als Kontrollvariablen im Hinblick auf eine Kriteriumsvariable verwenden kann, wenn diese aus der manifesten Indikatorvariable abgeleitet sind. Sowohl bei der ‚Reaktionsneigung’ als auch beim Interaktionsterm ‚Format der Informationsdarbietung’ x ‚Reaktionsneigung’) wurden die Grenzen im Test der Multikollinearität (zum Prädiktor ‚Format der Informationsdarbietung’ als angenommenem Haupteffekt für die Wiedererkennungsraten) nicht überschritten (‚Reaktionsneigung’: Toleranz = 0.270; VIF = 3.709; ‚Format der Informationsdarbietung’ x ‚Reaktionsneigung’: Toleranz = 0.312; VIF = 3.2005). Damit lässt sich auch ausschließen, dass die Strategie, Wiedererkennungsraten in einen Leistungsaspekt und in eine Antwortdisposition aufzuteilen, um so eine Kontrolle des manifesten Indikators für den Medieneffekt zu erreichen, dadurch konterkariert wird, dass die Kontrollgröße selbst konfundiert ist.

6 Fazit der (Re)Analyse – Relevanz der Unterscheidung von Leistungsaspekt und Antwortdisposition in medien- und werbepsychologischen Studien

Der vorliegende Beitrag untersuchte, inwiefern die in Latent-Trait-Analysen (LTA) bzw. in der Item-Response-Theorie (IRT) übliche Aufteilung manifester Indikatoren in eine Aufgabenschwierigkeit und in eine Personenfähigkeit auf Messungen zum Gedächtnis übertragen werden kann. Wie gezeigt liefert die Signal-Entdeckungs-Theorie (SDT) einen geeigneten Ansatz, um Wiedererkennungsdaten analog zur IRT in zwei Informationen aufzuteilen:

In eine mit der (latenten) Personenfähigkeit vergleichbare Diskriminationsleistung (‚alte’ von ‚neuen’ Reizen unterscheiden zu können) sowie eine mit der Aufgabenschwierigkeit vergleichbare Neigung, bei Unsicherheit über die Vertrautheit mit ‚alten’ bzw. ‚neuen’ Reizen eher die Antwortkategorie ‚zuvor gesehen’ oder eher die Antwortkategorie ‚zuvor nicht gesehen’ zu wählen.

Auf Recall-Tests lässt sich das Modell der SDT prinzipiell ebenso anwenden; allerdings fehlt hier die Möglichkeit, analog zum ‚falschen Alarm’ bzw. zur ‚korrekten Zurückweisung’ in Wiedererkennungstests die nicht korrekte Erinnerung bzw. korrekte Nicht-Erinnerung zuvor nicht dargebotener Informationen über Kategorien mit prinzipiell gleicher Verteilungswahrscheinlichkeit aufzuzeichnen.

Die Erläuterungen zum Informationswert von Auswertungen gemäß SDT verdeutlichen den Erkenntnisgewinn, den die Anwendung des Konzepts lokaler stochastischer Unabhängigkeit grundsätzlich erbringt: Sie zeigen, dass es potentiell zwei und nicht nur eine Ursache für hohe Wiedererkennungsraten, d.h. für eine hohe Anzahl von korrekt wiedererkannten Reizen gibt: a) Medienangebote weisen tatsächlich ein hohes kognitives Potential auf (erhöhen Aufmerksamkeit, leiten das Lernen neuer bzw. den Abruf bekannter Konzepte an) und/oder b) Personen sind ‚progressive Rater’, d.h. sie markieren Items in Wiedererkennungstest bereits dann als zuvor gesehen, sobald sie eine minimale Vertrautheit mit entsprechenden Reizen empfinden und ohne sich sicher zu sein, dass ihre ‚Wiedererkennungen’ korrekt sind.

Während diese Erkenntnis für die mit Beobachtungsdaten arbeitende Medienpraxis im Unterschied zur Häufigkeit von Analysen nach der SDT schon immer hoch relevant war, erschien die Fokussierung auf Wiedererkennungsraten in experimentellen Studien bisher kein Problem. Unter der Annahme, die Antwortdisposition weise ähnlich wie Trait-Variablen in der Persönlichkeitspsychologie eine zeitliche und situative Konsistenz auf und sei mit der manifesten Antwortleistung unkorreliert, galt das Experiment als Methode der Wahl, potentielle Dispositionsunterschiede zu kontrollieren. Die Reanalyse von zwei experimentellen Studien mit ja/nein-Wiedererkennungsaufgaben zeigt aber, dass sich diese Annahme empirisch nicht halten lässt: Antwortdispositionen sind zumindest teilweise situativ, denn sie unterschieden sich trotz randomisierter Gruppenbildung, identischen Instruktionen aber unterschiedlichen Formaten der Darbietung werblicher Botschaften im Gruppenvergleich nach der Stimuluspräsentation. Wäre die Antwortdisposition ein ‚Trait’ und stochastisch unabhängig von der latenten Fähigkeit einer Person (einen konkreten Reiz wiederzuerkennen), hätte die Randomisierung vorab bestehende individuelle Unterschiede (z. B. Werbebotschaften leicht zu entdecken wegen höherer Coping-Kompetenz; ‚gesehen zu sagen’ egal ob man Fehler macht) egalisiert, sodass sie faktisch zwar immer noch die Ausprägung der manifesten Indikatorvariable bestimmen, das Basislevel der Wiedererkennungsraten aber synchron und ohne Unterscheide zwischen den Gruppen festlegen.

Forschungsdesigns, die Drittvariableneinflüsse durch Zufallsverteilung von Personen auf Gruppen oder mehrere Messungen an derselben Person zu kontrollieren versuchen, können das Problem der Mehrdeutigkeit von Wiedererkennungsraten ebenso wie Kovarianz- und Interaktionseffektanalysen aber nicht lösen, wenn die manifeste Antwortleistung (‚Wiedererkennungsraten’) und die Antwortdisposition (‚Reaktionsneigung’) eine gemeinsame Ursache haben, d.h. im Test konvergieren und nicht vollständig unabhängig voneinander erhoben werden können. Unterschiedliche Antwortdispositionen, die aus der Testaufgabe oder Hinweisen im Studienverlauf (z. B. die Art des Informationsangebotes) resultieren, dürften nicht nur Kennzeichen und untrennbarer Bestandteil des hier behandelten Wiedererkennungstests sein. Zwar erwiesen sich die Wiedererkennungsraten in der diskutierten Studie 2 mit wenigen Product Placements bzw. Werbespots im Informationsangebot und wenigen Items in der Vorlage zur ja/nein-Wiedererkennungsaufgabe als Indikator für Medieneffekte, den Diskriminationsleistungen und Antwortneigungen zwar relativieren, aber nicht widerlegen – bei anderen Informationsdarbietungen bzw. Testkonstellationen sind konträre Ergebnisse zu erwarten.

Wie eingangs beschrieben wurde, ist daher kritisch zu fragen, inwiefern die bisher weitgehende Nichtbeachtung der situativen Abhängigkeit der Antwortneigung von Darbietungs- und Testbedingungen als unproblematisch gelten kann. Das trifft insbesondere für Studien im Kontext globalisierter Marken- und Produktkommunikation zu, wo zu fragen ist, ob beobachtete Länderunterschiede in den Urteilen von Konsumenten tatsächlich eine substantielle Differenz anzeigen, oder nur auf unterschiedlichen Antwortdispositionen beruhen, für die kulturelle Unterschiede zwischen Ländern (vgl. Hofstede, 2001) maßgeblich sind. So gesehen ist die Annahme zielführend, dass eine Reihe von manifesten Indikatoren in medien- und werbepsychologischen Studien nicht nur Erkenntnisse über das persuasive oder lernbezogene Potential von Informationsangeboten (seien es Angebote im TV, Online-Medien, Büchern oder der interpersonalen Kommunikation) enthalten, sondern auch Ergebnis einer bestimmten Antwortdisposition sind. Antwortdispositionsunterschiede anzunehmen heißt nicht, jeden Test und jede Befragung zu problematisieren: man sollte die Bedingung der Möglichkeit des Auftretens aber bedenken und im Sinne eines ‚Differential Item Functioning’ (vgl. Embretson & Reise, 2000) nicht nur in Beobachtungsstudien, sondern auch in experimentellen Studien prüfen, um Effekte von Informationsangeboten zur Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation angemessen bestimmen zu können.


1Zur Unterscheidung von durchschnittlichen und individuellen kausalen Effekten siehe Neyman (1990).

2Zur Unterscheidung von Personeneigenschaften in ‚Trait’ oder ‚State’ in der medienpsychologischen Forschung siehe Schmitt (2004) und s.u.

3Ergebnisse im Eurobarometer 2010 (vgl. OQ1, 2010): Anteil der sehr interes-sierten Personen: Österreich = 21 Prozent, Deutschland = 32 Prozent, Schweiz = 33 Prozent oder für den Informationsstand über Wissenschaft und Technik (Anteil der Personen die angeben, schlecht informiert zu sein: Österreich = 51 Prozent; Schweiz = 35 Prozent; Deutschland = 36 Prozent).

4Merkmale der Stichprobe: N = 105; NFrauen = 80; MAlter = 21.4 Jahre.

5Merkmale der Stichprobe: N = 122 ; NFrauen = 90; MAlter = 24.8 Jahre.

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Korrespondenzadresse:

Dr. Jens Woelke
Empirische Kommunikations- und Medienforschung
Universität Leipzig
Burgstraße 21
D-04109 Leipzig
GERMANY

jens.woelke@uni-leipzig.de

Beurteilung eines berufsbegleitenden Studiums durch Personalverantwortliche

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1 Einleitung

Im Jahr 2011 verzeichnete das Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Höchststand von Immatrikulationen an deutschen Hochschulen von 517.000 Studierenden. Gleichzeitig stieg die Quote der Hochschulabsolventen1 allein zwischen 1995 und 2010 um 16% (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2012). Neben einer Zunahme der Messeaktivitäten deutscher Hochschulen im Jahr 2012 (GATE-Germany, 2013) stieg auch die Anzahl der Studienberechtigten von 2010 bis 2012 um 8,3%, was hauptsächlich auf die Verkürzung der gymnasialen Schulbildung zurückzuführen ist (Statistisches Bundesamt, 2013). Angesichts dieser Menge, von der sie sich abheben möchten, fragen sich die jungen Schulabsolventen natürlich, welchen Weg sie einschlagen sollten, um sich gut auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren: eine Ausbildung beginnen, in das Arbeitsleben einsteigen oder direkt studieren.

2 Beschreibung des Gegenstands und aktueller Stand der Forschung

Die Schulabgänger, die sich für den direkten Weg in das Studium entscheiden, stehen selten in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis. Der Fokus liegt auf dem Studium. Das Vollzeitstudium ist die häufigste Studienform. Aber auch diejenigen, die sich für eine Ausbildung respektive einen Berufseinstieg entschieden haben, überlegen zunehmend, sich mit einem Studienabschluss weiter zu qualifizieren. Eine Alternative zum Vollzeitstudium ist das berufsbegleitende Studium. Hierbei handelt es sich um ein Studium, das neben einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis verfolgt wird, bspw. in Form eines Fern- oder Abendstudiums. Im weiteren Verlauf werden diese unterschiedlichen Formen unter dem Begriff des berufsbegleitenden Studiums zusammengefasst. Bei dieser Studienform stehen die Studierenden voll im Berufsleben und nutzen das Studium zur Erweiterung ihres Wissens und ihrer Fertigkeiten. Das berufsbegleitende Studium ist traditionell eher eine „Randerscheinung der Hochschulausbildung in Deutschland“ (Minks, Netz & Völk, 2011, S. 3), wird jedoch kontinuierlich weiterentwickelt und ausgebaut. Hier stellt sich die Frage, ob Personalverantwortliche sich mit dieser „Randerscheinung“ schon näher auseinandergesetzt haben und ob es diesbezüglich einen Unterschied von großen zu kleinen Unternehmen gibt.
Haben Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt wie diejenigen, die sich für ein Vollzeitstudium entschieden haben? Wie anerkannt ist das berufsbegleitende Studium unter Personalverantwortlichen? Da zu dieser Thematik bisher keine Studien vorliegen, hat eine studentische Projektgruppe der Hochschule Fresenius Köln im Auftrag des Portals www.studieren-berufsbegleitend.de eine branchen- und größenunabhängige Umfrage bei 1.960 Unternehmen durchgeführt, um diese Fragen zu beantworten.

Worauf achten Personalverantwortliche, wenn sie Absolventen einstellen? Neben fachlichen Qualifikationen spielen zunehmend soziale Kompetenzen eine entscheidende Rolle bei der Personalauswahl (Crisand, 2002). Hinter den Soft Skills verbirgt sich das Potenzial und die Bereitschaft einer Person, mit anderen Menschen und deren Handlungsweisen sowie mit sich selbst umzugehen (Peters-Kühlinger & John, 2008). Krenn (2009, S. 22) spricht von einer Ergänzung der „harte[n]“ Fachkenntnisse durch die „weichen“ sozialen Kompetenzen, welche „für die flexible und (situations-)adäquate Anwendung“ der Fachkenntnisse vonnöten sind. Als Grund für die zunehmende Wichtigkeit sozialer Kompetenzen gibt er unter anderem die „Dezentralisierung von Verantwortung“ (Krenn, 2009, S. 22) in Unternehmen an. Jansen, Melchers und Kleinmann (2012) bestätigen, dass jene Kompetenzen auch schon im Personalauswahlprozess von hoher Bedeutung sind. Aufgrund dessen stellt sich die Frage, ob Soft Skills inzwischen wichtiger als Fachkenntnisse sind. Die Soft Skills betreffen zum einen persönliche beziehungsweise personale Kompetenzen, die die Herangehensweise und die Einstellung zur eigenen Arbeit und den Umgang mit sich selbst umfassen. Zu den Soft Skills gehören weiterhin soziale und methodische Kompetenzen. Soziale Kompetenz bezeichnet die „Gesamtheit des Wissens, der Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person, welche die Qualität eigenen Sozialverhaltens (…) fördert“ (Kanning, 2005, S. 4). Das Erlernen und Beherrschen bestimmter Methoden und Techniken als auch die Fähigkeit, das eigene Vorgehen zu organisieren und zu strukturieren, werden in diesem Zusammenhang hingegen als methodische Kompetenz bezeichnet (Enggruber & Bleck, 2005).

Um sich langfristig Wettbewerbsvorteile verschaffen zu können, suchen Unternehmen Arbeitskräfte, die durch ihre Charaktereigenschaften und Kompetenzen gut zum Unternehmen passen und sich mit Ideenreichtum und Problemlösekompetenz erfolgreich einbringen können (Hirn, 2008). Häufig fragen Unternehmen positionsübergreifend besonders Schlüsselqualifikationen wie Kommunikationsfähigkeit, systematisch-zielorientiertes Denkhandeln und soziale Kompetenz nach, wenn es um die Besetzung von Stellen im Unternehmen geht (Dahm, 2005). Aufgrund der zunehmenden Relevanz der Soft Skills wurde ihre Vermittlung auch in die Curricula von Bachelor- und Masterstudiengängen eingearbeitet, um Studierende optimal auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten (Salvisberg, 2010). Offen ist jedoch, welche Soft Skills Personalverantwortliche Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums im Gegensatz zu denen eines Vollzeitstudiums zuschreiben. Um die zuvor aufgegriffenen Fragen beantworten zu können, wurden folgende Hypothesen untersucht.

3 Untersuchungshypothesen

H1: Bei der Auswahl von Bewerbern legen Personalverantwortliche mehr Wert auf Fachkenntnisse als auf Soft Skills.

Indem die Probanden die Kriterien Hoher Praxisbezug, Soft Skills, Hoher Bekanntheits- und Anerkennungsgrad der Hochschule, Akkreditierung des Studiengangs, Art des Studiums (Vollzeit/berufsbegleitendes Studium) und Fachkenntnisse in eine Reihenfolge bringen, stufen sie ein, wie relevant diese Faktoren bei der Bewertung von Studienabschlüssen für sie sind.

H2: Die Größe des Unternehmens korreliert positiv mit dem Grad der Informationen über ein berufsbegleitendes Studium.

Geprüft wird der Einfluss der Unternehmensgröße, gemessen an der Beschäftigtenanzahl, auf den Umfang der Informationen über den Ablauf und die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums. Es handelt sich um eine Zusammenhangshypothese.

H3: Je höher die Informiertheit, desto eher werden berufsbegleitende Absolventen eingestellt.

Bei der vorliegenden Hypothese handelt es sich um eine Zusammenhangshypothese. Es wird eine Abhängigkeit zwischen der Informiertheit über den Ablauf und die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums und eingestellter berufsbegleitender Absolventen geprüft. Die unabhängige Variable ist ordinalskaliert.

4 Methode

Das folgende Kapitel erläutert den als Erhebungsinstrument benutzten Fragebogen. Weiterhin wird die Stichprobe der Umfrage beschrieben.

4.1 Fragebogen

Der Fragebogen gliedert sich in fünf Teile. Zu Beginn des Fragebogens werden die Probanden nach ihren sozio- und firmendemografischen Daten gefragt. Zunächst wird im Rahmen dieses Teils die Branche des Unternehmens erfragt, bei dem der Proband beschäftigt ist. Hierfür wird ein freies Textfeld vorgegeben. Ebenfalls wird die Mitarbeiterzahl des Unternehmens erhoben, wobei die Probanden aus den Antwortmöglichkeiten „10 Beschäftigte oder weniger“, „11-50 Beschäftigte“, „51-250 Beschäftigte“ und „mehr als 250 Beschäftigte“ wählen können. Die Unterteilung der Unternehmensgröße in die obigen vier Kategorien entspricht der gesetzlichen Kategorisierung nach §267 HGB. Um im nächsten Schritt die Führungsebene des Probanden zu erfassen, können die Teilnehmer aus vorgegebenen Antworten wählen (ich führe keine Mitarbeiter, ich führe Mitarbeiter ohne disziplinarische Führungsverantwortung, ich führe Mitarbeiter mit disziplinarischer Führungsverantwortung, Führungskräfte berichten mir, ich gehöre dem Vorstand beziehungsweise der Geschäftsleitung an).

Der zweite Teil des Fragebogens zielt darauf ab, die Beurteilung berufsbegleitender Studiengänge zu erfassen. Einleitend werden die Probanden befragt, ob sie sich über den Ablauf sowie die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums ausreichend informiert fühlen. Der Fragebogen gibt hierzu sechs unterschiedliche Aussagen vor, die die Probanden auf einer fünfstufigen Likertskala von „stimme voll und ganz zu“ bis „stimme überhaupt nicht zu“ sowie „weiß nicht/keine Angabe“ beurteilen (siehe Anhang). Im weiteren Verlauf gilt es zu ermitteln, ob der Proband einen Bewerber mit einem abgeschlossenen berufsbegleitenden oder einem Vollzeitstudium präferiert oder er bei der Entscheidung für einen Bewerber keinen Unterschied macht. Die Möglichkeit, keine Angabe zu machen, ist ebenfalls gegeben.

Der dritte Teil des Fragebogens ermittelt, welche unterschiedlichen Eigenschaften Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums im Vergleich zu denen eines Vollzeitstudiums zugeschrieben werden. Untersucht werden Soft Skills in den Bereichen soziale Kompetenzen (zwei Items: Teamfähigkeit und Führungsqualitäten, Cronbachs Alpha = .83), sprachliche Kompetenzen (zwei Items: Kommunikationsfähigkeit und Moderationsfähigkeit, Cronbachs Alpha = .96) und persönliche Einstellungen und Werte (neun Items, z. B. Leistungsbereitschaft und Unternehmerisches Denken und Handeln, Cronbachs Alpha = .92). Ebenso werden kognitive Fähigkeiten (sechs Items z. B. kritisches Denkvermögen und Kreativität, Cronbachs Alpha = .93) sowie körperliche und psychische Voraussetzungen (zwei Items: psychische Belastbarkeit und Durchhaltevermögen, Cronbachs Alpha = .92) erfasst. Grundlage für die Auswahl der Items bildeten verschiedene aktuelle Studien zum Thema Soft Skills (Andrews & Higson, 2008; Mitchell, Skinner & White, 2010; Nabi, 2003; Weligamage, 2009). Außerdem wird ermittelt, welche Fachkenntnisse berufsbegleitende Absolventen im Vergleich zum Vollzeitabsolventen aufweisen. Die Werte werden mit Hilfe einer sechsstufigen Likertskala von „viel stärker ausgeprägt“ bis „viel geringer ausgeprägt“ ermittelt. Auch hier besteht die Möglichkeit, keine Angabe zu machen.

Der vierte Teil des Fragebogens erfasst die Erfahrungen, die Personalverantwortliche bisher mit eingestellten Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums gemacht haben. Für die Fragestellung wird zunächst ergründet, ob schon mit berufsbegleitenden Absolventen gearbeitet wurde. Hier kann der Proband zwischen den Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“ wählen. Bei der Beantwortung der Frage mit „Ja“ wird die Art der Erfahrungen in den verschiedenen Bereichen mittels einer sechsstufigen Likertskala von „sehr gute Erfahrungen“ bis „ungenügende Erfahrungen“ erfragt. Falls das Unternehmen bislang noch keine berufsbegleitenden Absolventen eingestellt hat, wird der Grund ermittelt, warum sich die Personalverantwortlichen gegen einen Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums entschieden.

Im letzten Teil wird mithilfe eines Rankings die Wichtigkeit einzelner Kriterien für Studienabschlüsse ermittelt. Die Merkmale (hoher Praxisbezug, Soft Skills, hoher Bekanntheits- und Anerkennungsgrad der Hochschule, Akkreditierung des Studiengangs, Art des Studiums und Fachkenntnisse) sollen in eine absteigende Rangfolge gebracht werden.

4.2 Stichprobe

Der Link zur Umfrage wurde an ca. 1960 Probanden, überwiegend Führungskräfte mit Personalverantwortung versendet sowie in öffentlichen Social Media Gruppen distribuiert. Die Teilnahme erfolgte auf freiwilliger Basis und wurde nicht entlohnt. Über einen Online-Fragebogen wurden im Zeitraum vom 26.11.2012 bis zum 14.12.2012 insgesamt N = 98 vollständige Datensätze erhoben. Unternehmen, in deren Branche ein berufsbegleitendes Studium eher untypisch ist, sowie unvollständige Datensätze wurden nicht in die Auswertung mit einbezogen. Die Rücklaufquote beträgt 5%.

Die Stichprobe setzt sich aus Probanden mit unterschiedlicher Führungsfunktion zusammen: fünf Probanden befinden sich in der Position, dass Führungskräfte ihnen berichten. Dem Vorstand beziehungsweise der Geschäftsleitung gehören 15 Personen an. 18 Befragte geben an, keine Mitarbeiter zu führen. 21 der befragten Personalverantwortlichen führen Mitarbeiter ohne disziplinarische Führungsverantwortung und 39 mit disziplinarischer Führungsverantwortung.

Als Grundlage für die Analyse wird die Unternehmensgröße über die Anzahl der Beschäftigten definiert. Von den insgesamt 98 Probanden können vier der Kategorie „10 Beschäftigte oder weniger“, sieben der Kategorie „11-50 Beschäftigte“ und 35 der Kategorie „51-250 Beschäftigte“ zugeordnet werden. Der Großteil, 52 Probanden, kann in seinem Unternehmen mehr als 250 Beschäftigte verzeichnen.

5 Ergebnisse

Für die Analyse liegen nach der Bereinigung 98 vollständige Datensätze vor. Wie Abbildung 1 veranschaulicht, gaben von den 98 Probanden 32% an, sich voll und ganz über den Ablauf und die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums informiert zu fühlen. 38% der befragten Personen fühlen sich ausreichend informiert. 21% stimmten dieser Ansicht eher nicht zu und 5% stimmen überhaupt nicht zu.

Wissen über Ablauf und Organisation eines berufsbegleitenden Studiums.
Abbildung 1: Wissen über Ablauf und Organisation eines berufsbegleitenden Studiums.

Bezüglich der Fragestellung ob die Probanden bereits Bewerber mit einem abgeschlossenen berufsbegleitenden Studium eingestellt haben, geben 72% an, dies schon einmal getan zu haben. Die restlichen 27% berichten, dass noch kein Bewerber mit abgeschlossenem berufsbegleitendem Studium in ihrem Unternehmen eingestellt wurde. Als Grund dafür nennen 93% dieser Probanden, dass sich bei ihnen noch kein Bewerber mit einem berufsbegleitenden Studium beworben hat. Bei den verbleibenden 7% hat der Bewerber aus anderen Gründen nicht ins Unternehmen gepasst.

Auf einer sechsstufigen Likert-Skala wurden Angaben über Erfahrungen mit Bewerbern bezüglich deren Fähigkeiten und Kompetenzen gemacht. Durchgehend gut sind die Erfahrungen bei Unternehmen, die bereits zuvor einen Bewerber mit absolviertem berufsbegleitenden Studium eingestellt haben. 70 Probanden der Teilstichprobe machen Angaben zu ihren Erfahrungen bezüglich der Fachkenntnisse (M = 1.87, SD = 0.56). Bei dem Item „Erfahrungen mit sozialen Kompetenzen“ mit einem Stichprobenumfang von n = 69, wird ein Mittelwert von M = 1.84 und eine Standardabweichung von SD = 0.55 festgestellt. Ihre „Erfahrungen mit kognitiven Fähigkeiten“ bewerten n = 70 Personen: Hier ergibt sich ein Mittelwert von M = 2.04 und eine Standardabweichung von SD = 0.46. n = 68 Probanden beurteilen ihre „Erfahrungen mit den sprachlichen Kompetenzen“ mit einem Mittelwert von M = 2.18 und einer Standardabweichung von SD = 0.57. Der Bereich „Erfahrungen mit persönlichen Werten und Einstellungen“ weist einen Stichprobenumfang von n = 70 sowie einen Mittelwert von M = 1.84 und eine Standardabweichung von SD = 0.58 auf. Schließlich machen n = 70 Probanden Angaben zu den Erfahrungen mit den „körperlichen und psychischen Voraussetzungen“ der Absolventengruppe. Hierbei wird ein Mittelwert von M = 1.86 und eine Standardabweichung von SD = 0.51 erreicht. Tabelle 1 verdeutlicht diese Ergebnisse. Die Skalierung wird gemäß Schulnoten (1 = sehr gute Erfahrungen, 6 = ungenügende Erfahrungen) festgelegt. Insgesamt berichten die Probanden über Erfahrungen, die deutlich im positiven Bereich der Skala liegen.

Tabelle 1: Erfahrungen mit Mitarbeitern bezüglich verschiedener Aspekte.

Erfahrungen mit Mitarbeitern bezüglich verschiedener Aspekte.

Weiterhin kann ermittelt werden, welche Fähigkeiten Personalverantwortliche eher berufsbegleitenden Absolventen als Vollzeitabsolventen zuordnen.
Hierzu wird eine fünfstufige Likert-Skala (1= viel stärker bei berufsbegleitenden Absolventen ausgeprägt, 5= viel geringer bei berufsbegleitenden Absolventen ausgeprägt) verwendet; auch die Option „weiß nicht/keine Angabe“ ist gegeben. Je niedriger der Mittelwert, desto ausgeprägter beurteilen die Probanden die entsprechenden Soft Skills bei berufsbegleitenden Absolventen im Vergleich zu Absolventen eines Vollzeitstudiums. Die Skalenebene „soziale Kompetenzen“ besitzt einen Mittelwert von M = 3.03 und eine Standardabweichung von SD = 1.23. Ein Mittelwert von M = 3.20 und eine Standardabweichung von SD = 1.16 ist bei der Skalenebene „sprachliche Kompetenzen“ zu verzeichnen. Außerdem weist die Ebene „persönliche Werte und Einstellungen“ einen Mittelwert von M = 2.54 und eine Standardabweichung von SD = .85 auf. Die Skalenebene „kognitive Fähigkeiten“ erlangt einen Mittelwert von M = 3.04 und eine Standardabweichung von SD = 1.09. Weiterhin kann bei der Ebene „körperliche und psychische Voraussetzungen“ ein Mittelwert von M = 2.49 sowie eine Standardabweichung von SD = 1.12 ermittelt werden. Schließlich besitzt die Skalenebene „spezifisches Wissen“ einen Mittelwert von M = 2.82 und eine Standardabweichung von SD = 1.25. Zur besseren Übersichtlichkeit werden die Ergebnisse in Tabelle 2 zusammengefasst.

Um inferenzstatistisch abzusichern, dass Fähigkeiten entweder berufsbegleitenden oder Vollzeitabsolventen zugeschrieben werden, wurde ein Einstichproben-t-Test mit dem Likert-Skalenmittelwert M = 3 durchgeführt. Der t-Test zeigt auf, dass bei den Skalenebenen „persönliche Werte und Einstellungen“ (t(97) = -5.42, p < .001) und „körperliche und psychische Voraussetzungen“ (t(97) = -4.47, p < .001) ein signifikanter Unterschied zum Mittelwert feststellbar ist. Persönliche Werte und Einstellungen sowie körperliche und psychische Voraussetzungen werden somit eher Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums als Absolventen eines Vollzeitstudiums zugeschrieben.

Hinsichtlich der Frage, ob Personalverantwortliche Bewerber mit einem abgeschlossenen berufsbegleitenden oder einem Vollzeitstudium präferieren, kann festgestellt werden, dass die Mehrheit (68%) keine Präferenz für eine bestimmte Gruppe vorweisen. Immerhin 17% der Probanden geben an, Bewerber mit einem abgeschlossenen berufsbegleitenden Studium zu bevorzugen, während 4% Bewerber mit einem abgeschlossenen Vollzeitstudium vorziehen.

Schließlich ergibt das Ranking bezüglich wichtiger Kriterien bei einer Bewertung von Abschlüssen ein eindeutiges Ergebnis. Den ersten Platz belegen bei einem Stichprobenumfang von n = 94 die Fachkenntnisse mit 52%. Der Praxisbezug erzielt bei einem Stichprobenumfang von n = 94 mit 39% den zweiten Platz. Die Soft Skills folgen mit 40% (n = 94) auf dem dritten Platz. Auf Rang vier landet die Art des Studiums mit 32% (n = 86). Die Akkreditierung eines Studiengangs belegt mit 40% der Stimmen (n = 85) den fünften Platz. Den letzten Rang, und den Probanden damit am unwichtigsten bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter, ist die Bekanntheit der Hochschule der Absolventen mit 45% (n = 85).

Tabelle 2: Mittelwerte und Standardabweichungen der verschiedenen Fähigkeiten.

Mittelwerte und Standardabweichungen der verschiedenen Fähigkeiten.

Die erste Hypothese, die besagt, dass Unternehmen bei der Auswahl von Bewerbern Fachkenntnisse wichtiger sind als Soft Skills, kann durch das zuvor beschriebene Ranking bestätigt werden. Die zweite Hypothese besagt, dass sich große Unternehmen signifikant besser über den Ablauf und die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums informiert fühlen als kleine Unternehmen. Mit einer einfaktoriellen ANOVA wurde ein signifikanter Unterschied zwischen kleinen, mittelgroßen und großen Unternehmen hinsichtlich ihrer Informiertheit über berufsbegleitende Studienangebote festgestellt (F(2,93) = 3.089, p = .05, df zwischen den Gruppen = 2, df innerhalb der Gruppe = 93). Tabelle 3 gibt einen Überblick über die entsprechenden Mittelwerte und Standardabweichungen.

Ein post-hoc-Test hat anschließend ergeben, dass dieser Unterschied zwischen kleinen und großen Unternehmen besteht (p = .05). Die Hypothese, dass sich große Unternehmen besser über den Ablauf und die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums informiert fühlen als kleine Unternehmen, kann also bestätigt werden.

Die dritte Hypothese behauptet, dass der Informationsgehalt positiv mit der Einstellung berufsbegleitender Absolventen korreliert. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenhangshypothese. Die Spearman-Rangkorrelation beträgt r = .36 und ist mit p < .01 hoch signifikant. Somit besteht ein statistisch bedeutsamer positiver Zusammenhang zwischen dem Informationsgehalt und der Anzahl eingestellter Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums.

Tabelle 3: Mittelwerte und Standardabweichungen der verschiedenen Unternehmen hinsichtlich ihrer Informiertheit über den Ablauf und die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums.

Mittelwerte und Standardabweichungen der verschiedenen Unternehmen hinsichtlich ihrer Informiertheit über den Ablauf und die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums.

6 Diskussion

Bei der Untersuchung, wie Personalverantwortliche Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums im Vergleich zu Absolventen eines Vollzeit-Studiums beurteilen, finden unsere Hypothesen ihre Bestätigung. Die Vermutung, dass Personalverantwortliche bei der Auswahl von Bewerbern den Fokus auf deren Fachkenntnisse legen, wird durch die Daten gestützt. Personalverantwortliche bevorzugen grundsätzlich weder Bewerber mit einem abgeschlossenen berufsbegleitenden noch mit einem Vollzeitstudium; hier macht die Mehrheit keine Unterscheidung.

Gleichwohl spielen bei der Auswahl von Bewerbern nicht nur Fachkenntnisse eine große Rolle, sondern auch die Soft Skills. Während Personalverantwortliche keinen nennenswerten Unterschied zwischen berufsbegleitenden und Vollzeit-Studiengängen in der Vermittlung von Fachwissen ausmachen, konstatieren sie für die Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums einen Vorsprung bezüglich dieser Fähigkeiten.

Den Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums schreiben die Personalverantwortlichen persönliche Werte und Einstellungen zu, wie zum Beispiel eigenverantwortlich und selbstständig zu arbeiten. Zudem werden sie im Vergleich zu den Vollzeit-Absolventen als leistungsbereiter eingeschätzt. Viele Personalverantwortliche nehmen zudem an, dass die Bewerber, die berufsbegleitend studiert haben, das unternehmerische Denken und Handeln besser beherrschen. Schließlich werden ihnen sogar höhere körperliche und psychische Voraussetzungen zugeschrieben. Zudem ist für viele Personaler die Praxiserfahrung ein entscheidendes Auswahlkriterium. Diese wird – wenig erstaunlich – eher bei den berufsbegleitenden Absolventen verortet als bei den Absolventen eines Vollzeit-Studiums. Dass der Informationsgehalt signifikant mit der Anzahl eingestellter ehemaliger berufsbegleitender Studenten korreliert, wird ebenfalls bestätigt. Dementsprechend stellen Unternehmen, unabhängig von der Größe, mehr berufsbegleitende Absolventen ein, wenn sie sich über den Ablauf und die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums informiert fühlen. Aufgrund der Informationen werden eventuelle Zweifel über die Alternative zum Vollzeitstudium möglicherweise gemindert beziehungsweise beseitigt. Dadurch steigt die Tendenz neben Absolventen eines Vollzeitstudiums auch berufsbegleitende Absolventen einzustellen.

Außerdem kann die Annahme, dass sich große Unternehmen besser über den Ablauf und die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums informiert fühlen als kleine Unternehmen, bestätigt werden. Ein kausaler Einfluss von der Unternehmensgröße auf den Grad der Informiertheit kann jedoch nicht festgestellt werden.

Größere Unternehmen sind einerseits auf dem Arbeitsmarkt Vorreiter einer zunehmenden Entwicklung ihrer Angestellten von Generalisten hin zu Spezialisten und andererseits häufiger in der Lage, Unternehmens-Stipendien/Förderungen für Fortbildungen ihrer Mitarbeiter zu bezahlen und könnten sich somit gezielt aktiv über berufsbegleitende Studiengänge informieren. Da große Unternehmen allerdings auch numerisch mehr Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums einstellen, wird in diesen Unternehmen auch häufiger über diese Studienform gesprochen. Zukünftige Studien könnten einen kausalen Einfluss der genannten Variablen überprüfen.

Diese Studie zeigt somit auf, dass das Bild, das Personaler von berufsbegleitenden Absolventen haben, von vielen positiven Aspekten geprägt ist, die der Art des Studiums einerseits sowie dem beruflichen Engagement andererseits geschuldet scheinen. In den Augen von Personalverantwortlichen heben sich berufsbegleitend Studierende von ihren Vollzeit-Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt durch eine Reihe von Soft Skills ab. Im Ausbildungsmarkt spiegeln sich die Ergebnisse dieser Studie insofern wider, als dass sich eine Tendenz abzeichnet, zunehmend berufsbegleitende Studienprogramme am Markt zu platzieren.

7 Ausblick

Für weitere Untersuchungen sollte beachtet werden, dass eine angemessene Stichprobengröße und die Repräsentativität und Aussagekraft durch eine weitläufige Zielgruppe sichergestellt sind.

Es wäre interessant zu überprüfen, in welchen Branchen beziehungsweise bei welchen Berufen Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums besonders gefragt sind. Zukünftige Untersuchungen sollten zwischen den Branchen differenzieren und diese separat erfassen. Es könnte eine andere Unterteilung vorgenommen werden und z. B. nur DAX-Unternehmen oder kleine Unternehmen als Untersuchungsgegenstand in Betracht ziehen.

Vielversprechend wäre es, die durchgeführte Studie auf die internationale Ebene auszuweiten, um die Anerkennung berufsbegleitender Studiengänge ebenfalls außerhalb Deutschlands beurteilen zu können. Somit könnten gegebenenfalls zwischen den Ländern bestehende Unterschiede deutlich werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass das Studienmodell eines berufsbegleitenden Studiums in einigen Ländern weniger etabliert sein könnte als in Deutschland.
Ein zusätzlicher interessanter Forschungsansatz ist es herauszufinden ob andere Studienarten, z. B. bei den Unterkategorien des berufsbegleitenden Studiums (Fern-/Abend-/Dualstudium) im Gegensatz zu einem Präsenzstudium unterschiedlich beurteilt werden.


1Die nachstehend verwendeten Personen- und Funktionsbezeichnungen werden geschlechtsneutral verwendet. Auf die durchgängige Verwendung der weiblichen und männlichen Form wird aus stilistischen Gründen verzichtet.

8 Literaturverzeichnis

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Anhang: Einstellungsaussagen

Ich fühle mich über den Ablauf und die Organisation eines berufsbegleitenden Studiums ausreichend informiert.

Meines Erachtens bringen Absolventen eines berufsbegleitenden Studiums mehr praktische Erfahrungen mit als Absolventen eines Vollzeitstudiums.

Ich halte ein berufsbegleitendes Studium im Vergleich zum Vollzeitstudium für ebenso fachlich tiefgehend.

Praktische Erfahrungen sind mir wichtig.

Für mich ist es bei der Stellenbesetzung relevant, ob das Studium des Bewerbers in Vollzeit oder berufsbegleitend erfolgte.

Ich sehe berufsbegleitende Studiengänge als innovative und zukunftsgerichteter als Vollzeitstudiengänge an.

Berufsbegleitende Studiengänge sind für mich eine akzeptable Alternative zum Vollzeitstudium.


Korrespondenzadresse:

Timo Förster
Hochschule Fresenius
Im MediaPark 4c
D-50670 Köln
GERMANY

timo.foerster@hs-fresenius.de

Messung von Hochleistungskultur –Konstruktion, Optimierung und Erprobung des HPO-Analyzers

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1 Einleitung

Einige Unternehmen erzielen über Jahre hinweg ein überdurchschnittliches Ergebnis und zeichnen sich zeitgleich durch eine menschliche Kultur des organisationalen Zusammenlebens aus. Diese Unternehmen finden eine optimale Mischung aus strukturgebenden, transaktionalen Kulturelementen einerseits und inspirierenden, transformationalen Kulturelementen andererseits und werden von Heidbrink und Jenewein (2011) als High-Performance-Organisationen (HPO) bezeichnet. In diesem Artikel wird die Konstruktion, Optimierung und Erprobung eines Fragebogeninstruments vorgestellt, mit dem sich die Bedingungsfaktoren einer Hochleistungskultur messen lassen. Der HPO-Analyzer ermöglicht es anhand von insgesamt 50 Items, welche von den Mitarbeitern und Führungskräften eines Unternehmens auf einer vierstufigen Ratingskala einzustufen sind, die zehn Faktoren des Mischpults der Organisationskultur zu bestimmen. Es werden empirische Daten aus einer Benchmarkgruppe von klein- und mittelständischen Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum vorgestellt.

Die Entwicklung des HPO-Analyzers basiert auf der Theorie der High-Performance-Organisationen, wie sie von Heidbrink und Jenewein (2011) vorgelegt wurde. Demnach lässt sich die Kultur einer Hochleistungsorganisation anhand von zehn Faktoren beschreiben, welche sich im sogenannten Mischpult der Organisationskultur abbilden lassen. Der HPO-Analyzer ermöglicht die Messung der Kultur einer Organisation auf diesen zehn Stellhebeln des Mischpults der Organisationskultur und bildet die Unternehmensergebnisse im Vergleich zum Benchmark ab.

Die Ergebnisse werden in den Unternehmen verwendet, um die für eine High-Performance-Organisation typische, optimale Mischung aus transaktionalen und transformationalen Kulturelementen zu finden und die Geschäftsführungen bei der Identifikation der richtigen Handlungsfelder für die Entwicklung ihrer Organisationen zu unterstützen. Die Abbildung 1 zeigt anhand des Beispiels der High-Performance-Organisation des Lucerne Festival Orchestras wie ein Mischpult für eine Organisation aussehen kann. Im anschließenden zweiten Kapitel geben wir einen kurzen Einblick in die Ergebnisse aus anderen Forschungsarbeiten, die sich ebenfalls mit dem Thema Organisationskultur und High-Performance-Organisationen auseinandergesetzt haben. Im dritten Kapitel erläutern wir die rahmengebenden Begrifflichkeiten einer transaktionalen und transformationalen Organisationskultur und beschreiben die zehn Diskriminierungsfaktoren einer High-Performance-Organisation.

Beispielhaftes Mischpult einer Organisation mit den<br />
zehn Stellhebeln zur diskriminierenden Beschreibung der Organisationskultur.
Abbildung 1: Beispielhaftes Mischpult einer Organisation mit den
zehn Stellhebeln zur diskriminierenden Beschreibung der Organisationskultur.

Im vierten Kapitel stellen wir unser Vorgehen zur Konstruktion des HPO-Analyzers in komprimierter Form vor. Für eine ausführliche Darstellung der Fragebogenkonstruktion und der damit verbundenen Itemcharakteristika sei auf Brenner (2012) verwiesen. Im abschließenden fünften Kapitel stellen wir die Benchmarkergebnisse der Messung der Organisationskultur in acht klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) aus Deutschland und der Schweiz vor und illustrieren die praktische Relevanz des HPO-Analyzers anhand eines anonymisierten Unternehmensbeispiels.

2 Forschungsarbeiten zur Organisationskultur

Der Zusammenhang zwischen der Kultur einer Organisation und ihrem Erfolg ist von Wissenschaftlern häufig untersucht worden. Einige Forschungsergebnisse werden im Folgenden kurz erläutert.

Beeindruckende Ergebnisse liefert die vielzitierte Analyse von Kotter und Heskett (1992), die erfolgreiche und weniger erfolgreiche Unternehmen über elf Jahre hinweg untersuchten. Dabei stellte sich heraus, dass Unternehmen mit einer stark ausgeprägten Unternehmenskultur, bei der die Mehrheit der Mitarbeiter die gleichen Werte und Normen teilen, ihren Umsatz im Durchschnitt um 682 Prozent steigern konnten, während der Umsatz von Firmen mit weniger stark ausgeprägter Unternehmenskultur lediglich um 166 Prozent anstieg. Die Mitarbeiterzahl stieg um 282 Prozent gegenüber 36 Prozent, die Aktienwerte um 901 Prozent im Vergleich zu 74 Prozent und das Reineinkommen steigerte sich um 756 Prozent im Gegensatz zu nur einem Prozent der Unternehmen mit schwach ausgeprägter Kultur (vgl. dazu auch Sackmann, 2006).

Denison (1990) untersuchte ebenfalls den Zusammenhang zwischen dem Erfolg eines Unternehmens und dem Einfluss der Organisationskultur auf diesen. Nach Denison gibt es vier Erfolgsdimensionen. Zum einen „Involvement“, eine starke Mitarbeiterbeteiligung schafft Identifikation mit dem Unternehmen und steigert die Motivation der Mitarbeiter. Eine zweite Dimension ist „Kontinuität“, die Mitarbeiter vertreten die gleichen Normen, Werte und Anschauungen. Eine weitere Erfolgsdimension ist „Anpassungsfähigkeit“, die Unternehmen beobachten ihr Umfeld, nehmen die Dynamik wahr und passen sich an die neuen Begebenheiten an. Die vierte Dimension ist „Mission“, es wird eine Vision formuliert, daraus werden Missionen für die einzelnen Abteilungen definiert, mit der sich die Mitarbeiter identifizieren können.

Um als erfolgreiches Unternehmen auf dem Markt agieren zu können zeigt sich, dass Veränderung und Flexibilität sich die Waage mit Stabilität und spezifischer Ausrichtung des Unternehmens halten müssen. Es gilt also bei der Messung der Organisation zu erkennen, wie diese Kombination aus Flexibilität und Stabilität gelebt wird. (Denison, 1990). Die Abbildung 2 zeigt, wie die Dimensionen zueinander in Beziehungen stehen.

Die vier Erfolgsdimensionen von Denison.
Abbildung 2: Die vier Erfolgsdimensionen von Denison.

Die American Management Association (AMA) und die Boston Consulting Group (BCG) führten Studien zur Charakterisierung von High-Performance Organisatio-nen durch (American Management Association, 2007; Bhalla et al., 2011).

Im Bericht der BCG wird behauptet, dass man den Unterschied spüren kann, wenn man sich in einer High-Performance-Organisation befindet. Die Mitarbeiter seien voller Energie. Sie würden die Unternehmensstrategie kennen, seien über bevorstehende Veränderungen informiert und zeigten keine Resignation. Die Mitarbeiter wüssten, was zu tun ist und würden erkennen, wie ihre Arbeitsschritte mit denen ihrer Kollegen zusammenhängen.

In ihrer Studie “The High-Performance Organization Survey 2007” befragte die AMA 1.369 Probanden zu bestimmten Charaktereigenschaften ihrer Organisation, die in der Literatur mit High-Performance in Verbindung gebracht werden. Die Ergebnisse lieferten einen Hinweis darauf, wie sich High-Performance Organization von Low-Performance Kontrahenten unterschieden. Die Studie filterte fünf Komponenten heraus: Strategie, Kundenorientierung, Führungsstil, Prozesse und Werte. Diese fünf Komponenten alleine machen ein Unternehmen noch nicht zu einer High-Performance Organisation, doch die Chance einer Leistungssteigerung ist wesentlich höher, wenn diese im Fokus stehen, als dass sie außeracht gelassen werden. Der größte gemessene Unterschied zwischen den beiden Gruppen zeigte, dass bei High-Performance Organisationen die Leistungsmessung zu ihrer Unternehmensstrategie passt und sie wesentlich mehr für die Anpassung ihrer Leistung an die Strategien tun.

3 Diskriminierungsfaktoren von High-Performance-Organisationen

Unter einer High-Performance-Organisation (HPO) verstehen Heidbrink und Jenewein (2011) Unternehmen, die eine optimale Mischung aus moderat transaktionalen und maximal transformationalen Kulturelementen aufweisen und diese Mischung auf Dauer aufrecht erhalten können. Sie gehen davon aus, dass sich die Kultur einer Organisation anhand von zehn Faktoren unterscheidend beschreiben lässt. Jeder dieser zehn Faktoren wird als ein Kontinuum aufgefasst, das im einen Extrem eine transaktionale, im anderen eine transformationale Ausprägung des jeweiligen Kriteriums repräsentiert. Die Begrifflichkeiten stammen aus der Führungsstilforschung (u. a. Bass & Avolio, 1994) und wurden von Heidbrink und Jenewein (2011) zur unterscheidenden Beschreibung der Kultur einer Organisation herangezogen.
Die Autoren verstehen unter einer transaktionalen Organisationskultur, dass alle Organisationsmitglieder nach einem Austauschprinzip handeln, jede Leistung ihren Preis hat und wie auf einem Marktplatz Kooperationen nur zustande kommen, wenn sich beide Seiten daraus einen Vorteil verschaffen können. Die Organisation hat eine klare Hierarchie, Entscheidungen werden top-down getroffen. Die Aufgaben sind detailliert beschrieben, diese müssen exakt ausgeführt werden, ein Abweichen von der Norm wird sanktioniert. Die Führungskräfte agieren nach dem Prinzip „Management-by-exception“, Zielvereinbarungs- und Kontrollsysteme sind eingeführt, Mehrleistungen müssen über Boni gesondert incentiviert werden.

In einer transformationalen Organisationskultur steht die Vision im Mittelpunkt. Alle Mitglieder kennen die Vision und identifizieren sich stark mit ihr. Die Hierarchie wird eher flach gehalten, es gibt keine kleinteiligen Stellenbeschreibungen, jeder soll sich mit seinen Talenten in die Organisation mit einbringen können. Expertenmeinungen werden geschätzt und der Netzwerkgedanke wird stark gefördert. Die Führungskraft ist sich ihrer Vorbildfunktion bewusst; sie steht ihren Mitarbeitern als Coach zur Verfügung, um diese individuell zu fördern.

In der beschriebenen Reinform befinden sich Organisationskulturen selten, vielmehr weisen die meisten Organisationen eine Mischung aus transaktionalen und transformationalen Elementen aus. Um diese Annahme zu illustrieren, werden die zehn Diskriminierungsfaktoren als Mischpult dargestellt (siehe Abbildung 1).

Im Einzelnen werden die folgenden Diskriminierungsfaktoren zur Analyse der Kultur einer Organisation unterschieden:

3.1 Stellhebel 1: Zweck der Organisation

Der Stellhebel eins „Zweck der Organisation“ konzentriert sich auf die Daseinsberechtigung einer Organisation. Wozu sind wir da? Wie wird dies von der Belegschaft wahrgenommen? Ein transaktional orientiertes Unternehmen sieht den Zweck der Organisation im Erwirtschaften von Gewinnen für den Gesellschafter. In einem transformationalen Unternehmen hingegen stehen die gemeinsame Vision und die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz und der Nützlichkeit der Organisation im Vordergrund.

3.2 Stellhebel 2: Struktur der Organisation

Der Stellhebel zwei „Struktur der Organisation“ zeigt, in wieweit Hierarchien, Organigramme und Arbeitsabläufe in der Organisation vorgegeben sind. Bei transaktionalen Organisationen gibt es klar definierte Hierarchieebenen. Die Stellenbeschreibungen geben eindeutig das Aufgabengebiet eines Mitarbeiters vor. Die Unternehmensbereiche werden von der Zentrale aus koordiniert, dort liegt auch die Entscheidungsgewalt. In einer transformational orientierten Organisation wird versucht, ohne formalisiertes Berichtswesen zurechtzukommen. Es gibt keine detaillierten Stellenbeschreibungen, da sich die Aufgaben je nach Projekt und Expertenstatus ändern. Oft sind diese Organisationen dezentral und wenig hierarchisch aufgebaut.

3.3 Stellhebel 3: Entscheidungswege & Expertenstatus

In einer transaktionalen Organisationskultur können Mitarbeiter Ideen einbringen, es benötigt jedoch oft eines langwierigen Abstimmungsprozesses, bis eine Resonanz der Leitungsebene erfolgt. Entscheidungen werden top-down getroffen. In transformationalen Organisation ist die Expertenmeinung gefragt. Jeder kann sich mit seinen Ideen einbringen und diese auch möglichst selbst umsetzen. Es gibt Experten auf allen Hierarchieebenen, die geschätzt und anerkannt sind, dadurch werden das Involvement und die Einsatzfreude gestärkt. Oft ist es so, dass die Ausführenden auch die Entscheidungen treffen und somit ein starkes Empowerment der Mitarbeiter erfolgt.

3.4 Stellhebel 4: Dynamik der Organisation

Eine Organisation verändert sich ständig, sie steht nie still. Gleichwohl gibt es bedeutende Unterschiede, wie Organisationen mit Veränderung umgehen. Der Stellhebel vier „Dynamik der Organisation“ soll die Einstellung und den Willen zur Veränderung repräsentieren. Ist Veränderung an der Tagesordnung eines Unternehmens und wird fast schon panisch darauf geschaut, dass es ja nicht zu einer Erstarrung kommt, dann ist das Unternehmen extrem transformational orientiert. Empfinden Mitarbeiter eine Veränderung eher als Bedrohung und wollen lieber den Status Quo erhalten, sind sie transaktional orientiert.

3.5 Stellhebel 5: Riten und Legenden

Besonders anschaulich macht der Stellhebel fünf „Riten & Legenden“ die Organisationskultur an der Sprache, den Heldengeschichten und den Feiergewohnheiten im Unternehmen fest. In einer transaktionalen Organisation ist ein befehlshabender Ton vorherrschend. Die Legenden in transaktionalen Unternehmen handeln häufig von einzelnen Personen, beispielsweise von Einzelkämpfern, welche die internen Marktgesetzte optimal für sich zu nutzen wussten. Auf Weihnachtsfeiern ist es die Belegschaft gewohnt, lange Frontalvorträge ihres Top-Managements oder zentral gesteuerte Ehrungszeremonien zu erleben. In transformationalen Firmen werden Erfolge spontan gefeiert, besondere Heldentaten handeln meistens von Teamleistungen oder dem gemeinsamen Abwenden von Krisen. Besonders im Sprachstil fallen Unterschiede auf: Es herrscht ein empathischer Sprachstil vor, der Raum für Diskussionen zulässt und sich einer vorschnellen Bewertung enthält.

3.6 Stellhebel 6: Arbeitsautonomie

In hoch transformationalen Organisationen hat jedes Teammitglied die Freiheit und Verantwortung, sich die Aufgaben zu suchen, mit denen es am besten zum Erreichen des Organisationszwecks beitragen kann. Das ist das Prinzip Freedom-to-act, welches in High-Performance-Teams große Beachtung findet (Jenewein & Heidbrink, 2008). Experten wird dabei viel Freiraum gewährt, damit sie ihre individuellen Stärken, ihre Kreativität und ihre Talente zum Wohl der Organisation einbringen können. Bei einem transaktionalen Ansatz sind die Rollen hingegen eindeutig verteilt.
Die Mitarbeiter sollen den für sie vorgesehenen Teil in einer funktionalistischen Wertschöpfungskette möglichst fehlerfrei erfüllen.

3.7 Stellhebel 7: Kontrolle versus Vertrauen

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ – dieses Sprichwort trifft nicht zu, wenn Organisationen Höchstleistungen anstreben. Eine strenge Kontrolle wird als Ausdruck des Misstrauens gegenüber den Fähigkeiten und dem Verantwortungsgefühl der Mitarbeiter interpretiert. Vertrauen bedeutet immer, dass Kontrolle abgegeben wird und ein Zustand der Verletzbarkeit in Kauf genommen wird. In transformationalen Organisationen wird Wert darauf gelegt, dass das Kollektivwissen genutzt und Neues erprobt wird. Kontrollen sind in transformationalen Organisationen verpönt. In transaktionalen Organisationen wird alles sehr genau kontrolliert. Präzision und Fehlerfreiheit spielen eine große Rolle. Bei einer Abweichung von der Norm wird dies unmittelbar sanktioniert.

3.8 Stellhebel 8: Interne Kooperationsformen

Ein wichtiges Analysekriterium der Organisationskultur ist die Betrachtung der vorhandenen Formen der internen Kooperation. Wie ist die Zusammenarbeit der Abteilungen untereinander? Wie wird miteinander kommuniziert und wie werden Informationen ausgetauscht? Beim transaktionalen Ansatz liegt der Fokus auf dem reziproken Austauschprinzip. Wie auf einem Marktplatz wird miteinander verhandelt, und eine Kooperation kommt dann zustande, wenn beide einen Vorteil für ihren Bereich daraus ziehen können oder es eine entsprechende Anweisung durch übergeordnete Hierarchien gibt. In transformationalen Kulturen wird der Netzwerkgedanke gefördert, um Ressourcen zu bündeln und Experten themenbezogen in den Kontakt zu bringen. Es findet ein reger Austausch zwischen allen Organisationsmitgliedern statt, ohne dass dies angewiesen werden müsste.

3.9 Stellhebel 9: Individual- vs. Kollektivinteressen

In einer transaktionalen Organisationskultur steht das Individualinteresse im Vordergrund. Die Mitglieder der Organisation versuchen sich individuelle Vorteile zu verschaffen, dies wird von den übrigen Mitgliedern als normal empfunden. In transformationalen Organisationskulturen steht das Kollektivinteresse im Vordergrund, eigene Interessen sollen zum Wohle der Gruppe zurückgestellt werden. Egoistisches Verhalten wird als schädlich für das Erreichen des übergeordneten Zwecks der Organisation angesehen und dementsprechend hart sanktioniert.

3.10 Stellhebel 10: Führungsstil

Der Stellhebel zehn „Führungsstil“ repräsentiert die Führungskultur einer Organisation. Er soll die transaktionale und transformationale Ausrichtung der Führungskräfte darstellen. Bei den Aussagen zur transformationalen Ausprägung wurde besonders darauf geachtet, dass die „4 i’s“ der transformationalen Führung, „Idealized Influence“, „Inspirational Motivation“, „Intellectual Stimulation“ und „Individualized Consideration“ durch die Items des HPO-Analyzers abgebildet werden.
Bei den transaktionalen Items wurden Aussagen aufgenommen, welche die Führungsstilkomponenten „Contingent Reward“ und „Management by Exception“ repräsentieren.
Zur Bestimmung der Ausprägung eines Unternehmens auf den zehn Diskriminierungsfaktoren der Organisationskultur wurde mit dem HPO-Analyzer ein Fragebogeninstrument entwickelt. Die Konstruktion und Optimierung sowie die praktische Erprobung des HPO-Analyzers werden in der Folge beschrieben.

4 Konstruktion und Optimierung des HPO-Analyzers

In diesem Kapitel stellen wir unser Vorgehen zur Konstruktion und Optimierung des HPO-Analyzers vor. Die Itemgenerierung wurde von drei mit der Theorie der High-Performance-Organisationen vertrauten Experten vorgenommen und führte in Summe zu 120 Items. Nach einer qualitativen Selektion im Team wurden 66 Items für einen Pre-Test ausgewählt. Im November und Dezember 2011 füllten 31 Studenten der Executive School der Universität St. Gallen und 42 Studenten der Hochschule Fresenius Köln den Fragebogen am Rande von Lehrveranstaltungen als Paper-Pencil-Version aus. Auf der Basis dieser Datenerhebung wurden die folgenden Itemcharakteristika ermittelt: Itemschwierigkeit, Itemtrennschärfe und Faktorladung des Items. Als Cut-off-Kriterien für den Einbezug eines Items in den finalen Fragebogen wurde definiert: Alle Items, die eine Itemtrennschärfe von ri (t − i) < .30 und eine Faktorladung von FA I < .40 haben werden eliminiert. Die Itemschwierigkeit sollte in einem Bereich zwischen .20 < pi < .80 liegen, damit das Item beibehalten werden kann. Durch die Itemanalyse des Pre-Tests konnte der Fragebogen von 66 auf 50 Items reduziert werden. Aus Tabelle 1 sind die Einzelfragen des HPO-Analyzers, wie sie schließlich in der Hauptstudie verwendet wurden, erkenntlich. Der auf diese Weise konstruierte HPO-Analyzer wurde einer ersten praktischen Erprobung an insgesamt acht klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) aus Deutschland und der Schweiz unterzogen. Durch diese Hauptstudie konnten reale Daten erhoben werden, die in der Folge als ein erstes Benchmark für das Mischpult der Organisationskultur dienen. Die ermittelten Ergebnisse wurden mit der jeweiligen Geschäftsleitung der acht KMU besprochen, was eine augenscheinliche Validierung der Ergebnisse durch interne Experten ermöglichte. Im sich anschließenden fünften Kapitel werden die Ergebnisse der Benchmarkstudie vorgestellt und anhand eines Fallbeispiels illustriert.

5 Erprobung des HPO-Analyzers an acht klein- und mittelständischen Unternehmen

5.1 Datenerhebung

Im Zeitraum von Dezember 2011 bis Februar 2012 führten acht klein- und mittelständische Unternehmen eine Kulturmessung mittels des HPO-Analyzers auf Deutsch durch. Die Unternehmen stammen aus unterschiedlichen Branchen, daher wurde auf eine branchenspezifische Segmentierung verzichtet.
Allerdings wurden die Unternehmen grob in Produktions- und Dienstleistungsunternehmen unterteilt. Des Weiteren fand eine Aufteilung nach Unternehmensalter statt. Dieses reichte vom Start Up bis zu Unternehmen mit mehr als einhundert Jahren Firmengeschichte. Aufgrund dieser Bandbreite wurden die Unternehmen in zwei ähnlich große Gruppen eingeteilt, in Unternehmen mit weniger bzw. mit mehr als 20 Jahren Bestehen. Die Unternehmensgröße der Firmen reicht von weniger als zehn bis knapp über einhundert Mitarbeiter, wobei das Unternehmen mit mehr als einhundert Mitarbeitern nicht die gesamte Belegschaft befragte, sondern nur einen ausgewählten Teil. Im Durchschnitt nahmen 35 Personen pro Unternehmen teil. An der Befragung insgesamt nahmen 289 Mitarbeiter und Führungskräfte teil. Die Bandbreite der einzelnen Rücklaufquoten reichte von 59 bis 100 Prozent, die durchschnittliche Rücklaufquote aller Unternehmen lag bei 82 Prozent.

Sechs der acht Unternehmen verwendeten eine Online-Version des HPO-Analyzers zur Datenerhebung, zwei Unternehmen verteilten den Fragebogen als Paper-Pencil-Version. Die Rücklaufquoten unterschieden sich bei den unterschiedlichen Formen der Datenerhebung nicht. Neben den 50 Items des HPO-Analyzers wurden die Länge der Berufserfahrung, die hierarchische Position und – sofern relevant – die Zugehörigkeit zu einem Unternehmensbereich oder -standort abgefragt. Dies ermöglichte diskriminierende Auswertungen innerhalb der Unternehmen und gab uns die Möglichkeit zur Überprüfung einiger Arbeitshypothesen.

5.2 Hypothesen

H1: Führungskräfte empfinden mehr Freiheiten und mehr Einflussmöglichkeiten bei der Gestaltung der Organisationskultur und schätzen die Organisationskultur im Durchschnitt als transformationaler ein als Mitarbeiter.

H2: Produktionsunternehmen benötigen klare Regeln, Strukturen und Abläufe. Die Mitarbeiter werden als potenzielle Fehlerquelle in einem weitgehend automatisierten Wertschöpfungsprozess betrachtet und müssen entsprechend kleinteilig angewiesen und kontrolliert werden. Im Vergleich zu Unternehmen des Dienstleistungssektors herrscht in produzierenden Unternehmen eine stärker transaktionale Organisationskultur vor.

H3: Start-ups und junge Unternehmen weisen eine hohe Dynamik, wenig Strukturen und insgesamt eine stärker transformationale Organisationskultur auf als langjährig etablierte Unternehmen, in denen die Aufrechterhaltung des Erreichten vorrangig ist.

5.3 Ergebnisse: Bestimmung des Benchmarks

Zusammengefasst über die gesamte Benchmarkgruppe zeigte sich, dass die Stellhebel fünf, sieben, acht, neun und zehn eher transformational eingeschätzt werden als die übrigen. Daher wurde festgelegt, das Benchmark für diese Stellhebel über der neutralen Stellung 0 anzusetzen. Ausgehend von dieser Setzung ergibt sich die Ausprägung auf einem Stellhebel in Schritten von ¼ Standardabweichungen in die eine oder andere Richtung.

Ein Unternehmen der Benchmarkgruppe wies beispielsweise das in Abbildung 3 dargestellte Mischpult aus. Es ist erkenntlich, dass sieben der zehn Stellhebel von der Durchschnittsbewertung der Benchmarkgruppe in die Richtung des transaktionalen Pols abweichen. Insbesondere die Stellhebel drei (Entscheidungswege & Expertenstatus), vier (Dynamik der Organisation) und zehn (Führungsstil) weisen eine stark transaktionale Ausprägung aus.

Beispielergebnis des HPO-Analyzers eines transaktional orientierten Unternehmens aus der untersuchten Benchmarkgruppe.
Abbildung 3: Beispielergebnis des HPO-Analyzers eines transaktional orientierten Unternehmens aus der untersuchten Benchmarkgruppe.

Die Mitglieder dieses Unternehmens beschreiben ihre Organisationskultur als geprägt durch eine starke Ziel- und Profitorientierung, das Vorherrschen von klaren Regeln, eindeutigen Strukturen und detaillierten Aufgabenschreibungen, wenig Arbeitsautonomie oder Entscheidungsfreiheit, einen kontrollierenden und intervenierenden Führungsstil und eine spürbare Hierarchie. Andererseits wird es in diesem Unternehmen so wahrgenommen, dass es eine aktiv gelebte Kooperationskultur, einen ausgeprägten Gemeinsinn und einige den Kollektivgeist anregende Feiergewohnheiten und Gemeinschaftserlebnisse gibt. Die von uns mit der Geschäftsleitung dieses Unternehmens vorgenommenen Analysegespräche bestätigten die Messergebnisse augenscheinlich. Wir konnten Entsprechungen für die jeweilige Ausprägung der zehn Stellhebel identifizieren und illustrierende Beispiele sammeln. Die Geschäftsleitung bezeichnete die Resultate als „plausibel“ und „nicht überraschend“.

5.4 Ergebnisse: Optimierung des Fragebogens

Die realen und deutlich umfangreicheren Daten aus den acht teilnehmenden Unternehmen der Hauptstudie wurden mit Hilfe der bereits in der Pre-Studie angewandten Item- und Faktorenanalyse auf ihre Güte hin überprüft. Es galten die gleichen Eliminationskriterien wie beim Pre-Test. Die einzelnen Items können nicht als normalverteilt gelten. Die Stellhebel hingegen wiesen eine Normalverteilung auf. Die Prüfung, ob eine Faktorenanalyse eingesetzt werden kann, zeigte, dass alle Stellhebel, wenn auch manche knapp, das Kriterium KMO > .60 erreichten. Die interne Konsistenz der Stellhebel wurde überprüft mittels Cronbachs Alpha. Die auf diese Weise ermittelten Charakteristika der Stellhebel beziehungsweise Einzelitems sind in Tabelle 1 aufgeführt.

Tabelle 1: Itemanalyse Hauptstudie, Charakteristika der Stellhebel und Einzelitems.

Itemanalyse Hauptstudie, Charakteristika der Stellhebel und Einzelitems.
Itemanalyse Hauptstudie, Charakteristika der Stellhebel und Einzelitems.

Es zeigte sich, dass sieben der zehn untersuchten Stellhebel eine interne Konsistenz im akzeptablen Be-reich auswiesen. Insbesondere der Stellhebel zehn (Führungsstil) bildet mit hohen Faktorladungen der Einzelitems und einer internen Konsistenz von α = .86 die untersuchte Kulturdimension gut ab.

Demgegenüber erwiesen sich die Stellhebel sechs (Arbeitsautonomie) und neun (Individual- vs. Kollektiv-interesse) als problematisch; sie zeigten mit α = .36 bzw. α = .16 unzureichende interne Konsistenzen. In beiden Stellhebeln fanden sich ein beziehungsweise zwei Items mit einer negativen Faktorladung (Items 24, 25 und 38). Diese Items wurden revidiert.

Auch der Stellhebel zwei (Struktur der Organisation) wies mit α = .47 eine zu optimierende interne Konsistenz auf. In diesem Stellhebel waren die Items 6, 7 und 8 nicht hinreichend trennscharf und wurden eben-falls überarbeitet. Die überarbeiteten Items lauten nun:

Item 6: Wir arbeiten ohne feste Vorgaben.
Item 7: Wir arbeiten in wechselnden Teams und Projekten, weniger in festen Arbeitsstrukturen.
Item 8: Unsere Abteilung wird über eine zentrale Instanz gesteuert.
Item 24: Mitarbeiter sollen bei uns die Anforderungen an ihre Stelle erfüllen – nicht mehr und nicht weniger.
Item 25: Bei uns gibt es detaillierte Anweisungen, die einem helfen, seine Arbeit exakt auszuführen.
Item 38: Bei uns ist es in Ordnung, die eigenen Interessen strikt zu verfolgen.

Die statistische Auswertung der Daten der Hauptstudie zeigte, dass die meisten Fragen des HPO-Analyzers die zugrunde gelegten Kulturdimensionen zufriedenstellend abbilden. In den Stellhebeln zwei, sechs und neun mussten noch Items verändert werden, um die interne Konsistenz dieser Faktoren zu verbessern.

5.5 Ergebnisse: Überprüfung der Arbeitshypothesen

H1: Die erste Hypothese untersuchte die Wahrnehmung der Organisationskultur in Abhängigkeit von der hierarchischen Position der Antwortperson. Der Vergleich erfolgte zwischen 132 Führungskräften und 147 Mitarbeitern ohne Führungsverantwortung. Die annähernd gleiche Stärke der beiden Vergleichsgruppen resultierte daraus, dass ein Unternehmen in der Stichprobe nur Führungskräfte befragt hatte. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass dieses Unternehmen einen großen Einfluss auf die Durchschnittsbewertungen der Gruppe der Führungskräfte hat. Die Abbildung 4 zeigt die Analyseergebnisse in Form des durchschnittlichen Mischpults pro Gruppe.

Die in der Abbildung 4 ersichtlichen Unterschiede in den Mittelwerten können mit Ausnahme der Stellhebel vier (Dynamik der Organisation) und neun (Individual- vs. Kollektivinteresse) als statistisch signifikant gelten (s. Tabelle 2).

Wahrnehmung der eigenen Organisationskultur aus der Sicht von Führungskräften und Mitarbeitern.
Abbildung 4: Wahrnehmung der eigenen Organisationskultur aus der Sicht von Führungskräften und Mitarbeitern.

Entgegen der in H1 formulierten Arbeitshypothese lässt sich keineswegs sagen, dass die befragten Führungskräfte ihre Organisationskultur als transformationaler einschätzen als die Mitarbeiter. Ganz im Gegenteil zeigen die in der Hauptstudie erhobenen Daten, dass die Führungskräfte in acht der zehn Stellhebel die Kultur ihrer Organisation als transaktionaler beschreiben als die Mitarbeiter. Die Ergebnisse stehen unter dem Vorbehalt, dass ein Unternehmen nur Führungskräfte befragte. Dieses Unternehmen zeigt ein Mischpult mit einer extremen transaktionalen Ausprägung. Werden die Antworten dieses Unternehmens in der Auswertung ausgelassen, zeigt sich, dass die Mittelwerte der Führungskräfte der verbleibenden sieben Unternehmen sich in eine transformationale Richtung verschieben, allerdings nicht so stark, als dass sich signifikante Mittelwertsunterschiede ergäben. Führungskräfte und Mitarbeiter schätzen die Kultur ihrer Unternehmen gemäß unserer Daten gleich ein, die H1 muss auf der Basis der Daten unserer Hauptstudie verworfen werden.

Tabelle 2: Ergebnisse der Mittelwertsvergleiche zwischen Führungskräften und Mitarbeitern.

Ergebnisse der Mittelwertsvergleiche zwischen Führungskräften und Mitarbeitern.

H2: Mit der zweiten Arbeitshypothese wurde angenommen, dass Produktionsunternehmen eine transaktionalere Kultur aufweisen als Dienstleistungsunternehmen. Zur Überprüfung wurden 157 Antwortpersonen, die in Produktionsbetrieben arbeiten, mit 132 Antwortpersonen, die in einem Dienstleistungsunternehmen arbeiten, verglichen. Die

Abbildung 5 stellt die Ergebnisse in Form des durchschnittlichen Mischpults der beiden Vergleichsgruppen dar.

Wahrnehmung der eigenen Organisationskultur<br />
in produzierenden Unternehmen im Vergleich zu Dienstleistungsunternehmen.
Abbildung 5: Wahrnehmung der eigenen Organisationskultur
in produzierenden Unternehmen im Vergleich zu Dienstleistungsunternehmen.

Gemäß der Daten der Hauptstudie empfinden Mitarbeiter in Dienstleistungsunternehmen den vorherrschenden Führungsstil (Stellhebel zehn) als erheblich transformationaler als Mitarbeiter in Produktionsunternehmen. Ebenso wird in Dienstleistungsunternehmen die eigene Organisation als dynamischer (Stellhebel vier) wahrgenommen als in Unternehmen der produzierenden Industrie. Beide Unterschiede sind statistisch signifikant (s. Tabelle 3).

Tabelle 3: Ergebnisse der Mittelwertsvergleiche zwischen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen.

Ergebnisse der Mittelwertsvergleiche zwischen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen.

Entgegen der in H2 formulierten Annahme weisen die Stellhebel zwei (Struktur der Organisation) und Stellhebel sechs (Arbeitsautonomie) bei produzierenden Unternehmen eine mittlere Ausprägung aus wohingegen bei Dienstleistungsunternehmen in diesen beiden Stellhebeln eine deutlich transaktionale Einschätzung vorliegt. Diese Unterschiede sind auch statistisch signifikant. Die in H2 formulierte Arbeitshypothese, demnach in Dienstleistungsunternehmen eine transformationalere Organisationskultur herrscht als in Produktionsbetrieben, lässt sich nach unseren Daten nicht generell bestätigen. Gemäß unserer augenscheinlichen Einschätzung der untersuchten Unternehmen lässt sich vielmehr feststellen, dass es eine starke Annäherung von Dienstleistungs- und Produktionsunternehmen gibt: In Dienstleistungsunternehmen wurden zunehmend formalisierte, fabrikähnliche Herstellungsprozesse eingeführt wohingegen in Produktionsunternehmen ein Trend zu mehr Arbeitsautonomie und einer eigenverantwortlichen Beteiligung der Produktionsmitarbeiter zu beobachten ist.

H3: Mit der dritten Arbeitshypothese sollte überprüft werden, ob das Alter einer Organisation in Zusammenhang steht mit der wahrgenommenen Organisationskultur. Es wurde vermutet, dass junge Unternehmen ein Mischpult ausweisen mit einer stärker transformationalen Ausprägung als ältere Unternehmen. Zur Überprüfung dieser Annahme wurden die acht in der Hauptstudie untersuchten Unternehmen nach ihrem Unternehmensalter eingeteilt in die beiden Auswertungsgruppen jünger oder älter als 20 Jahre.

Die Details dieser Auswertung sind aus der Tabelle 4 ersichtlich, eine Übersicht über die Ergebnisse bietet die Abbildung 6.

Wahrnehmung der eigenen Organisationskultur in jungen gegenüber alten Unternehmen.
Abbildung 6: Wahrnehmung der eigenen Organisationskultur in jungen gegenüber alten Unternehmen.

Unsere Daten zeigen, dass junge Unternehmen eine transformationalere Organisationskultur aufweisen als ältere Unternehmen.
Die H3 kann in diesem Sinne bestätigt werden; die Mittelwertsunterschiede erweisen sich in acht der zehn Stellhebel als statistisch signifikant. Die Stellhebel zwei (Struktur der Organisation) und drei (Entscheidungswege & Expertenstatus) deuten beispielsweise darauf hin, dass es in jungen Unternehmen mehr Gestaltungsspielraum und Einflussmöglichkeiten für den Einzelnen gibt.

Tabelle 4: Ergebnisse der Mittelwertsvergleiche zwischen jungen und alten Unternehmen.

Ergebnisse der Mittelwertsvergleiche zwischen jungen und alten Unternehmen.

Der besondere Zweck der Organisation (Stellhebel eins) scheint in jungen Unternehmen noch unmittelbarer erlebt zu werden als in älteren Unternehmen. Auch scheint es in jungen Unternehmen eher möglich zu sein, bereichsübergreifend zu kooperieren (Stellhebel acht) und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten (Stellhebel sieben), der Kollektiverfolg steht stärker im Vordergrund (Stellhebel fünf und neun). Die Arbeitsautonomie (Stellhebel sechs) wird in jungen wie alten Unternehmen gleich wahrgenommen. Insgesamt ist eine eindeutig transformationalere Ausrichtung der untersuchten jungen Unternehmen gegenüber den älteren zu erkennen.

5.6 Ergebnisse: Fallbeispiel

Zur Illustration der Auswertungsmöglichkeiten des HPO-Analyzers stellen wir hier die Ergebnisse eines Unternehmens der Hauptstudie beispielhaft vor. Das Unternehmen A ist ein Dienstleistungsunternehmen mit Sitz im Westen Deutschlands, das auf der eigenen Homepage von sich behauptet, in kein gängiges Raster einzuordnen zu sein, die Vielfalt zu lieben, über den Tellerrand hinauszuschauen und auch unkonventionelle Pfade einzuschlagen. Der HPO-Analyzer soll zeigen, ob diese Selbstbeschreibung von den Mitarbeitern geteilt wird.

Die Mitarbeiter dieses Unternehmens teilen sich in zwei Bereiche auf: Im Bereich IT-Services werden für Großunternehmen individuelle Softwarelösungen mit einem hohen Innovations- und Alleinstellungsgrad entwickelt während im Bereich Portale per Telefon Werbeflächen für die unternehmenseigenen Web-Portale verkauft werden. Es wurden alle 34 Mitarbeiter zur Online-Befragung mit dem HPO-Analyzer eingeladen. 27 Mitarbeiter füllten den Fragebogen aus, was einer Rücklaufquote von 79 Prozent entspricht.
Nach der Auswertung der Daten ist ein eindeutiges Ergebnis festzustellen. Alle zehn Stellhebel zeigen eine hoch transformationale Ausprägung und weisen im Vergleich zum Benchmark in allen Stellhebeln einen statistisch signifikanten Mittelwertsunterschied auf. Die auf der Homepage dargestellte, transformationale Philosophie des Unternehmens ist demnach tatsächlich bei den Mitarbeitern verankert und wird von ihnen ebenso wahrgenommen. Die Abbildung 7 gibt eine Übersicht über die Ergebnisse des Beispielunternehmens im Vergleich zum Benchmark.

Mischpult der Organisationskultur für das Beispielunternehmen A im Vergleich zum Benchmark.
Abbildung 7: Mischpult der Organisationskultur für das Beispielunternehmen A im Vergleich zum Benchmark.

Von den insgesamt 27 Antwortpersonen haben 23 angegeben, in welchem Bereich sie arbeiten. Mit elf Personen im Bereich Portale bzw. zwölf im Bereich IT-Services ergibt sich eine nahezu gleiche Aufteilung der Antwortpersonen auf die beiden Unternehmensbereiche. Die Abbildung 8 zeigt die Ergebnisse des Unternehmens A aufgeschlüsselt nach Unternehmensbereichen.

Mischpult der Organisationskultur für die beiden Bereiche des Unternehmens A.
Abbildung 8: Mischpult der Organisationskultur für die beiden Bereiche des Unternehmens A.

Ein aufschlussreiches Bild zeigt sich in der separaten Analyse nach Unternehmensbereichen. Alle zehn Stellhebel werden von den Mitarbeitern des Bereichs IT-Services als hoch transformational empfunden, lediglich der Stellhebel neun (Individual vs. Kollektivinteresse) ist nicht maximal transformational ausgeprägt, tendiert aber dennoch in die transformationale Richtung. Alle Mitarbeiter im Bereich IT-Services verfügen über einen Hochschulabschluss. Die Geschäftsführerin spricht über diesen Bereich als „unser High-Performance-Team“, das „immer etwas Neues benötigt“. Besonders deutlich fällt der Unterschied zwischen den beiden Unternehmensbereichen im Stellhebel drei (Entscheidungswege & Expertenstatus) und im Stellhebel sechs (Arbeitsautonomie) aus.

Die Relevanz der Unterschiede kann durch eine große Effektstärke (η2 = .18 bei Stellhebel drei und η2 = .44 bei Stellhebel sechs) bestätigt werden. Der Geschäftsführer gibt ein Beispiel für die hohe transformationale Ausprägung im Stellhebel drei (Entscheidungswege & Expertenstatus): Die Mitarbeiter des Bereichs IT-Services treten an den Geschäftsführer heran und schlagen für einen Kunden eine unkonventionelle Software vor, die ihrer Meinung nach besonders gut zu diesem Kunden passt. Der Geschäftsführer vertraut dem Urteil seiner Mitarbeiter und gibt den Mitarbeitern die Freiheit, dieses neue Softwareprogramm auszuprobieren. Er vertritt die Meinung seiner Mitarbeiter gegenüber dem Kunden, auch wenn dieser eher skeptisch auf die Software reagiert. Dadurch bestätigt er seine Mitarbeiter in ihrem Expertenstatus.

Demgegenüber schätzen die Mitarbeiter des Bereichs Portale die Organisationskultur erheblich transaktionaler ein als ihre Kollegen im Bereich IT-Services. Besonders die Stellhebel zwei (Struktur der Organisation), sechs (Arbeitsautonomie) und sieben (Kontrolle vs. Vertrauen) werden im Bereich Portale als stark transaktional ausgeprägt wahrgenommen. Die Geschäftsführer meinen dazu, dass „die Unterschiede zwischen Portale und IT-Services nicht überraschend“ sind. Die Mitarbeiter im Bereich Portale werden enger geführt als die Mitarbeiter des Bereichs IT-Services. Sie arbeiten in einem Call Center und haben die Aufgabe, Anzeigen für die unternehmenseigenen Web-Portale zu verkaufen. Aufgrund unbefriedigender Umsätze wurde knapp ein Jahr vor dem Befragungszeitpunkt mit dem HPO-Analyzer unter zu Hilfenahme eines externen Beraters eine regulierende Software eingeführt, welche über Bildschirm-Pop-ups die Häufigkeit und die Zielkunden der vorzunehmenden Akquiseanrufe steuert.

Die Mitarbeiter fühlen sich nach eigenem Bekunden durch das neue Programm unter Druck gesetzt, streng kontrolliert und in ihrer Arbeitsautonomie eingeschränkt. Diese Eindrücke werden in den entsprechenden Stellhebeln des HPO-Analyzers widergespiegelt.

Trotz der Unterschiede zwischen den beiden Bereichen betrachten die beiden Geschäftsführer ihre Organisation als „eine Firma“. Dies wird offenbar auch von den Mitarbeitern so wahrgenommen. Der vorherrschende Führungsstil (Stellhebel zehn) und der wahrgenommene Gemeinsinn werden in beiden Bereichen gleichermaßen als hoch transformational ausgeprägt eingestuft. Die Varianzanalyse bestätigt die Aussage, da sie keine signifikanten Unterschiede bei den Stellhebeln fünf (Riten & Legenden) und neun (Individual- vs. Kollektivinteresse) zeigt, welche das Wir-Gefühl repräsentieren. Offenbar wird die Organisation von beiden Bereichen in diesen Aspekten gleich wahrgenommen. Das Wir-Gefühl wird in dem Unternehmen beispielsweise durch gemeinsame Rituale wie die „Bieruhr“ – das gemeinsame Biertrinken am Freitagnachmittag –, tägliches gemeinsames Mittagessen oder das Angebot, gemeinsam Sport zu treiben, gestärkt.

Wir bewerten dieses Fallbeispiel dahingehend, dass der HPO-Analyzer die Unterschiede in den einzelnen Unternehmensbereichen aufdecken und zutreffend identifizieren konnte.

Für die Organisation bedeuten die Ergebnisse der Messung, dass die beiden Unternehmensbereiche unterschiedliche Kulturen ausgebildet haben, was zunächst angesichts der Unterschiedlichkeit der Aufgaben nicht verwundert. Es besteht die Gefahr einer Überregulierung der Arbeit im Bereich Portale und einer Vertiefung der bereits erkennbaren kulturellen Trennung der beiden Unternehmensbereiche. Umso erfreulicher ist für dieses Unternehmen das Ergebnis zu werten, dass aktuell noch ein starker Gemeinsinn vorherrscht und sich die Mitarbeiter einer gemeinsamen Unternehmung zugehörig fühlen.

6 Fazit

In diesem Artikel wurde über die Konstruktion und Optimierung des HPO-Analyzers als Fragebogeninstrument zur Messung der Organisationskultur berichtet. Das Instrument ermöglicht eine Einschätzung von zehn Faktoren der Organisationskultur, welche jeweils auf einem Kontinuum zwischen den Extremen einer rein transaktionalen oder einer rein transformationalen Ausprägung in einem Mischpult abgebildet werden. Zur Konstruktion des Messinstruments wurden Daten aus insgesamt acht klein- und mittelständischen Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum verwendet. Die Geschäftsführungen der untersuchten Unternehmen bewerteten die Ergebnisse des HPO-Analyzers als plausibel und konnten die quantitativen Daten durch eigene Beobachtungen und Fallbeispiele augenscheinlich validieren. Offenbar bildet der HPO-Analyzer die untersuchten Kulturdimensionen zutreffend ab.

Die in der Hauptstudie erkannten Defizite der Items in Stellhebel zwei, sechs und neun hatten zur Folge, dass diese Items eliminiert und durch neue Items ersetzt wurden. Mit dieser optimierten Version des HPO-Analyzers wurde mittlerweile die Organisationskultur in zwölf weiteren klein- und mittelständischen Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum untersucht. Die Benchmarkdaten können durch den praktischen Einsatz des Instruments fortlaufend verbessert werden; zurzeit umfasst die Benchmarkgruppe zwanzig Unternehmen mit knapp über 1.000 Antwortpersonen.

Die praktische Nützlichkeit des HPO-Analyzers wurde nach Einschätzung der befragten Geschäftsführungen darin gesehen,

• das häufig als sperrig erlebte Konstrukt der Organisationskultur zu operationalisieren und damit eines gezielten Managements zugänglich zu machen,
• die richtigen Handlungsfelder in der Organisationsentwicklung zu identifizieren und
• die eigenen Aktivitäten der Kulturentwicklung zu kanalisieren und anhand des Mischpults konkrete Kulturinterventionen zu planen.

Wie die Ergebnisse des HPO-Analyzers in einem Unternehmen für einen umfassenden Kulturentwicklungsprozess verwendet wurden, zeigt Villalaz (2012) beispielhaft auf.
Er verwendete die Befragungsergebnisse zur Identifikation der Handlungsfelder der Kultur- und Organisationsentwicklung und erarbeitete mit dem Geschäftsleitungsteam einen Maßnahmenplan zur Optimierung von zwei ausgewählten Stellhebeln des Mischpults. Heidbrink und Jenewein (2011) trugen für jeden der zehn Stellhebel des Mischpults praktische Fallbeispiele zusammen, wie es Unternehmen vermocht haben, ihre Kultur in dem jeweiligen Kriterium zu entwickeln.

Beldycki (2013) unterzog den HPO-Analyzer einer ersten empirischen Validitätsüberprüfung. Er setzte die Befragungsergebnisse des HPO-Analyzers in Bezug zu den Resultaten des von Bass und Avolio (1993) entwickelten Instruments des Organizational Description Questionnaires, ODQ. Auf der Basis von Erhebungsdaten aus vier Unternehmen aus Deutschland und Russland (N = 224) stellte er fest: „Firstly, this study confirms the convergent validity of the HPO towards the ODQ on a significant level.

There are no doubts that the HPO and the ODQ measure the same characteristics of organizational culture.” (Beldycki, 2013, S. 42). Aufgrund der geringeren Volatilität bei kleinen Stichprobengrößen hält Beldycki den HPO-Analyzer für besonders geeignet für die Kulturmessung in klein- und mittelständischen Unternehmen. Er führt weiterhin aus, dass der HPO-Analyzer aufgrund der Unterteilung des Kulturbegriffs in die zehn Stellhebel praktische Vorteile gegenüber dem ODQ biete.

In der Folge wird es erforderlich sein, weitere Organisationen aus unterschiedlichen Branchen, Größenkategorien und Regionen zu untersuchen, um das vorliegende Messinstrument weiter zu optimieren und zusätzliche Vergleichsdaten zu generieren. Der HPO-Analyzer liegt in Deutsch, Russisch und Englisch vor. Es steht aus zu untersuchen, ob die Sprache des Fragebogens oder der Kulturraum, in dem das Instrument eingesetzt wird, einen Einfluss auf die Ergebnisse haben. Schließlich sind weitere Untersuchungen zur Überprüfung der sich andeutenden praktischen Nützlichkeit und der Validität durchzuführen.

7 Literaturverzeichnis

American Management Association (2007). How to build a High-Performance Organization. A Global Study of Current Trends and Future Possibilities 2007-2017. New York: AMA.

Bass, B. M. & Avolio, B. J. (1993). Transformational Leadership and Organizational Culture. Public Administration Quartely, 17, 441-462.

Bass, B. M. & Avolio, B. J. (1994). Improving Organizational Effectiveness through Transformational Leadership. New York: Thousand Oaks.

Bhalla, V., Caye, J. M., Dyser, A., Dymond, L., Morieux, Y., Orlander, P. (2011).High-Performance Organizations; The Secrets of their Success. Boston: The Boston Consulting Group.

Beldycki, D. (2013). The Change Process of Organizational Culture: Validation of a Measurement Tool – The High-Performance Organization Analyzer. Vallendar: WHU Otto Beisheim School of Management.

Brenner, S. (2012). High-Performance Organization Analyzer – Die Entwicklung eines Instruments zur Messung der Organisationskultur. Köln: Hochschule Fresenius.

Denison, D. R. (1990). Corporate Culture and Organizational Effectiveness. New York: Wiley.

Heidbrink, M. & Jenewein, W. (2011). High-Performance-Organisationen. Wie Unternehmen eine Hochleistungskultur aufbauen. Stuttgart: Schäffer Poeschel.

Jenewein, W. & Heidbrink, M. (2008). High-Performance-Teams. Die fünf Erfolgsprinzipien für Führung und Zusammenarbeit. Stuttgart: Schäffer Poeschel.

Kotter, J. P. & Heskett, J. L. (1992). Corporate Culture and Performance. New York: The Free Press.

Sackmann, S. A. (2006). Betriebsvergleich Unternehmenskultur. Welche kulturellen Faktoren beeinflussen den Unternehmenserfolg? Neubiberg: Universität der Bundeswehr München.

Villalaz, A. (2012). Kuhn Rikon’s path towards high performance. A cultural analysis and concrete change measures. Maastricht: EuroMBA.


Korrespondenzadresse:

Dr. Marcus Heidbrink
Vogelsanger Weg 30
D-50858 Köln
GERMANY

marcus.heidbrink@gmail.com

Kulturelle Synergie und organisationaler Wandel: Von der Krise zur Innovation

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Der vorliegende Artikel befasst sich mit informellen Codes und Rhythmen sozialen Verhaltens am Arbeitsplatz sowie mit deren Beziehung zu organisationalem Wandel und Wohlbefinden. Nach einer Restrukturierung des dänischen öffentlichen Dienstes wurden acht Fokusgruppen organisiert, die aus zwei bis drei Angestellten mit Ausbildung oder Studium bestanden (N = 21). Die Angestellten arbeiteten entweder in der zentralen Behörde oder in den neu zugeschnittenen und teilweise zusammengelegten lokalen Bürgerbüros. Wortzählungen der Promina „ich“ und „wir“ ergaben, dass Personen, die einen gemeinsamen organisationalen Hintergrund aus der Zeit vor der Zusammenführung hatten (homogene Gruppen), häufiger „wir“ verwendeten als heterogene Gruppen. Angestellte der Zentrale beschäftigten sich stärker mit den Themen Arbeitsbelastung und sozialer Code, während Angestellte der lokalen Bürgerbüros in erster Linie Themen wie Meetings, Commitment und Büroraum diskutierten. Der organisationale Hintergrund beeinflusste diese Unterschiede stärker als die Bürokulturen. Wir konnten zeigen, dass es möglich ist, in einer neu strukturierten Organisation kulturelle Synergien zu schaffen, wenn den Mitarbeitern praktische und soziale Werte angeboten werden. Damit werden interessante neue Möglichkeiten aufgedeckt, Probleme und Frustrationen in Lösungen und Innovationen zu transformieren, die weitere Forschung verdienen.

Schlüsselbegriffe: Unternehmenskultur, Gesundheit am Arbeitsplatz, organisationale Umstrukturierung, soziale Rhythmen

Stresserleben und Stressbewältigung bei Studierenden. Funktionale und dysfunktionale Strategien und weitere Einflussvariablen

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1 Einleitung

Das Interesse der breiten Öffentlichkeit am Themenfeld „Stress bei Studierenden“ wurde insbesondere durch die kontrovers diskutierte Bologna-Reform angeregt. Durch die genannte Hochschulreform fand eine Veränderung in der Hochschullandschaft statt, deren Ziel unter anderem die internationale Vereinheitlichung des Systems war, um Abschlüsse an Hochschulen und Universitäten vergleichbar zu machen und deren Akzeptanz zu erhöhen (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2012). Zugleich ist dadurch jedoch offenbar die Belastung durch das Studium deutlich angestiegen. Tatsache ist, dass immer mehr Studierende psychologischen Beistand suchen. Für das Jahr 2010 wurde beispielsweise festgestellt, dass insgesamt fast 26.000 Studierende die Hilfe von psychologischen Beratungsstellen in Anspruch nahmen, was einen Anstieg von 14 % gegenüber dem Vorjahr bedeutet (Deutsches Studentenwerk, 2011). Die Ursachen für ein erhöhtes Belastungspotenzial bei Studierenden sind vielschichtig. So kann das Stresserleben auf ein Wechselspiel zwischen persönlicher Arbeitsbelastung, persönlichen Faktoren und der Organisation des Studiums zurückgeführt werden (Metzger & Schulmeister, 2010). Personen reagieren sehr unterschiedlich auf Belastungen und wenden verschiedene Bewältigungsstrategien an. Doch welche Strategien wirken funktional und stressreduzierend und sind damit als gesundheitsförderlich anzusehen, und welche Strategien sind dysfunktional und mit gesundheitlichen Risiken verbunden?

Beeinflussen spezielle Merkmale von Studierenden das Stresserleben und die Stressbewältigung, wie das Geschlecht, die Semesterzugehörigkeit, das Alter oder das Ausmaß an Selbstwirksamkeitserwartung oder Kontrollüberzeugung? Diese Fragen sollen mit der vorliegenden Studie empirisch untersucht werden.

1.1 Stress

Es existiert eine Fülle wissenschaftlicher Definitionen zum Stressbegriff, die sich inhaltlich zumeist an spezifische Theorien und Modelle anlehnen (Eppel, 2007). Eine in der aktuellen Forschung weit verbreitete und akzeptierte theoretische Grundlage stellt die kognitivtransaktionale Perspektive nach Lazarus (1974, 1999) dar, nach der sich Stress wie folgt definieren lässt: „Stress is any event in which environmental or internal demands tax or exceed the adaptive resources of an individual, social system, or tissue system“ (Lazarus & Launier, 1978, p. 296). Stress entsteht demnach, wenn die gestellten Anforderungen die zur Verfügung stehenden Ressourcen der Person stark beanspruchen oder übersteigen (s. a. Lazarus & Folkman, 1984, 1987). Entscheidend ist hierbei, wie das Individuum subjektiv erstens die Situation bewertet (sog. primary appraisal) und zweitens die Situationsanforderungen mit den verfügbaren persönlichen Ressourcen in Relation setzt (sog. secondary appraisal).

Beide kognitiven Bewertungsprozesse können dabei simultan ablaufen. Da es sich hierbei um ein Zusammenspiel von Umweltaspekten und Personenaspekten handelt, wird der Ansatz zudem als transaktional bezeichnet (vgl. Knoll, Scholz & Riekmann, 2011). Auch wenn strenge experimentelle Belege für die postulierten Mechanismen bislang noch ausstehen und die prozessreine Messung der beiden Bewertungsaspekte schwierig erscheint (Schwarzer, 2000), kann die Theorie als eine der meistzitierten und einflussreichsten Stresstheorien der letzten Jahrzehnte gelten (Knoll et al., 2011). Entscheidend ist, dass Stresserleben sich Lazarus zufolge nicht aus scheinbar objektiv gegebenen Reizen und Anforderungen ergibt, sondern wesentlich davon abhängt, wie das Individuum sowohl die Situation als auch die eigenen Ressourcen wahrnimmt und bewertet.

1.2 Muster des Belastungserlebens

Einen sehr interessanten Befund in Hinblick auf das persönliche Stresserleben liefert eine Studie von Schaarschmidt und Fischer (2008). Die Autoren beschäftigen sich speziell mit dem Belastungserleben im Beruf und ermittelten empirisch vier verschiedene Muster des Stresserlebens bei Arbeitnehmern. Zwei dieser Muster (Muster G und Muster S) können als gesundheitsförderlich gelten, zwei als gesundheitsgefährdende Risikomuster (Risikomuster A und Risikomuster B).

Muster G wird durch ein bestehendes, aber nicht übermäßiges Arbeitsengagement der betreffenden Personen charakterisiert, was sich aus der subjektiven Bedeutsamkeit der Arbeit, dem persönlichen Ehrgeiz, Verausgabungsbereitschaft und Perfektionsstreben zusammensetzt. Außerdem können bei Personen, die ein solches Muster aufweisen, Distanzierungsfähigkeit und Widerstandskraft gegenüber Belastungen nachgewiesen werden. Insgesamt lassen sich bei Muster G durchgängig positive Emotionen (berufliches Erfolgserleben, Lebenszufriedenheit, Erleben sozialer Unterstützung) feststellen. Bei Muster S hingegen steht die Schonung im Vordergrund, da sich bei diesem Muster die geringsten Ausprägungen bezüglich des Arbeitsengagements finden lassen. Personen mit diesem Muster zeigen ferner dennoch eine sehr starke Distanzierungsfähigkeit, eine hohe Widerstandskraft und ein positives Lebensgefühl, weshalb auch dieses Muster als gesundheitsförderlich angesehen wird. Hingegen sind beide Risikomuster durch ein Fehlen von ausreichender Distanzierungsfähigkeit, eine insgesamt niedrige Widerstandskraft und ein negatives Lebensgefühl charakterisiert. Während sich bei Risikomuster B eher niedrige Werte im Arbeitsengagement finden lassen, geht mit Risikomuster A ein zu hohes Arbeitsengagement einher. Insgesamt liegt Risikomuster A zugrunde, dass ein großer Arbeitseinsatz nicht zum Erfolg führt und deshalb nicht emotional kompensiert werden kann (Schaarschmidt, 2006).

Ziel der vorliegenden Studie ist es, zu prüfen, ob sich die von Schaarschmidt und Fischer (2008) bei berufstätigen Erwachsenen ermittelten Muster des Belastungserlebens in ähnlicher Form an einer Stichprobe von Studierenden nachweisen lassen, und in welcher Weise die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Erlebensmuster mit der Nutzung spezifischer Strategien der Stressbewältigung einhergeht. Daher soll im Folgenden zunächst ein kurzer Überblick über wesentliche Ansätze zur Klassifikation und Messung von Stressbewältigungsstrategien gegeben werden.

1.3 Klassifikation von Bewältigungsstrategien

Ähnlich wie zum Stresskonzept lassen sich auch in Bezug auf Stressbewältigung („Coping“) unterschiedlichste Ansätze zur Definition finden (für einen Überblick s. z. B. Knoll et al., 2011). Aus transaktionaler Sicht beinhaltet Coping alle Bemühungen einer Person, mit den Anforderungen einer Situation, die die persönlichen Kompetenzen fordert, zurechtzukommen (Lazarus & Launier, 1981).

In der psychologischen Forschung werden verschiedene Copingstrategien auf unterschiedlichste Art und Weise zu übergeordneten Kategorien zusammengefasst. Beispielsweise können die Strategien bezüglich ihres Zwecks, ihrer Bedeutung oder ihrer Funktionalität klassifiziert werden (Schwarzer & Schwarzer, 1996). Eine viel beachtete Aufteilung liefert Lazarus (1991). Seine Klassifizierung in emotionales und problembezogenes Coping findet sich in vielen weiteren Forschungsarbeiten wieder, wie beispielsweise bei Compas, Malcarne und Fondacaro (1988) oder bei Billings und Moos (1981). Der besondere Fokus der vorliegenden Untersuchung liegt auf der Unterscheidung gemäß der Funktionalität der Bewältigungsstrategien. Die unterschiedlichen Strategien können als funktional und damit als gesundheitsförderlich oder als dysfunktional und damit als risikoreich für die persönliche Gesundheit angesehen werden. Ein Vergleich verschiedener Studien (Bodenmann, Perrez, Cina & Widmer, 2001; Meyer, 2001; Prinz, 2011) zeigt, dass die Befunde zwar in einigen Einordnungen der Strategien hinsichtlich ihrer Funktionalität übereinstimmen, dennoch bislang keine vollkommen einheitliche und eindeutige Zuordnung vorliegt.

Ein zentrales Ziel der hier berichteten Studie ist es daher zu prüfen, ob die Nutzung bestimmter Bewältigungsstrategien systematisch mit gesundheitsförderlichen respektive risikobehafteten Mustern des Stresserlebens einhergeht. Damit kann ein weiterer empirischer Beitrag zum Verständnis der Funktionalität der untersuchten Strategien geleistet werden. Erfasst werden sollen die Bewältigungsstrategien der befragten Studierenden mit dem von Carver (1997) entwickelten Messinstrument „Brief COPE“, das 14 Dimensionen von Bewältigungsverhalten unterscheidet: Ablenkung, aktive Bewältigung, Verleugnung, Alkohol und Drogen, emotionale Unterstützung, Verhaltensrückzug, Ausleben von Emotionen, instrumentelle Unterstützung, positive Umdeutung, Selbstbeschuldigung, Planung, Humor, Akzeptanz und Religion.

Eine besondere, weitere Form des Umgangs mit Belastungen ist das proaktive Coping. Während die klassische Sichtweise von Bewältigung davon ausgeht, dass das stressreiche Ereignis bereits stattgefunden hat und Coping eine Reaktion auf bereits empfundenen Stress darstellt (Greenglass & Fiksenbaum, 2009), liegt der Fokus beim proaktiven Coping auf der Verhinderung oder Veränderung der Belastung, bevor sie entsteht (Aspinwall & Taylor, 1997). Dies geschieht beispielsweise durch die Wahrnehmung des stressreichen Ereignisses als positive Herausforderung, die durch das selbstständige Setzen von Zielen begünstigt werden kann (Schwarzer, 2004). Proaktives Coping soll daher separat erfasst und in Hinblick auf mögliche systematische Zusammenhänge mit dem Belastungserleben analysiert werden.

1.4 Weitere Einflussvariablen im Stressbewältigungsprozess

Das subjektive Belastungserleben und das Bewältigungsverhalten von Personen sind durch zahlreiche Variablen beeinflusst. In der vorliegenden Arbeit wurden die psychologischen Faktoren Selbstwirksamkeitserwartung (Bandura, 1977; 1982; 1993) und internale Kontrollüberzeugung (Rotter, 1966) sowie die demographischen Faktoren Geschlecht, Alter und Semesterzugehörigkeit berücksichtigt, auf deren jeweilige themenspezifische Relevanz im Folgenden eingegangen wird.

1.4.1 Selbstwirksamkeitserwartung und Kontrollüberzeugung

Banduras (1977, 1982, 1993) Konzept der Selbstwirksamkeit wird häufig mit Stress und Stressbewältigung in Beziehung gesetzt (z.B. Bandura, 1997; Lu, Chang & Lai, 2011; Weimar, 2005). Eine Person mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung besitzt die Überzeugung, eine Aufgabe erfolgreich ausführen oder ein Problem lösen zu können (Bandura, 1977). Bandura selbst (1993) schreibt der Selbstwirksamkeit speziell im aufgabenorientierten Umgang mit hohen Anforderungen eine besondere Bedeutung zu. Zahlreiche Befunde weisen darauf hin, dass hohe Selbstwirksamkeit tatsächlich mit objektiv besseren Leistungen in unterschiedlichen Aufgabenbereichen einhergeht (z. B. Wood & Bandura, 1989). In diesem Zusammenhang benennt Bandura auch die Fähigkeit, kritische Ereignisse vorhersagen und kontrollieren zu können als wesentlich, was wiederum Bezüge zum proaktiven Coping sowie zu generalisierten Kontrollüberzeugungen (s. u.) nahelegt. Im Allgemeinen wird der Selbstwirksamkeit eine positive Wirkung auf Gesundheit zugeschrieben, da sie einen starken Einfluss auf die persönliche Stressbewertung und Stressbewältigung ausübt (Kaluza, 2004). Niedrige Selbstwirksamkeitserwartungen hingegen hängen vielfach mit Symptomen von Depression, Hilflosigkeit oder Angst zusammen (Schwarzer, Mueller & Greenglass, 1999).

Das Konzept der Kontrollüberzeugungen stellt ebenfalls eine mögliche Einflussvariable dar. Rotter (1966) differenziert zwischen internalem und externalem „locus of control“ (p. 1). Als internale Kontrollüberzeugung wird die Annahme einer Person verstanden, wichtige Vorkommnisse im Leben selbst steuern und kontrollieren zu können (Krampen, 1982).
Bei externalen Kontrollüberzeugungen hingegen geht die betreffende Person davon aus, dass nicht sie selbst das Ereignis herbeigeführt hat, sondern dieses ein Resultat von Zufall, Glück oder Schicksal ist oder von mächtigen anderen Kräften beeinflusst wurde oder das Ereignis unvorhersehbar war (Rotter, 1990). Dem Einfluss von Kontrollüberzeugungen wird innerhalb von Bewältigungsprozessen Bedeutung zugeschrieben (Lazarus & Folkmann, 1987, zitiert nach Schwarzer & Jerusalem, 2002). Internale Kontrollüberzeugungen beinhalten „generalisierte positive Erwartungshaltungen“ (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 30), die bei Belastungen als Ressourcen fungieren.

1.4.2 Demographische Faktoren

In der Literatur finden sich einige Hinweise darauf, dass bestimmte demografische Variablen Art und Ausmaß der Nutzung von Stressbewältigungsstrategien beeinflussen können. Dass das Geschlecht einen Einfluss auf den Stressbewältigungsprozess ausübt, wird beispielsweise in einer Arbeit von Howerton und Van Gundy (2009) deutlich. Klassische Studien kamen vermehrt zu dem Ergebnis, dass Frauen häufiger emotionale Bewältigung betreiben als Männer (z.B. Billings & Moos, 1981, 1984, zitiert nach Howerton & Van Gundy, 2009). In einer neueren Studie von Daughtry und Paulk (2006, zitiert nach Howerton & Van Gundy, 2009) zeigte sich, dass Frauen eine größere Vielfalt von Bewältigungsstrategien anwenden und eher dazu neigen, Unterstützung zur Lösung ihrer Probleme zu suchen. Weiterhin finden sich in der Literatur Hinweise auf altersbedingte Unterschiede im Umgang mit Belastungen (z. B. Aldwin, Sutton, Chiara & Spiro, 1996; Crongvist, Klang, Björvell, 1997). Auch wenn das Lebensalter innerhalb einer studentischen Stichprobe vergleichsweise homogen ausfällt, soll Alter hier ebenso erfasst und kontrolliert werden wie das Studierstadium. Es erscheint plausibel, dass Studierende höherer Semester über mehr Erfahrung im Umgang mit studiumsbezogenen Belastungen verfügen als Studierende niedrigerer Semester und diese somit anders erleben.

1.5 Forschungsfragen

Zunächst stellt sich die Frage, ob sich bei Studierenden Muster des Stresserlebens finden lassen, die mit den von Schaarschmidt und Fischer (2008) empirisch gefundenen Mustern des arbeitsbezogenen Stresserlebens bei berufstätigen Erwachsenen vergleichbar sind. Außerdem steht das Anliegen im Fokus, Bewältigungsstrategien hinsichtlich ihrer Funktionalität zu klassifizieren. Demnach soll geprüft werden, ob sich die bei den befragten Studierenden ermittelten Bewältigungsstrategien empirisch sinnvoll in funktionale und dysfunktionale Strategien gruppieren lassen und ob sich die ermittelten Muster des Stresserlebens systematisch in der Anwendung von Bewältigungsstrategien sowie in der Nutzung von proaktivem Coping unterscheiden. Wie bereits beschrieben, sollen zusätzlich die potenziellen Prädiktoren Selbstwirksamkeitserwartung und Kontrollüberzeugung sowie Geschlecht, Alter und Semesterzugehörigkeit der Studierenden erfasst und ihr Einfluss auf das Stresserleben untersucht werden.

2 Methode

Im Folgenden werden die verwendeten Erhebungsinstrumente vorgestellt sowie die Stichprobe und die Durchführung der Untersuchung beschrieben.

2.1 Erhebungsinstrumente

Der verwendete Fragebogen setzt sich zu einem großen Teil aus Kurzformen etablierter Messinstrumente zusammen. Der erste Abschnitt des Fragebogens enthält eine an Studierende angepasste Form der Kurzform des AVEM (Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster, Schaarschmidt, 2006), den AVEM-44 (Schaarschmidt & Fischer, 2008), um das studiumsbezogene Belastungserleben zu bestimmen und die Musterzugehörigkeiten der befragten Studierenden zu ermitteln. Diese Anpassung wurde bereits von Blomert, Knoch, Rösch, Stemme und Mierke (2010) vorgenommen und besteht wesentlich in Ersetzungen arbeitsbezogener durch studiumsbezogene Begriffe bei sonstiger Beibehaltung des jeweiligen Itemwortlauts. Entsprechend erwiesen sich die internen Konsistenzen auch in der vorliegenden Stichprobe als gut (für nahezu alle Dimensionen > .80, s. Tabelle A1 im Anhang). Um die Bewältigungsstrategien der Studierenden zu erfassen, wurde auf die deutsche Kurzversion des COPE in der dispositionalen Fassung (Brief COPE, Carver, 1997, Übersetzung durch Knoll, 2002) zurückgegriffen. Die Messung von proaktivem Coping erfolgte durch die „Proaktives Coping Skala“, die einen Teil des Proactive Coping Inventory von Greenglass, Schwarzer, Jakubiec, Fiksenbaum und Taubert (1999) darstellt. Zur Erfassung der Selbstwirksamkeitserwartungen der Studierenden wurde die Allgemeine Selbstwirksamkeit Kurzskala (AKSU, Beierlein, Kovaleva, Kemper & Rammstedt, 2012) verwendet. Kontrollüberzeugungen im Sinne Rotters (1966, 1991) wurden mit Hilfe des IE-4 (Internale-Externale-Kontrollüberzeugung-4) gemessen (Kovaleva, Beierlein, Kemper & Rammstedt, 2012). Zusätzlich wurden abschließend Geschlecht, Alter, Semester und Hochschulzugehörigkeit (Hochschule Fresenius oder andere Hochschule/Universität) erfragt.

2.2 Stichprobe und Durchführung

Die Befragung der Studierenden erfolgte über das Internet-Portal „Unipark“. Die Akquisition der Probanden fand zunächst über das Studierenden-Portal „ILIAS“ der Hochschule Fresenius statt. Weiterhin wurde im sozialen Netzwerk „facebook“ in verschiedenen studiumsbezogenen Gruppen für eine Teilnahme an der Befragung geworben. Die kontaktierten 32 Gruppen bezogen sich auf unterschiedliche Hochschulen und Universitäten aus verschiedenen Regionen Deutschlands. Insgesamt konnten so im November 2012 N = 1.014 verwendbare Datensätze gewonnen werden. Alle Teilnehmer waren Studierende, 73 % (n = 743) davon waren weiblich und 27 % (n = 271) männlich. Das Alter der befragten Personen reichte von 17 bis 48 Jahren. Das Durchschnittsalter betrug 22.33 Jahre (SD = 3.20).

Es nahmen Studierende vom ersten bis zum 16. Semester an der Befragung teil, wobei der Durchschnitt bei M = 3.69 (SD = 2.69) Semestern lag. 21 % der Befragten gaben an, an der Hochschule Fresenius ihr Studium zu absolvieren. 79 % der Studierenden berichteten, an einer anderen Hochschule oder Universität zu studieren.

3 Ergebnisse

Der folgende Abschnitt berichtet die zentralen Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung.

3.1 Funktionale und dysfunktionale Bewältigungsstrategien

Um zu prüfen, ob sich die durch den Brief COPE erfassten Bewältigungsstrategien zwei übergeordneten Dimensionen zuordnen lassen, die die konzeptuelle Unterteilung in funktionale und dysfunktionale Strategien unterstützen, wurde eine konfirmatorische Faktorenanalyse (PCA) mit Varimax-Rotation durchgeführt. Die erste Komponente erklärt 19.20 % der Gesamtvarianz und umfasst die folgenden Strategien (Faktorladung jeweils in Klammern): aktive Bewältigung (.57), emotionale Unterstützung (.69), Ausleben von Emotionen (.50), instrumentelle Unterstützung (.73), positive Umdeutung (.63), Planung (.56), Humor (.26) und Akzeptanz (.35). Die zweite Komponente umfasst die Bewältigungsstrategien Ablenkung (.33), Verleugnung (.69), Alkohol und Drogen (.39), Verhaltensrückzug (.54), Selbstbeschuldigung (.61) und Religion (.26). Diese Zuordnung weist starke Ähnlichkeit zu in der Literatur verbreiteten Klassifizierungen (z. B. Bodenmann et al., 2011; Meyer, 2001; Prinz, 2011) auf. Dementsprechend werden die Bewältigungsstrategien des ersten Faktors inhaltlich als funktional, die Strategien der zweiten Komponente als dysfunktional aufgefasst und für die weiteren Analysen jeweils ein entsprechender Mittelwertindex gebildet.

3.2 Muster studiumsbezogenen Stresserlebens

Um zu ermitteln, ob sich anhand der elf Dimensionen des AVEM-44 bei den befragten Studierenden Muster finden lassen, wurde auf Basis der erhobenen Daten eine Two-Step-Clusteranalyse durchgeführt. Es ließen sich drei Cluster bilden. Der Silhouetten-Kohäsions- und Trennungsmesswert lag im mittleren Bereich. Dem ersten Cluster gehören 26 % (n = 268) der befragten Studierenden an, Cluster 2 sind 36 % (n = 365) der Befragten zuzuordnen. Das größte gebildete Cluster ist Cluster 3 mit 38 % (n = 381). Somit zeigen immerhin 36 % der befragten Studierenden ein Risikomuster, das mit gesundheitlicher Gefährdung einhergeht.

Wie in Tabelle 1 dokumentiert, sind für das erste Cluster im Gruppenvergleich eine mittlere Distanzierungsfähigkeit, ein sehr stark ausgeprägtes Perfektionsstreben, eine hohe Verausgabungsbereitschaft, eine sehr stark ausgeprägte offensive Problembewältigung, eine hohe innere Ruhe und Ausgeglichenheit, eine sehr hohe Lebenszufriedenheit, ein hoher studiumsbezogener Ehrgeiz, eine hohe subjektive Bedeutsamkeit des Studiums, ein hohes Erfolgserleben und eine mittlere wahrgenommene soziale Unterstützung kennzeichnend.

Tabelle 1: Mittelwerte und Streuungen sowie F-Test der Dimensionen des AVEM-44 nach Clusterzugehörigkeit.

Mittelwerte und Streuungen sowie F-Test der Dimensionen des AVEM-44 nach Clusterzugehörigkeit.

Demnach lassen diese Ausprägungen insgesamt auf ein hohes Arbeitsengagement, eine stark ausgeprägte Widerstandskraft und ein stark positives Lebensgefühl der befragten Studierenden, die zum ersten Cluster gehören, schließen. Dieses Muster weist starke Parallelen zu dem von Schaarschmidt und Fischer (2008) beschriebenen Muster G auf, welches ebenfalls durch Arbeitsengagement, Widerstandskraft, ein hoch ausgeprägtes positives Lebensgefühl und Distanzierungsfähigkeit gekennzeichnet ist.

Personen, die zum zweiten Cluster gehören, verfügen über eine sehr niedrige Distanzierungsfähigkeit, eine sehr hohe Resignationstendenz, ein hohes Perfektionsstreben, eine hohe Verausgabungsbereitschaft, eine sehr niedrig ausgeprägte offensive Problembewältigung, eine sehr niedrige innere Ruhe und Ausgeglichenheit, eine hohe Lebensunzufriedenheit, einen mittleren studiumsbezogenen Ehrgeiz, eine hohe subjektive Bedeutsamkeit des Studiums, ein niedriges Erfolgserleben und ein niedriges Erleben sozialer Unterstützung. Obwohl nur ein mittlerer studiumsbezogener Ehrgeiz vorhanden ist, ist bei diesem Cluster das Arbeitsengagement insgesamt hoch. Die Widerstandskraft und das allgemeine Lebensgefühl sind niedrig ausgeprägt. Das von Schaarschmidt und Fischer (2008) gefundene Risikomuster A weist ebenfalls ein übersteigertes Arbeitsengagement der betreffenden Personen in Zusammenhang mit sehr niedrigen Werten im Merkmal Distanzierungsfähigkeit auf. Außerdem sind eine niedrige Widerstandskraft und ein negatives Lebensgefühl sowohl beim zweiten Cluster als auch bei Risikomuster A kennzeichnend, sodass auch hier deutliche Parallelen bestehen.

Das dritte Cluster der vorliegenden Stichprobe von Studierenden ist geprägt von einer sehr hohen Distanzierungsfähigkeit, einer niedrigen Resignationstendenz, einem sehr niedrigen Perfektionsstreben, einer sehr niedrigen Verausgabungsbereitschaft, einer mittleren offensiven Problembewältigung, einer hohen inneren Ruhe und Ausgeglichenheit, einer mittleren bis hohen Lebenszufriedenheit, einem niedrigen studiumsbezogenen Ehrgeiz, einer sehr niedrigen subjektiven Bedeutsamkeit des Studiums, einem niedrigen Erfolgserleben und einem mittleren Erleben sozialer Unterstützung. Alles in allem ist das Arbeitsengagement bei Personen in diesem Cluster sehr niedrig ausgeprägt. Die Widerstandskraft ist insgesamt hoch, obwohl nur eine mittlere offensive Problembewältigung existiert. Das Lebensgefühl ist durchschnittlich ausgeprägt, da diese Personen nur ein niedriges Erfolgserleben aufweisen. Ein sehr niedriges Arbeitsengagement, eine hohe Widerstandskraft, ein positives Lebensgefühl und eine sehr stark ausgeprägte Distanzierungsfähigkeit sind typische Charakteristika von Muster S gemäß Schaarschmidt und Fischer (2008), so dass auch dieses Muster eine weitgehende Entsprechung in unseren Daten findet.

Da in keinem der in dieser Studie gefundenen Cluster ein niedriges Arbeitsengagement mit einer niedrig ausgeprägten Distanzierungsfähigkeit bei zugleich niedrigen Werten in Widerstandskraft und allgemeinem Lebensgefühl einhergeht, konnte für das von Schaarschmidt und Fischer (2008) bei Berufstätigten beobachtete Risikomuster B keine Entsprechung gefunden werden.

Geschlechterverteilung über die drei Muster des Belastungserlebens.
Abbildung 1: Geschlechterverteilung über die drei Muster des Belastungserlebens.

3.3 Unterschiede zwischen den Erlebensmustern bezüglich demografischer Faktoren

Die den drei Clustern zugeordneten Befragten sind hinsichtlich ihres Alters (F < 1) und der bereits studierten Semesterzahl (F(2, 1011) = 2.30, p > .10, ns.) statistisch gleich. Auffällig ist aber, dass sich die Geschlechterzusammensetzung über die Muster hinweg bedeutsam unterscheidet (Χ²(N = 1.014, df = 2) = 26.99, p < .01). Wie Abbildung 1 zu entnehmen ist, finden sich in Risikomuster 2 überproportional viele weibliche, in Muster 1 und vor allem in Muster 3 überproportional viele männliche Studierende.

Dies legt nahe, dass sich männliche und weibliche Befragte auch systematisch in ihren Bewältigungsstrategien sowie in proaktivem Coping, Selbstwirksamkeitserwartung und Kontrollüberzeugung unterscheiden könnten. Tabelle 2 gibt die entsprechenden Mittelwerte, Standardabweichungen und t-Statistiken wieder. Es zeigt sich, dass die männlichen Studierenden in unserer Stichprobe eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung sowie eine stärkere Neigung zu proaktivem Coping aufweisen, die weiblichen Studierenden erreichen in der Nutzung funktionaler Copingstrategien höhere Werte.

Diese genannten Unterschiede sind statistisch bedeutsam, also nicht auf Stichprobenfehler zurückzuführen, sondern mit hoher Sicherheit auch in der Gesamtpopulation nachweisbar. Es muss dennoch darauf hingewiesen werden, dass Unterschiede in der Größenordnung von einem Zehntel Skalenpunkt auf einer vier- oder fünfstufigen Skala ausgesprochen klein und damit nur von eingeschränkter praktischer Bedeutsamkeit sind. In den übrigen hier erfassten psychologischen Faktoren, die das Belastungserleben beeinflussen könnten, finden sich keine signifikanten Geschlechtsunterschiede.

3.4 Unterschiede zwischen den Erlebensmustern bezüglich psychologischer Faktoren

Im folgenden Schritt der Untersuchung wurden weitere Merkmale der Studierenden in Abhängigkeit von der Musterzugehörigkeit analysiert. Die Muster des studiumbezogenen Verhaltens und Erlebens wurden hinsichtlich Selbstwirksamkeitserwartung, internaler Kontrollüberzeugung, proaktivem Coping und in der Anwendung von funktionalen und dysfunktionalen Bewältigungsstrategien varianzanalytisch miteinander verglichen. In der folgenden Abbildung 2 werden die Profile veranschaulicht.

Tabelle 2: Mittelwerte, Standardabweichungen und t-Statistiken der psychologischen Einflussfaktoren nach Geschlecht.

Mittelwerte, Standardabweichungen und t-Statistiken der psychologischen Einflussfaktoren nach Geschlecht.

Mittelwerte der psychologischen Faktoren in Abhängigkeit vom Erlebensmuster.
Abbildung 2: Mittelwerte der psychologischen Faktoren in Abhängigkeit vom Erlebensmuster.

Zu Abbildung 2 ist anzumerken, dass die Skalen von Selbstwirksamkeit und internaler Kontrollüberzeugung den Maximalwert fünf aufweisen, die Skalen vom proaktivem Coping, der funktionalen Strategien und der dysfunktionalen Strategien jedoch lediglich höchstens den Wert vier annehmen können. Die Abbildung zeigt, dass Studierende mit Risikomuster 2 im Durchschnitt eine geringere Selbstwirksamkeitserwartung aufweisen (M = 3.60, SD = 0.66), als Studierende mit Muster 1 (M = 4.11, SD = 0.48) oder Muster 3 (M = 3.84, SD = 0.56). Studierende mit Muster 1 erzielen wiederum höhere Werte als Studierende des Musters 2. Es ergibt sich insgesamt ein signifikanter Effekt des Faktors „Musterzuordnung“ auf die jeweiligen Ausprägung der Selbstwirksamkeit, F(2, 1011) = 58.45, p < .001, eta² = .10, und alle paarweisen Kontraste erweisen sich im Scheffé-Test als signifikant (alle p < .01).

Es zeigt sich die geringste Ausprägung an internaler Kontrollüberzeugung bei Studierenden des Risikomusters 2 (M = 3.65, SD = 0.66). Auch Muster 3 kennzeichnet eine niedrigere internale Kontrollüberzeugung (M = 3.95, SD = 0.53) als Muster 1 (M = 4.19, SD = 0.47). Dieser Effekt ist statistisch signifikant, F(2, 1011) = 72.83, p < .001, eta² = .13, ebenso wie alle drei paarweisen post-hoc-Tests (Scheffé-Test alle p < .01). Das höchste Ausmaß an proaktivem Coping zeigt sich durchschnittlich bei den Muster 1 zugeordneten Befragten (M = 3.17, SD = 0.31). Dieser Wert ist jeweils signifikant höher als die Ausprägungen in Muster 2 (M = 2.77, SD = 0.35) und 3 (M = 2.81, SD = 0.38; F(2, 1010) = 112.98, p < .001, eta² = .18), die sich laut Scheffé-Test nicht bedeutsam voneinander unterscheiden (p = .19, ns.).

Auch bezüglich der Anwendung funktionaler Strategien unterscheiden sich die Muster signifikant voneinander (F(2, 1011) = 20.55, p < .001, eta² = .04). Muster 1 (M = 2.77, SD = 0.42) und Muster 3 (M = 2.64, SD = 0.39) zeigen jeweils höhere Ausprägungen, als das Risikomuster 2 (M = 2.57, SD = 0.41). Laut post-hoc-Test sind jedoch nur marginal signifikante Unterschiede (p = .05) festzustellen.
Als letztes Merkmal wird die Anwendung dysfunktionaler Bewältigungsstrategien im Vergleich über die Muster des Belastungserlebens betrachtet. Wie in Abbildung 2 dargestellt, wenden Studierende, die ein Risikomuster im studiumsbezogenen Verhalten und Erleben aufweisen, öfter dysfunktionale Strategien an (M = 2.02, SD = 0.36) als Studierende mit Muster 1 (M = 1.75, SD = 0.34) oder Muster 2 (M = 1.80, SD = 0.32). Dieser Effekt ist signifikant, F(2, 1011) = 60.15, p < .001, eta² = .11, wobei sich dem Scheffé-Test zufolge lediglich das Risikomuster 2 bedeutsam von den übrigen beiden unterscheidet (beide p < .01), Studierende mit Muster 1 und 3 jedoch dysfunktionale Strategien in vergleichbarem Ausmaß anwenden (p = .17, ns.).

Abschließend ist zu dieser Profilanalyse der Erlebensmuster zu sagen, dass die Unterschiede zwar stimmig und gut interpretierbar sind, die Effektstärken jedoch nicht extrem hoch ausfallen. Bei einer so umfangreichen Stichprobe werden bereits relativ kleine Unterschiede statistisch bedeutsam, ohne dass hiermit zwangsläufig eine praktische Bedeutsamkeit einhergeht. Auf diesen Punkt kommen wir in der abschließenden Diskussion zurück.

3.5 Zusammenhänge zwischen den psychologischen Faktoren

Um zu prüfen, ob sich die Zugehörigkeit zu einem der Belastungsmuster als dreistufiger Kriteriumsvariable letztlich aus den hier erfassten sechs Prädiktoren vorhersagen lässt, bietet sich grundsätzlich eine multinomiale logistische Regression an. Im Vergleich zur multiplen linearen Regression für intervallskalierte Kriteriumsvariablen ist jedoch das Problem interkorrelierter Prädiktorvariablen hier ungleich gravierender: „If you have identified collinearity, then, unfortunately, there’s not much that you can do about it.[…]. The safest (although unsatisfactory) remedy is to ackknowledge the unreliability of the model“ (Field, Miles & Field, 2012, p. 344).

Da die Anwendung von funktionalen und dysfunktionalen Strategien, proaktives Coping, Selbstwirksamkeit und internale Kontrollüberzeugung nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch stark miteinander zusammenhängen, sind die Voraussetzungen für eine adäquate Regressionsanalyse im vorliegenden Datensatz nicht erfüllt. Tabelle 3 zeigt die Korrelationen zwischen den genannten Variablen. Es wird deutlich, dass die Nutzung von als funktional klassifizierten Copingstrategien mit erhöhtem proaktiven Coping, höherer Selbstwirksamkeit und höheren Werten in internaler Kontrolle einhergeht. Die Nutzung dysfunktionaler Bewältigungsstrategien ist mit den genannten Faktoren jeweils signifikant negativ korreliert. Weiterhin sind die Korrelationen zwischen proaktivem Coping, Selbstwirksamkeit und interner Kontrollüberzeugung nicht nur statistisch signifikant, sondern mit Koeffizienten zwischen .39 und .54 als mittel bis stark zu bezeichnen. Offenbar gibt es zwischen diesen Konstrukten substanzielle psychologische Überlappungen.

Tabelle 3: Interkorrelationen der psychologischen Einflussfaktoren.

Interkorrelationen der psychologischen Einflussfaktoren.

4 Diskussion

Ziel der vorliegenden Studie war es, an einer vergleichsweise umfangreichen – wenn auch sicher nicht repräsentativen – Stichprobe von Studierenden unterschiedlicher Hochschulen zu erfassen, wie diese studiumsbezogene Belastungen erleben und welche Zusammenhänge sich zu funktionalen und dysfunktionalen Bewältigungsstrategien, proaktivem Coping, Selbstwirksamkeitserwartung, Kontrollüberzeugung und demografischen Variablen finden lassen. Es zeigte sich, dass die Befragten anhand einer Two-Step-Clusteranalyse über die elf Dimensionen des AVEM-44 von Schaarschmidt und Fischer (2008) drei klar unterscheidbaren Typen des Belastungserlebens zugeordnet werden können:

Studierende mit Muster 1 weisen ein hohes Arbeitsengagement, eine stark ausgeprägte Widerstandskraft und ein klar positiv ausgeprägtes Lebensgefühl auf. Bei der Anwendung von proaktivem Coping, wie auch von funktionalen Strategien, erzielen sie im Mustervergleich den höchsten Wert und zugleich den niedrigsten Wert bei der Anwendung dysfunktionaler Strategien. Weiterhin wurden bei ihnen die höchsten Werte in Selbstwirksamkeit und internaler Kontrollüberzeugung im Vergleich zu den beiden anderen Mustern gemessen. Die Ähnlichkeit zu dem von Schaarschmidt und Fischer (2008) identifizierten Muster G untermauert den gesundheitsförderlichen Charakter dieses Musters ebenso wie die Tatsache, dass sich in Hinblick auf Selbstwirksamkeit, internale Kontrollüberzeugung und proaktives Coping in diesem Cluster die höchsten Werte finden lassen. Dass Studierende mit diesem Muster durchschnittlich am häufigsten auf die als funktional klassifizierten, und am wenigsten auf dysfunktionale Strategien zurückgreifen, ist zudem ein weiterer Anhaltspunkt für die stimmige Klassifizierung der Bewältigungsstrategien in der vorliegenden Untersuchung.

Insgesamt ergibt sich für Muster 1 das Bild des motivierten und engagierten Studierenden, dem es durch proaktive und funktionale Copingstrategien sowie hohe Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeitserwartungen gelingt, seinem Ehrgeiz und der subjektiven Bedeutsamkeit des Studiums zielstrebig gerecht zu werden und somit – nicht zuletzt dank einer gesunden Distanzierungsfähigkeit – auch Erfolg und Lebenszufriedenheit zu erfahren.

Die Studierenden des als Risikomuster eingestuften Musters 2 hingegen charakterisiert ein hohes Arbeitsengagement bei zugleich niedrigen Werten in den Merkmalen Distanzierungsfähigkeit, Widerstandskraft und positivem Lebensgefühl. Das von Schaarschmidt und Fischer (2008) berichtete Risikomuster A, das dem hier identifizierten Muster 2 sehr ähnlich ist, wird als nicht gesundheitsförderlich angesehen. Dem beschriebenen Muster zugeordnete Probanden weisen im Vergleich zu den anderen beiden Mustern die geringsten Werte in Selbstwirksamkeit und internaler Kontrollüberzeugung auf. Studierende mit diesem Risikomuster bewältigten dennoch im Mittel geringfügig proaktiver als Studierende mit Musters 3. Es werden im Vergleich am wenigsten funktionale Strategien und am meisten dysfunktionale Strategien zur Bewältigung von Belastungen angewendet, was erneut die Klassifikation der Strategien in funktional und dysfunktional bekräftigt. Insgesamt ergibt sich hier das Bild eines Studierenden, der viel Energie und Engagement investiert, dabei aber vor allem Gefahr läuft, sich aufzureiben, da der erwünschte Erfolg ausbleibt. Geringe Resilienz, dysfunktionale Bewältigungsstrategien sowie geringe Selbstwirksamkeitserwartungen und Kontrollüberzeugungen können dabei weiter zur Entstehung eines ungünstigen und gesundheitsschädlichen Teufelskreises aus Anstrengung und Unzufriedenheit mit deren Resultaten beitragen.

Die Studierenden des dritten Clusters weisen demgegenüber ein niedriges Arbeitsengagement, eine sehr hohe Distanzierungsfähigkeit, hohe Widerstandskraft und ein mittleres bis hohes Lebensgefühl auf. Damit sind deutliche Parallelen zu Schaarschmidts und Fischers (2008) Muster S erkennbar, einem von Schonung geprägten Erleben und Verhalten angesichts von Belastungen. Selbstwirksamkeit und internale Kontrollüberzeugung sind bei Personen mit diesem Muster schwächer ausgeprägt als bei Muster 1, aber stärker als bei Risikomuster 2. Bei Muster 3 besteht das geringste Ausmaß an proaktivem Coping. Es werden zwar durchschnittlich weniger funktionale Strategien angewendet als von den Studierenden des ersten Clusters, aber mehr als bei Risikomuster 2. Ebenso wird weniger häufig auf dysfunktionale Strategien zurückgegriffen als bei Risikomuster 2, aber häufiger als bei Muster 1. Hier ergibt sich in der Zusammenschau das Bild eines deutlich weniger ehrgeizigen, damit aber eben auch entspannteren Studierenden, der seine Prioritäten möglicherweise in Lebensbereichen außerhalb des Studiums setzt. Es wirkt, als sei es hier nicht so sehr das effektive Meistern von Herausforderungen (wie bei Muster 1) sondern ein mutmaßlich geringeres Anspruchsniveau, das sich zwar möglicherweise nicht auf den Studienerfolg, jedoch auf die Gesundheit und die allgemeine Lebenszufriedenheit günstig auswirkt.

Insgesamt erscheinen die clusteranalytisch ermittelten Muster stimmig interpretierbar, weisen starke Ähnlichkeit zu den Mustern des arbeitsbezogenen Belastungserlebens auf (Schaarschmidt & Fischer, 2008) und bestätigen darüber hinaus die faktorenanalytische Klassifikation der mit dem Brief-COPE erfassten Bewältigungsstrategien als funktional und dysfunktional. Der Befund, dass Selbstwirksamkeitserwartungen eng mit Leistungsvermögen wie auch mit gesundem Belastungserleben zusammenhängen, fügt sich nahtlos in die einschlägige Befundlage ein (Bandura, 1993; Schwarzer, 2004).

Bevor wir die praktischen Implikationen der Ergebnisse ausloten, sollen die Grenzen der vorliegenden Studie aufgezeigt werden. Auffällig ist zunächst, dass das Geschlechterverhältnis in der Stichprobe nicht ausbalanciert ist – der Anteil der weiblichen Befragungsteilnehmer ist mehr als doppelt so hoch wie der der männlichen. Es fanden sich einige signifikante, wenn auch in der Effektstärke kleine Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Studierenden sowohl im Belastungserleben als auch in den psychologischen Einflussfaktoren, die sich mit der bisherigen Befundlage decken (Howerton & Van Gundy, 2009). Bei der hier verwendeten Form der Rekrutierung von Probanden ist eine Quotenstichprobe schwer zu realisieren, und es wird häufig beobachtet, dass Frauen eher bereit sind, an empirischen Untersuchungen teilzunehmen als Männer (Bortz & Döring, 2005). Weiterhin ist mit 21 % ein überproportional hoher Anteil der Teilnehmer an einer privaten Hochschule immatrikuliert. Auch wenn mutmaßlich jeder Studierende im Jahr 2012 grundsätzlich als regelmäßiger Internetnutzer gelten kann, ist schließlich die Rekrutierung der Befragungsteilnehmer über soziale Netzwerke wie auch die Durchführung als Onlinebefragung insofern nicht unproblematisch, als möglicherweise die Subgruppe der weniger internetaffinen Studierenden unterrepräsentiert ist. Zudem sind die Umstände der Bearbeitung des Fragebogens nicht kontrollierbar. In der Summe schränken diese Besonderheiten der hier untersuchten Stichprobe die Generalisierbarkeit der Ergebnisse auf die Gesamtpopulation der Studierenden ein. Dennoch sind sie selbstverständlich in sich interpretierbar und können einen Ausgangspunkt für weiterführende Untersuchungen darstellen.

Eine unserer Auffassung nach bedeutsamere Grenze der vorliegenden Studie besteht darin, dass lediglich Aussagen über Zusammenhänge und Gruppenunterschiede, nicht jedoch über Kausaleinflüsse getroffen werden können. Um zu überprüfen, ob funktionale Bewältigungsstrategien, proaktives Coping, Selbstwirksamkeits- und Kontrollerwartungen tatsächlich ursächlich einen positiven Einfluss auf ein „gesundes“ Belastungserleben nehmen, wäre es erforderlich, diese Faktoren und ihre Interkorrelationen an einer Stichprobe über einen längeren Zeitraum hinweg wiederholt zu erfassen. In einer entsprechenden Längsschnittstudie könnten Anhaltspunkte für die Entwicklung von günstigen kognitiven Überzeugungen und Bewältigungsstrategien und durch die Nutzung von Cross-Lagged-Pannel-Designs (Kenny, 1975) Erkenntnisse über deren mögliche Kausalwirkungen auf den Umgang mit Belastungen gewonnen werden.

Ein klassisches, scheinbar intuitives Kausalverständnisses legt nahe, eigenschaftsähnlichen Variablen (wie Wahrnehmungs- und Bewältigungsstilen) durch ihre a priori-Anmutung eher die Rolle der Ursache zuzuschreiben, dem Erleben von Situationen eher die der Konsequenz. Umgekehrt ist es jedoch ebenso gut möglich, dass sich die Art des Belastungserlebens beispielsweise bei Studierenden, die unserem engagiert-erfolgreichen Muster 1 angehören, wiederum förderlich auf Selbstwirksamkeitserwartungen und internale Kontrollüberzeugungen auswirkt und für die Zukunft proaktives Coping anregt sowie funktionale Bewältigungsstrategien erleichtert. Analog könnte das mit gesundheitlichen Risiken behaftete Belastungserleben des Musters 2, also die wiederholte subjektive Erfahrung von hoher Anstrengung gekoppelt mit Misserfolg, in der Folge die wahrgenommene Selbstwirksamkeit und internale Kontrollüberzeugung senken und in künftigen ähnlichen Situationen proaktives und funktionales Bewältigungshandeln hemmen. Mutmaßlich liegt innerhalb dieses Variablengefüges insgesamt, wie so oft, eine systemisch-wechselseitige Beeinflussung vor, die durch Rückkopplungsprozesse sowohl eine günstige als auch eine ungünstige selbstverstärkende Dynamik entwickeln kann.

Neben längsschnittlichen Forschungsdesigns stellen kontrollierte experimentelle oder quasi-experimentelle Untersuchungen eine gute Möglichkeit dar, Kausalzusammenhänge zu prüfen. Die gezielte Manipulation potenzieller unabhängiger Variablen testet zugleich, ob diese praktisches Potenzial für präventive oder intervenierende Maßnahmen im Umgang mit Stress aufweisen. Auch wenn frühe autobiografische Erfahrungen bei der Entstehung von Selbstwirksamkeit und Kontrollerleben mutmaßlich eine prägende Rolle spielen, wissen wir, dass sie über die Lebensspanne veränderbar und trainierbar sind (Bandura, 1993).

Ähnliches gilt für die Entwicklung von funktionalen Bewältigungsstilen sowie dem kognitiven Umstrukturieren von anstehenden Belastungen als „Herausforderung“ im Sinne eines proaktiven Copings, wie sie häufig einen wesentlichen Bestandteil von Beratung und Psychotherapie darstellen (Grawe, 2000). In Folgestudien könnten daher gezielt nicht nur weitere Korrelate von Belastungserleben erfasst, sondern vor allem Präventions- und Interventionsmöglichkeiten evaluiert werden, die bei den hier aufgezeigten Faktoren ansetzen und diese in günstiger Weise zu beeinflussen versuchen. Befunde und Programme zur Förderung von internalem Kontrollerleben und Selbstwirksamkeit im Umgang mit chronischen Krankheiten könnten hier erste Impulse liefern (Clark, Gong, & Kaciroti, 2001; Senécal, Nouwen, & White, 2000).

Weitere Perspektiven ergeben sich, wenn man sich vor Augen führt, dass das hier gefundene Muster 3 des Belastungserlebens ebenfalls als „gesund“ einzustufen ist. Wesentliche Unterschiede zu Muster 1 fanden sich im Arbeitsengagement, Ehrgeiz und der subjektiven Bedeutsamkeit des Studiums. Das Erfolgserleben ist vergleichsweise gering, die Werte in innerer Ruhe und Zufriedenheit jedoch in einem guten Bereich, entsprechend dem von Schaarschmidt und Fischer (2008) gewählten Begriff der Schonung.

Stress und Stresserleben sind subjektiv und sehr individuell empfunden, sie resultieren nach Lazarus (1977, 1996) aus der Bewertung äußerer Beanspruchungen und der Bilanz, die sich aus dem Verhältnis zu den persönlichen Ressourcen ergibt.

Eine populäre, oben aufgegriffene Intervention besteht darin, belasteten Personen zusätzliche Ressourcen mit an die Hand zu geben, die ihnen helfen sollen, möglichst viele Anforderungen möglichst erfolgreich zu bewältigen. Es kann jedoch vielleicht auch vorsichtig gefragt werden, ob es das alleinige Ziel von Interventionsmaßnahmen sein muss, Studierende und Arbeitnehmer immer widerstands- und leistungsfähiger zu „machen“. Irgendwann stößt hier vermutlich auch ein hoch leistungsmotivierter, hoch selbstwirksamkeitsüberzeugter und proaktiver handelnder Mensch an seine Grenzen. Spätestens dann sollte im Rahmen der Stressforschung wie auch beim einzelnen Betroffenen bewusst bleiben, dass Lazarus‘ Modell nicht nur auf Seiten der persönlichen Ressourcen, sondern auch auf Seiten der Anforderungen Spielraum enthält, die Bilanz wieder in eine gesunde Balance zu bringen: Wem der Erfolg es lohnt, der wird – wie unsere Befragungsteilnehmer in Cluster 1 – ein glücklicher Leistungsträger. Wem der Erfolg ausbleibt, kann sich immer weiter aufreiben und daran psychisch leiden – wie unsere Befragungsteilnehmer in Cluster 2 – oder aber – wie unsere Cluster 3 zugeordneten Teilnehmer – für sich entscheiden, den Anforderungen weniger Bedeutung beizumessen, ihnen mit etwas mehr Gelassenheit zu begegnen und vielleicht weniger erfolgreich, dafür aber gesünder und entspannter zu studieren und zu leben.

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Korrespondenzadresse:

Bettina Frost
Seerandweg 21
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Ausgebrannte Studierende: Burnout-Gefährdung nach dem Bologna-Prozess

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1 Einleitung

Leben und Arbeiten in der modernen Gesellschaft ist durch Schnelllebigkeit, Perfektionsstreben und Wettbewerb geprägt: Wer den hohen Standards der Wirtschaft und Gesellschaft nicht entspricht, droht auf der Strecke zu bleiben. So entsteht ein enormer Druck, den bereits junge Menschen spüren und der offenbar immer häufiger in psychischer und/oder physischer Krankheit endet (z. B. Schultz, 2007; Techniker Krankenkasse, 2011).

Burnout, so lautet die derzeit häufig von Ärzten vergebene „Diagnose“1 des Ausgebrannt-Seins, wenn man den hohen Anforderungen nicht mehr gerecht werden kann, die die Umwelt oder auch die eigene Person an sich selbst stellt. Bereits Studierende2 müssen sich offenbar immer größeren Herausforderungen stellen, die zunehmend mit hohen Belastungen verbunden sind.

Gerade nach der Umsetzung des neuen Studiensystems, des sogenannten Bologna-Prozesses, scheinen sich viele Studenten überfordert zu fühlen: Immer mehr Studenten leiden unter Burnout (Schultz, 2007), Burnout bei Studenten: Absturz der Überflieger (Wöhrle, 2011), Total ausgebrannt: Burn-out erreicht Unis (Schwarz, 2009),

Ausgebrannte Studenten: Lost in Perfection (Trenkamp, 2011), etc. – die Liste der aktuellen Schlagzeilen und Studien ist lang. Gegenstimmen allerdings warnen vor zu eiligen Diagnosen und vor einer Verallgemeinerung starken Stressempfindens zum Phänomen Burnout, gerade bei Studenten. Viele sehen in dem Begriff Burnout lediglich eine „Stress-als-Lifestyle-Anmutung“ (Meckel, 2011, S. 36) – ein Modewort, das „zum erfolgreichen Berufsleben [gehört] wie das Eigenheim zur Vorbildfamilie“ (Meckel, 2011, S. 36). Hierbei stellt sich die Frage, wo die Grenzen zu einer Erkrankung zu ziehen sind. Konsens scheint zu sein, dass Burnout – wie auch die Depression – mit einer emotionalen Erschöpfung beginnt (Burisch, 2006). Hier soll im Rahmen der vorliegenden Studie angesetzt werden.

Wie gestaltet sich die Situation bei Studierenden? In welchem Maße sind Studenten erschöpft, und warum sind es die einen mehr als die anderen? Welche Rolle spielt der Bologna-Prozess? Gibt es Wege, dem Stress zu entkommen und ihn zu bewältigen? Welche Strategien lassen sich einsetzen, um emotionaler Erschöpfung etwas entgegen zu setzen? – Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurde im Zuge einer Bachelorarbeit an der Hochschule Fresenius in Hamburg eine Untersuchung zur emotionalen Erschöpfung bei Studierenden durchgeführt, deren Kernergebnisse im Folgenden genauer erläutert werden.

2 Stress und Burnout

Da sich die vorliegende Studie mit dem Phänomen Burnout beschäftigt, soll der Begriff zunächst in den Bereich der Stressforschung eingeordnet werden. Es lassen sich in der Forschung zahlreiche, in Teilen überlappende Stressmodelle und -konzepte finden, so dass man mit Udris und Frese bereits 1988 sagen konnte: „Die Verarbeitung der immensen Literatur stellt für den Stressforscher selbst vielfach Stress dar“ (S. 442).

Folgt man Semmer (1999), der das Konzept des Ungleichgewichts als kleinsten gemeinsamen Nenner betrachtet, lässt sich als Stress die Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis bzw. einen Reiz beschreiben, durch welche der Organismus aus seinem Gleichgewicht gebracht oder zumindest stark beansprucht werden kann (vgl. Zimbardo & Gerrig, 2008). Das Individuum befindet sich demnach in einem Zustand, in dem es „die Erfordernisse der Situation als schwierig wahrnimmt oder denkt, dass diese Erfordernisse die eigenen Ressourcen übersteigen und das Wohlergehen bedrohen“ (Jonas, Stroebe & Hewstone, 2007, S. 607). Da sich die individuelle Wahrnehmung der Menschen in der Regel aber nicht als objektiv gegeben bezeichnen lässt, entsteht Stress nach kognitiven Stresstheorien „durch Verarbeitung und Bewertung von Situationen innerhalb einer Person“ (Eppel, 2007, S. 18).

Reize und Ereignisse, die das Individuum in seiner ursprünglichen Balance stören können, bezeichnet man als Stressoren. Externe Stressoren sind dabei Bedingungen, die durch die Außenwelt gegeben werden, interne Stressoren bestehen aus „Gedanken oder Gefühlen oder komplexen inneren Zuständen“ (Erdmann & Janke, 2008, S. 21). Stressoren müssen dabei nicht immer negativer Art sein, sondern können positiv sein: Eine Hochzeit z. B. kann ein enormes Stressereignis darstellen, da sie ein gewisses Maß an Anpassung erfordert (Davison, Neale & Hautzinger, 2007). Zu den Reaktionen, die durch Stressoren hervorgerufen werden können, zählen beispielsweise Nervosität, höhere Reizbarkeit, Erschöpfung oder auch Schlafstörungen (Eppel, 2007).

Kognitive und interaktionale Modelle wie das bekannte Modell von Lazarus (1999, Lazarus & Folkmann, 1984) können auch interindividuelle Unterschiede erklären, indem besonders die kognitiven Vermittlungsprozesse in den Blick geraten. Lazarus unterscheidet hierbei verschiedene Bewertungsprozesse. Zunächst wird dabei die aktuelle Situation (z.B. eine Klausur, die geschrieben werden muss) daraufhin beurteilt, ob sie potenziell gleichgewichtsstörend erscheint. Sollte das Ergebnis dieser sog. „primary appraisal“ zu einer Bedrohlichkeitseinschätzung führen (z. B. „Bei diesem Fach könnte ich durchfallen.“), so wird in einem zweiten Schritt eingeschätzt, ob genügend Ressourcen wie etwa Zeit und entsprechende Fähigkeiten vorhanden sind („secondary appraisal“). Hieraufhin wird die Situation erneut eingeordnet und geprüft. Zum Modell gehören auch unterschiedlich hilfreiche Bewältigungsstrategien, auf die in Abschnitt 2.4 näher eingegangen wird. Um die Vielzahl verschiedener kognitiver Modelle zu integrieren, legt beispielsweise Schuler (1985) eine umfängliche prozessorientierte Variablenheuristik vor.

2.1 Burnout als Erkrankung?

Besonders in den letzten Jahren wurde nun der Begriff Burnout (Engl. ausgebrannt) häufig verwendet, sodass sich annehmen ließe, Burnout sei aus gegenwärtig bestehenden wirtschaftlichen, sozialen oder auch gesellschaftlichen Verhältnissen heraus entstanden. Das Phänomen selbst ist alt, bereits im Alten Testament sind Beschreibungen von „Burnout“ (Elias, Moses) zu finden (Burisch, 2006, S. 4). Den Begriff hat jedoch der Psychoanalytiker Freudenberger Mitte der 1970er Jahre eingeführt, um damit gesundheitliche Folgen beruflicher Überlastung vor allem im sozialen Bereich zu bezeichnen, ohne dass bereits eine Krankheit vorliegt (Freudenberger, 1974).

Einheitlich verbindliche Diagnosekriterien liegen bis heute nicht vor (Korczak, Kister & Huber, 2010). In der zehnten International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10, Dilling, Mombour & Schmidt, 1999) ist Burnout lediglich als Zusatzdiagnose (Z73.0 Chronischer Erschöpfungszustand) aufgeführt, sodass oftmals die Diagnose Depression (F32.X, z. B. F32.1 mittelgradige Episode), Angst und Depression (F41.2) gemischt oder Anpassungsstörung (F43.2) vergeben wird.

Nach Sozialpsychologen wie Maslach und ihren Kollegen ist Burnout „ein dauerhafter, negativer arbeitsbezogener Seelenzustand“, welcher „in erster Linie von Erschöpfung gekennzeichnet [...] ist, begleitet von Unruhe und Anspannung [...], einem Gefühl verringerter Effektivität, gesunkener Motivation und der Entwicklung dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit“ (Schaufeli & Enzmann, 1998, S. 36). Ungünstige Bewältigungsstrategien trügen dazu bei, dass sich Burnout oft selbst aufrechterhält. Das Team um Maslach führte auch die einschlägige Unterteilung in die drei Dimensionen „emotionale Erschöpfung“, „Distanzierung von der Arbeit“ und „verringerte Arbeitsleistung“ ein (Maslach, Leiter & Schaufeli, 2009). Ähnlich diesen drei Dimensionen werden in der ICD-10 depressive Stimmung, Verlust von Freude und Interesse- und Antriebsminderung als Hauptsymptome einer depressiven Störung benannt.

Burisch (2006) erweitert die aufgeführte Definition durch zwei weitere wichtige Punkte. Zum einen betont er, dass Burnout nicht direkt als „Zustand [...] über Nacht kommt“ (Burisch, 2006, S. 19), sondern vielmehr als ein Prozess anzusehen ist, der sich relativ langsam entwickeln kann. Zum anderen führt er auf, dass Burnout zwar in erster Linie bei berufstätigen Personen diagnostiziert wird, sich aber ebenso bei anderweitig beschäftigten Menschen, wie bei Schülern oder Studenten, Arbeitslosen oder arbeitssuchenden Menschen beobachten lässt (Burisch, 2006).

Aufgrund des Prozessgedankens haben sich zahlreiche Stufenmodelle entwickelt. Unter anderem Edelwich und Brodsky (1980), Freudenberger und Richelson (1983) und auch Pines und Maslach (1978) sind der Meinung, dass Symptome in einer gewissen Reihenfolge auftreten, die sich in Symptomkategorien zusammenfassen lassen. Diese werden auch als Phasentheorien beschrieben (Burisch, 2006).

Einschlägig bekannt ist die Phasentheorie nach Maslach, die mittels des Maslach Burnout Inventorys (Maslach & Jackson, 1981) messbar gemacht wurde. Auch wenn die Konstruktvalidität des Fragebogens umstritten ist (Überschneidungen mit Messinstrumenten für Arbeitszufriedenheit oder auch depressiven Verstimmungen sind dokumentiert), wurde das Maslach Burnout Inventory (MBI) bereits bei fast 90% aller bis 2006 veröffentlichten Studien in Bezug auf Burnout angewandt (Burisch, 2006).

2.2 Ursachen von Burnout

Die Frage, wie Burnout zu Stande kommt, welche Ursachen und Umstände es begünstigen, führt zu komplexen Bedingungsmodellen. Schaufeli und Enzmann (1998) geben an, das Syndrom entstehe „aus einer Fehlanpassung von Intentionen und Berufsrealität“ (Schaufeli & Enzmann, 1998, S. 36). Dies würde bedeuten, dass sich ein Burnout entwickeln würde, sobald die individuellen Bestrebungen und Zielvorstellungen einer Person im Job oder in einer anderen Beschäftigung nicht erfüllt oder auch kontrolliert werden können, bzw. kurz gesagt, einfach nicht übereinstimmen.

Betrachtet man weitere Untersuchungen, spielen auch personelle Faktoren bei der Entstehung von Burnout eine Rolle, sodass vor allem Personen betroffen sein können, die zu Beginn ihrer Tätigkeit „besonders begeisterungsfähig und idealistisch“ (Nawrath, 2005, S. 91) gewesen sind. Auch bereits bestehende Krankheiten, wie Depressionen, können Ursprung für das Syndrom sein (Schneglberger, 2010).

Zusammenfassend soll anhand der bereits genannten Literatur festgehalten werden, dass die Ursachen für das Burnout-Syndrom vielfältig sind. Hierzu zählen demnach sowohl arbeits- und berufsbedingte Faktoren, wie z. B. die Anforderungen und das Stresslevel der Beschäftigung, als auch persönliche Faktoren des Individuums, wie hoher Ehrgeiz, Anspruch oder Idealismus (u. a. Nawrath, 2005). Aber auch körperliche oder psychische Faktoren können relevant sein ebenso wie Faktoren aus dem Privatleben (u. a. Schneglberger, 2010). Übersichtlich lassen sich die Faktoren in einem sogenannten Ursachenkomplex darstellen (vgl. Abbildung 1).

Die Gefahr, ein Burnout zu entwickeln, entsteht allerdings erst dann, „wenn [...] eigene Bedürfnisse und Grenzen vernachlässigt, langfristig übergangen, ignoriert oder gar nicht mehr wahrgenommen werden, [...] eine Tätigkeit ausgeübt wird, die sich nicht in sicheren Grenzen bewegt und für deren Bewältigung die persönlichen und/oder fachlichen Voraussetzungen fehlen [...]“ (Engels, 2010, o.S.). Das Erleben von Burnout ist immer Resultat des Erlebens von Stress, also abhängig von der eigenen Wahrnehmung und Empfindung (Engels, 2010).

Ursachenkomplex des <i>Burnout-Syndroms</i> (eigene Darstellung in Anlehnung an Nawrath, 2005, S. 91, und Schneglberger, 2010, S. 40 ff.).” width=”385″ height=”253″ class=”alignnone size-full wp-image-1803″ /><br />
<strong style=Abbildung 1: Ursachenkomplex des Burnout-Syndroms (eigene Darstellung in Anlehnung an Nawrath, 2005, S. 91, und Schneglberger, 2010, S. 40 ff.).

2.3 Emotionale Erschöpfung

Unter emotionaler Erschöpfung lässt sich, wie bereits erwähnt, die erste Stufe eines Burnout-Prozesses verstehen. Gusy, Drewes, Fischer und Lohmann (2009) sprechen im Zusammenhang mit emotionaler Erschöpfung auch von dem Leitsymptom des Burnout-Syndroms, da es den Prozess von Anfang an prägt und ausschlaggebend für den weiteren Verlauf ist (Gusy et al., 2009). Gemäß Maslach und Jackson (1981) reicht in der Phase der emotionalen Erschöpfung allein der Gedanke an die Arbeit aus, um sich ermüdet und erschöpft zu fühlen. Zudem kann der emotionalen Erschöpfung eine psychische Erschöpfung angerechnet werden, die Schlafstörungen hervorruft und das Immunsystem schwächt, sodass eine höhere Anfälligkeit für Erkrankungen wie z. B. Erkältungen oder Kopfschmerzen besteht. Auch erhöhte Reizbarkeit kann als Symptom der emotionalen Erschöpfung festgestellt werden (Burisch, 2006). Diese ersten Anzeichen des eigenen Körpers sollen den Menschen eigentlich warnen und ihn darauf aufmerksam machen, dass er sich ausruhen bzw. seinen derzeitigen Lebensstil verändern sollte (Zimbardo & Gerrig, 2008). Emotionale Erschöpfung resultiert direkt aus einer bereits beschriebenen emotionalen, psychischen oder auch körperlichen Anstrengung und lässt sich so auch als Stress-Dimension betiteln (Schneglberger, 2010).

2.4 Coping

Innerhalb der klinischen Psychologie lassen sich eindeutige Beziehungen zwischen Belastung bzw. Stress und Krankheit finden. Wie im vorherigen Abschnitt bereits festgestellt wurde, kann sich auch eine emotionale Erschöpfung negativ auf das individuelle Wohlbefinden auswirken und Einfluss auf die Gesundheit nehmen. Doch reagiert nicht jeder Mensch gleich auf ähnliche Belastungen. Hierbei besteht die Annahme, dass ausschließlich subjektive Definitionen psychischer Stressoren möglich sind (vgl. z. B. Davison et al., 2007), also eine – mehr oder weniger bewusste – individuelle Entscheidung stattfindet, ob eine Situation in ihrem zeitlichen Zusammenhang als Stress empfunden wird oder nicht. In der Psychologie lassen sich derartige, individuelle Reaktionen auch als Copingstrategien beschreiben (Davison et al., 2007). Unter dem Begriff des Copings versteht man demnach „die Art und Weise, wie Menschen versuchen, ein Problem zu bewältigen oder mit den damit verbundenen Emotionen umzugehen“ (Davison et al., 2007, S. 236).

Nach Lazarus und Folkmann (1984) lassen sich zwei grundlegende Dimensionen des Copings unterscheiden, das problemorientierte und das emotionsorientierte Coping. Das problemorientierte Coping beschreibt direkte Handlungen, durch die Probleme gelöst werden, wie z. B. die direkte Suche nach Informationen. Ein Schüler oder Student würde sich z. B. einen mehrmonatigen Zeit- und Arbeitsplan erstellen, in welchem er seine Lerneinheiten fest regelt. Die stressauslösende Quelle soll direkt angegangen und reduziert werden. Weitere Beispiele für problemorientiertes Coping wären auch Flucht oder Kampf (vgl. Zimbardo & Gerrig, 2008). Das emotionsorientierte Coping hingegen basiert auf denjenigen Anstrengungen, die das Individuum unternimmt, „um die negativen emotionalen Reaktionen auf Stress abzubauen, indem beispielsweise Ablenkung vom Problem, Entspannung oder Unterstützung gesucht wird“ (Davison et al., 2007, S. 236). Es handelt sich um Aktivitäten, die direkt am eigenen Körper (u. a. Einnahme von Medikamenten) oder der eigenen Psyche (z. B. eine geplante Ablenkung oder Fantasien) ansetzen. Der Stressor selbst wird hierbei nicht verändert. Ist ein Problem von vornherein nicht lösbar, können andauernde und fehlschlagende Versuche zu seiner Bewältigung schließlich zur Frustration führen anstatt zur Beruhigung (vgl. Lazarus & Folkmann, 1984).

Hieran schließt sich eine weitere wichtige Differenzierung an: Erfolgreiche Stressverarbeitungsweisen bezeichnen Erdmann und Janke (2008) als adaptiv und führen diesen Begriff auf die Adaption, die Anpassung, zurück. Adaptive Stressverarbeitungsweisen bedeuten demnach, dass das Gleichgewicht, welches zuvor durch äußere oder innere Stressoren verletzt wurde, wieder hergestellt werden kann. Führen Stressverarbeitungsweisen hingegen zu einer Verstärkung oder Verlängerung des Stressgeschehens, sprechen die Autoren von maladaptiven Strategien, es sei denn, „die Energie für lebensnotwendige Handlungen wird [hierdurch] aufrecht erhalten“ (Erdmann & Janke, 2008, S. 56), was somit doch wiederum zu einer adaptiven Lösung führt. Um einen Überblick über die Stressverarbeitungsweisen zu erhalten, werden in der folgenden Abbildung 2 unterschiedliche Arten des Copings am Beispiel des Umgangs mit einer BWL-Prüfung erläutert.

Adaptive und maladaptive Stressverarbeitungsstrategien (Eigene Darstellung).
Abbildung 2: Adaptive und maladaptive Stressverarbeitungsstrategien (Eigene Darstellung).

3 Der Bologna-Prozess

Da die vorliegende Studie Studierende mit ihrem Stressempfinden in den Blick setzt, soll im Folgenden der konkrete Rahmen der Untersuchung näher skizziert werden. Historisch fällt der Blick dabei auf die sogenannte „Bologna-Reform“, deren Entstehung kurz umrissen werden soll.
Mit der Öffnung der Märkte im Rahmen der Globalisierung geht nach wie vor ein zunehmendes Wachstum des Wettbewerbs einher; gut ausgebildete Fachkräfte sind weltweit gefragt, und Bildung wird zu einer der wichtigsten Ressourcen überhaupt (Brändle, 2010). Viele Staaten der Europäischen Union stellten dabei fest, dass es Nachholbedarf auf der eigenen Bildungsebene gibt, besonders innerhalb der eigenen Hochschulsysteme. Es kam zunehmend die Frage auf, „wie Ausbildung geschaffen sein muss, damit sie zur Beschäftigungsfähigkeit […] führt“ (Walter, 2006, S. 190). Denn nicht nur sahen viele Länder die Studienzeit als zu lang an, auch lag die durchschnittliche Studienabbrecher-Quote in Europa vor 1999 noch bei knapp 40 Prozent. International betrachtet galt die damals vorherrschende Vielzahl nationaler Abschlüsse auf dem Arbeitsmarkt als hinderlich, weil z. B. Kenntnisse der Absolventen nicht miteinander vergleichbar waren (Eckhardt, 2005). Haug und Tauch (2001, S.6) formulieren dieser Unübersichtlichkeit entsprechend: „[There are] even more systems than countries“.
Aufgrund dieser Umstände wurden im Bereich der Bildung Veränderungen und Neuerungen gefordert. 1999 folgte der wohl bekannteste Eingriff in das europäische Bildungssystem, der damals ins Leben gerufene „Bologna-Prozess“. Er zielt darauf ab, eine Vereinheitlichung des gesamten Lehr- und Lerngebäudes europaweit umzusetzen, um ein „kohärentes und kompatibles Hochschulsystem zu schaffen, das […] international und global wettbewerbsfähig sein soll“ (Walter, 2006, S. 13), wobei bis zum Jahre 2010 das Hauptziel des Aufbaus eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes erreicht werden sollte (Brändle, 2010). Die vorgenommenen Änderungen sollten sich „positiv auf die Lehre und die Entscheidung der Studierenden […] und […] die Organisationsabläufe in den Hochschulen“ auswirken (HRK, o. J., o. S.). Die Autonomie der Hochschulen samt ihrer individuellen Hochschulpolitik sollte dabei aber nicht eingeschränkt werden (Bologna Declaration, 1999).

Das wohl bekannteste Merkmal des Bologna-Prozesses ist die Einführung des einheitlichen und doppelstufigen Abschlusssystems von Bachelor und Master, mit dessen Ausgestaltung sich Studierende und Lehrende seither konfrontiert sehen und das insbesondere mit seiner Umstellung auf sogenannte Credit Points (GD Bildung und Kultur, 2007; Walter, 2006) besondere Anforderungen zu stellen scheint. Genau um diese Auswirkungen des neuen Studiensystems auf das persönliche Empfinden der Studierenden ist Betrachtungsgegenstand dieser Befragungsstudie.

4 Untersuchungshypothesen

Vor dem Hintergrund der ausgeführten stresstheoretischen Konzepte sowie deren Anwendung auf den konkreten Untersuchungskontext „Studierende vor und nach Bologna“ ergeben sich damit die folgenden Fragestellungen.

Wie bereits festgehalten werden konnte, besteht die Annahme, dass Studenten des neuen Studiensystems häufiger Anzeichen emotionaler Erschöpfung aufweisen als Studenten des alten Systems.

H1: Studenten des neuen Studiensystems zeigen höhere Werte emotionaler Erschöpfung als Studenten des alten Studiensystems.

Die Ursachen emotionaler Erschöpfung von Studierenden konnten gemäß Gusy, Drewes und Lohmann (2010) hauptsächlich anhand vier verschiedener Dimensionen festgemacht werden. Hierzu zählt, dass Studenten des neuen Systems (1) die an sie gestellten Anforderungen als höher bewerten, dass sie denken, einen (2) niedrigeren Handlungs- und (3) Zeitspielraum zu besitzen. Auch sei (4) ihre Work-Live-Balance nicht so ausgeglichen wie bei Studenten des alten Systems. Hierzu werden folgende vier Hypothesen aufgestellt und überprüft:

H2a: Studenten des neuen Studiensystems bewerten Anforderungen in ihrem Studium höher als Studenten des alten Studiensystems.

H2b: Studenten des neuen Studiensystems bewerten den Handlungsspielraum in ihrem Studium niedriger als Studenten des alten Studiensystems.

H2c: Studenten des neuen Studiensystems bewerten ihre Work-live-Balance nicht als so ausgeglichen wie Studenten des alten Studiensystems.

H2d: Studenten des neuen Studiensystems bewerten ihren Zeitspielraum im Studium geringer als Studenten des alten Studiensystems.

In Kapitel 2 konnte festgestellt werden, dass adaptive Stressbewältigungs- bzw. Copingstrategien ein Stressgeschehen oder -erlebnis in der Regel verhindern, vermindern oder eventuell auch vollständig aufheben können. In Bezug auf die von Studenten am häufigsten genutzten Copingstrategien lässt sich Hypothese H3 formulieren:

H3: Es gibt einen negativen Zusammenhang zwischen adaptiven Stressbewältigungsstrategien und dem Ausmaß an Anzeichen emotionaler Erschöpfung.

Basierend auf den exemplarisch günstigen aktionalen und intrapsychischen Stressverarbeitungsweisen lassen sich weitere Annahmen aufstellen, die in dieser Untersuchung geprüft werden:

H3a: Je deutlicher Studenten die Stärke, Dauer oder Gewichtigkeit einer Belastung abwerten (Bagatellisierung), desto weniger Anzeichen emotionaler Erschöpfung zeigen sie.

H3b: Je mehr Studenten sich Erfolge, Anerkennung und Selbstbestätigung verschaffen (Selbstbestätigung), desto weniger Anzeichen emotionaler Erschöpfung zeigen sie.

H3c: Je stärker Studenten Situationen analysieren, Handlungen zur Kontrolle oder Problemlösung planen und ausführen (Selbstinstruktion), desto weniger zeigen sie Anzeichen emotionaler Erschöpfung.

Allerdings sind auch maladaptive Strategien nicht zu vernachlässigen, da viele Studenten ihren persönlich wahrgenommenen Stress nicht vollends bewältigen oder reduzieren können und schließlich psychisch und physisch unter ihm leiden.

H4: Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen maladaptiven Stressbewältigungsstrategien und dem Ausmaß an Anzeichen emotionaler Erschöpfung.

Auch hier sollen individuelle Verarbeitungsstrategien anhand der nachfolgenden Annahmen näher untersucht werden:

H4a: Je mehr Studenten sich von ihren Mitmenschen zurückziehen (soziale Abkapselung), desto eher zeigen sie Anzeichen emotionaler Erschöpfung.

H4b: Je eher sich die Studenten gedanklich nicht lösen können (gedankliche Weiterbeschäftigung), desto mehr Anzeichen emotionaler Erschöpfung werden sie aufweisen.

H4c: Je mehr Studenten sich selbst bemitleiden (Selbstmitleid), desto eher zeigen sie Anzeichen emotionaler Erschöpfung.

Zusätzlich zu den in den vorangegangenen Abschnitten formulierten Hypothesen soll untersucht werden, ob Zusammenhänge zwischen emotionaler Erschöpfung bei Studenten des Bachelor- und Mastersystems und bestimmten persönlichen Merkmalen auszumachen sind. Explorativ wurden daher die folgenden Annahmen geprüft:

H5: Männer zeigen häufiger Anzeichen emotionaler Erschöpfung als Frauen.

H6: Je älter der Student ist, desto weniger zeigt er Anzeichen emotionaler Erschöpfung.

H7: Je länger Studenten studieren, desto häufiger weisen sie Anzeichen emotionaler Erschöpfung auf.

H8: Studenten, die sich in einer Beziehung befinden, zeigen weniger Anzeichen emotionaler Erschöpfung als Studenten, die sich in keiner Beziehung befinden.

H9: Je höher die zeitliche Belastung eines Studenten durch einen Nebenjob, desto eher zeigt er Anzeichen emotionaler Erschöpfung.

5 Methode

Im Dezember 2011 nahmen insgesamt 1693 Studierende an einer Online-Befragung zum Thema „Emotionale Erschöpfung bei Studenten – Die Rolle persönlicher Copingstrategien und veränderter Rahmenbedingungen im Studiensystem“ teil. Die Rekrutierung erfolgte hierbei primär über die E-Mailverteiler der Universitäten Köln und Bremen und der Hochschule Fresenius in Hamburg. Auch durch persönliche Ansprache in den sozialen Netzwerken Studi-VZ und Facebook konnten Teilnehmer gewonnen werden.
Die Stichprobe besteht überwiegend aus Frauen (N = 1183, entspricht 70%). Das Durchschnittsalter beträgt 23 Jahre (M = 23.31 Jahre; SD = 3.88). Es nahmen 1382 Bachelor- und Masterstudenten (neues Studiensystem), 77 Magister- und Diplomstudenten (altes Studiensystem) und 234 Studenten anderer Studiensysteme teil, welche sich derzeit durchschnittlich im vierten Semester (M = 4.29 Semester, SD = 3.44) befinden. 52% der Studierenden gaben an, in einer festen Beziehung zu sein und 60% hatten einen Nebenjob, in den sie durchschnittlich sieben Stunden ihrer Freizeit investierten (M = 7.01 Stunden, SD = 7.88). Eine Unterscheidung hinsichtlich des Studienganges und des finanziellen Einkommens fand nicht statt.

5.1 Messinstrument

Als zentrales Konstrukt wurde die erste Dimension bzw. das Leitsymptom (Gusy et al., 2009) eines Burnouts, die emotionale Erschöpfung, erhoben. Hierbei wurden die Gedanken und Gefühle von Studenten gegenüber ihrem Studium anhand einer siebenstufigen Häufigkeitsskala abgefragt. Die acht Items bezogen sich unter anderem auf die gefühlsmäßige Überlastung, Frustration, Härte des Lernens, Müdigkeit und auch generelle Belastung. Die Items entstammen zwei Fragebogeninstrumenten: Drei Items, speziell bezogen auf emotionale Aspekte, sind dem ursprünglichen Maslach Burnout Inventory (MBI; Maslach & Jackson, 1981) entlehnt, wurden jedoch konkret umformuliert und an die studentische Stichprobe angepasst. Fünf Items stammen aus dem Maslach-Burnout-Inventory-Student-Survey (MBI-SS) nach Gusy et al. (2009), einer speziell auf Studenten bezogenen Version des MBI.
Des Weiteren beleuchtete der Fragebogen die in vier Dimensionen gegliederten Ressourcen und Belastungen des neuen Studiensystems. Diese repräsentieren die veränderten Rahmenbedingungen. Gemäß Gusy, Drewes und Lohmann (2010) lassen sie sich wie folgt gliedern:
1) Anforderungen im Studium, 2) Handlungs- und 3) Zeitspielraum im Studium und 4) Work-Life-Balance. Die erste Dimension (Anforderungen im Studium) erfasst anhand einer sechsstufigen Häufigkeitsskala, wie Studenten Aufgaben, Inhalte und Veranstaltungen ihres Studiums bewerten, bzw. inwiefern sie sich ihnen gewachsen fühlen. Beim Handlungsspielraum geht es um das autonome und selbstständige Arbeiten im Rahmen von Studienarbeiten, Studienveranstaltungen oder allgemeinen Tätigkeiten im Studium. Die dritte Dimension Zeitspielraum beschäftigt sich mit den Vor- und Nachbearbeitungszeiten für das Studium.

Work-Live-Balance bezieht sich auf die Vereinbarkeit von Studium und Privatleben: Zeit für Hobbys, Vereinbarkeit mit Verabredungen mit Freunden und Zeit für sich selbst sind hier erfragte Aspekte.
Den dritten Inhaltsbereich des Fragebogens bildeten die Strategien, die Studierende zur Bewältigung von Stress einsetzen können. Die Bewältigungsstrategien umfassen hierbei in Anlehnung an den Stressverarbeitungsfragebogen (SVF) nach Erdmann und Janke (2008) sowohl aktionale (problemorientierte) als auch intrapsychische (emotionsorientierte) Reaktionen auf Stress. Aus forschungsökonomischen Gründen wurden sechs Coping-Dimensionen – drei adaptive und drei maladaptive – im Rahmen der Studie betrachtet: Die drei günstigen (adaptiven) Strategien umfassen Bagatellisierung, Selbstbestätigung und Situationskontrolle. Bei den drei ungünstigen (maladaptiven) Strategien handelt es sich um soziale Abkapselung, gedankliche Weiterbeschäftigung und Selbstmitleid. Die Teilnehmer konnten diese Fragen auf einer fünfstufigen Skala einschätzen.
Ergänzend wurden einige handlungsorientierte, pragmatische Copingstrategien abgefragt wie Erholungs-/und Entspannungsphasen, Lerngruppen, Arbeitspläne und Sport. Dabei wurde nach der Nutzung dieser Methoden gefragt (in Anlehnung an Botsch et al., 2011). Mehrfachnennungen waren hierbei ebenso möglich wie weitere eigene Angaben.

5.2 Reliabilität

Die Überprüfung der Konstrukte bzgl. ihrer internen Konsistenz zeigt meist sehr gute Werte. Die hierfür berechneten Cronbachs-Alpha-Werte sind folgend in Tabelle 1 dargestellt:

Tabelle 1: Interne Konsistenz der Messinstrumente.

Interne Konsistenz der Messinstrumente.

Mit Ausnahme der Konstrukte Handlungsspielraum und der Gesamtskala Adaptive Copingstrategien liegen alle Werte über α > .65 und erzielen damit akzeptable bis exzellente Werte (Bortz & Döring, 2009).

6 Ergebnisse

6.1 Studiensystemvergleich

Vorab ist an dieser Stelle zunächst der deutliche Unterschied in der Stichprobengröße zu erwähnen. Es stehen 1382 Studenten des neuen Studiensystems 77 Studenten des alten Systems gegenüber. Hypothesenkonform zeigt sich bei der Auswertung, dass die Studierenden des neuen Studiensystems signifikant höhere Werte emotionaler Erschöpfung aufweisen als Studierende des alten Studiensystems (vgl. Tabelle 2).
Bei den veränderten Rahmenbedingungen, denen die Studierenden im Studium ausgesetzt sind, zeigen sich ebenfalls signifikante Unterschiede zwischen den Studiensystemen. Die Anforderungen im Studium, der Handlungsspielraum, der Zeitspielraum sowie die Work-Live-Balance werden durch Studenten des Bachelor- und Mastersystems insgesamt als negativer bzw. eingeschränkter bewertet als durch Studenten des Diplomsystems. Alle mittels t-Test respektive U-Test für unabhängige Stichproben geprüften Mittelwertunterschiede sind signifikant (vgl. Tabelle 2). Hypothese 1 und alle Teilhypothesen 2 gelten damit als bestätigt.

Tabelle 2: Vergleich Bachelor- und Diplomsystem mittels T-Test bzw. Mann-Whitney-U-Test für unabhängige Stichproben bzgl. emotionaler Erschöpfung und veränderter Rahmenbedingungen im Studium.

Vergleich Bachelor- und Diplomsystem mittels T-Test bzw. Mann-Whitney-U-Test für unabhängige Stichproben bzgl. emotionaler Erschöpfung und veränderter Rahmenbedingungen im Studium.

6.2 Emotionale Erschöpfung im neuen Studiensystem

Wie in Abbildung 3 ersichtlich, berichten die meisten Studenten Anzeichen emotionaler Erschöpfung einige Male im Jahr und seltener (26%) bzw. einmal im Monat (25%). Jeweils ein Sechstel der Bachelor- und Masterstudenten zeigen nie (17%) oder einige Male im Monat (16%) derartige Anzeichen. Etwas über zehn Prozent fühlen sich einmal pro Woche (12%) erschöpft, gefolgt von einigen Malen pro Woche (4%). Täglich sind es weniger als ein Prozent (0%).

Häufigkeiten der Anzeichen emotionaler Erschöpfung bei Bachelor- und Masterstudenten.
Abbildung 3: Häufigkeiten der Anzeichen emotionaler Erschöpfung bei Bachelor- und Masterstudenten.

Entgegen der Erwartungen lassen sich weder für das Alter, die akademische Erfahrung, das Geschlecht, den Beziehungsstatus oder die Intensität des Nebenjobs signifikante Zusammenhänge zu emotionaler Erschöpfung dokumentieren (vgl. Tabelle 3). H5 bis H9 können damit nicht bestätigt werden.

Tabelle 3: Korrelationen und Mann-Whitney-U-Tests für unabhängige Stichproben bzgl. soziodemografischer Daten und emotionaler Erschöpfung bei Bachelor- und Masterstudenten.

Korrelationen und Mann-Whitney-U-Tests für unabhängige Stichproben bzgl. soziodemografischer Daten und emotionaler Erschöpfung bei Bachelor- und Masterstudenten.

6.3 Emotionale Erschöpfung und Rahmenbedingungen

Zwischen der Gesamtskala zur emotionalen Erschöpfung und der Wahrnehmung der veränderten Rahmenbedingungen finden sich durchweg signifikante Korrelationen (vgl. Tabelle 4).

Tabelle 4: Korrelationen zwischen emotionaler Erschöpfung und den veränderten Rahmenbedingungen bei Bachelor- und Masterstudenten.

Korrelationen zwischen emotionaler Erschöpfung und den veränderten Rahmenbedingungen bei Bachelor- und Masterstudenten.

Erwartungsgemäß zeigen sich dabei negative Zusam-menhänge zu den Bereichen Handlungsspielraum, Work-Live-Balance und Zeitspielraum und eine positive Korrelation mit den Anforderungen im Studium.

6.4 Emotionale Erschöpfung und Coping

Zwischen den (untersuchten) Stressbewältigungsstrategien der Studierenden und dem Grad der emotionalen Erschöpfung bestehen signifikante Zusammenhänge. Die adaptiven Strategien Bagatellisierung, Selbstbestätigung und Selbstinstruktion gehen hypothesenkonform (H 3 und Unterhypothesen) mit einer geringeren emotionalen Erschöpfung einher – wobei die Korrelationen als schwach einzuordnen sind, wohingegen die maladaptiven Strategien Soziale Abkapselung, Gedankliche Weiterbeschäftigung sowie Selbstmitleid deutlicher positiv mit emotionaler Erschöpfung korrelieren (Hypothese 4 und Subhypothesen; vgl. Tabelle 5).

Tabelle 5: Korrelationen zwischen emotionaler Erschöpfung und Copingstrategien bei Bachelor- und Masterstudenten.

Korrelationen zwischen emotionaler Erschöpfung und Copingstrategien bei Bachelor- und Masterstudenten.

Des Weiteren stellt die nachfolgende Grafik die Häufigkeiten der manifesten Bewältigungshandlungen dar. Am häufigsten werden von den Befragten Erholungstechniken angewendet, gefolgt von Arbeitsplänen, Sport, Lerngruppen und Konzentrationsübungen. 211 Rezipienten nutzen keine der hier abgefragten Copingstrategien. Mehrfachnennungen waren möglich.

Häufigkeiten der manifesten Bewältigungshandlungen bei Bachelor- und Masterstudenten.
Abbildung 4: Häufigkeiten der manifesten Bewältigungshandlungen bei Bachelor- und Masterstudenten.

Betrachtet man ergänzend, ob sich Personen, die die einzelnen Techniken nutzen, in ihrer selbstberichteten emotionalen Erschöpfung unterscheiden, zeigen sich die in Tabelle 6 dokumentierten Ergebnisse. Demnach berichten Probanden, die Erholungstechniken nutzen und Sport treiben, signifikant weniger emotionale Erschöpfung als Personen, die dies nicht tun. Personen, die keine der genannten Strategien nutzen, haben erwartungskonform ein höheres Erschöpfungsempfinden. Umseitige Tabelle 7 stellt dar, wie sich Menschen, die einzelne Handlungsstrategien nutzen, im Hinblick auf ihre adaptiven und maladaptiven Copingstrategien von Befragten unterscheiden, die dies nicht tun. Unter den zahlreichen signifikanten Unterschieden zeigt sich folgendes Muster: Wer Erholungstechniken, Lerngruppen und Sport (wenn auch schwächer) nutzt, greift signifikant mehr auf adaptive und signifikant weniger auf maladaptive Strategien zurück als Nicht-Nutzer. Personen, die keine manifesten Techniken einsetzen, greifen im Vergleich weniger auf adaptive und stärker auf maladaptive Copingstrategien zurück. Bei Arbeitsplänen und Konzentrationsübungen ergeben sich nur bei den adaptiven Strategien erwartungsgemäße Gruppenunterschiede.

Tabelle 6: Mann-Whitney-U-Tests für unabhängige Stichproben bzgl. manifester Bewältigungshandlungen und emotionaler Erschöpfung bei Bachelor- und Masterstudenten.

Mann-Whitney-U-Tests für unabhängige Stichproben bzgl. manifester Bewältigungshandlungen und emotionaler Erschöpfung bei Bachelor- und Masterstudenten.

7 Diskussion

Für den Vergleich der Studiensysteme lässt sich festhalten, dass die Studierenden des neuen Studiensystems in der vorgestellten Studie häufiger Anzeichen emotionaler Erschöpfung aufzeigen als Studierende des alten Studiensystems: So ist laut Selbstbericht der Durchschnitt der Studierenden des alten Studiensystems einmal im Monat bis einige Male im Monat emotional erschöpft, wohingegen der Durchschnitt der Studierenden des neuen Studiensystems sogar einige Male im Monat bis einmal pro Woche emotionale Erschöpfung verspürt. Des Weiteren schätzen die Studenten des neuen Studiensystems die veränderten Rahmenbedingungen als deutlich schlechter ein als die Studenten des alten Studiensystems.
Anforderungen, die das Studium an sie stellt, werden als höher empfunden, und der Handlungs- und Zeitspielraum als deutlich geringer eingeschätzt. Auch ihre Work-Life-Balance empfinden Studierende des neuen Systems als unausgeglichener als Studenten des alten Systems.

Tabelle 7: Mann-Whitney-U-Tests für unabhängige Stichproben für manifeste Bewältigungshandlungen und adaptiven resp. maladaptiven Copings bei Bachelor- und Masterstudenten.

Mann-Whitney-U-Tests für unabhängige Stichproben für manifeste Bewältigungshandlungen und adaptiven resp. maladaptiven Copings bei Bachelor- und Masterstudenten.

Insgesamt dokumentiert der Vergleich der Systeme bzgl. emotionaler Erschöpfung und veränderter Rahmenbedingungen also bei allen untersuchten Konstrukten einen signifikanten Unterschied in der Bewertung zu Gunsten der Studierenden des alten Systems. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es systematische Unterschiede zwischen den beiden verglichenen Substichproben geben könnte. So sind Diplomstudenten durchschnittlich älter und akademisch erfahrener als Bachelorstudenten.
Auch hinsichtlich bestimmter Persönlichkeitsmerkmale könnten Unterschiede vorliegen, indem sich z. B. die verbliebenen Diplomstudenten gelassener oder weniger leistungszentriert zeigen. Zudem muss einschränkend bedacht werden, dass es sich um eine selbstselektierte Stichprobe, ein Convenience Sample, handelt, die sich durch eine generell hohe Antwortmotivation auszeichnet.
Bei der Fokussierung auf das Bachelor- und Mastersystem ist noch einmal das Ausmaß der emotionalen Erschöpfung zu nennen. 57% sind mehr als einmal im Monat bis einige Male die Woche erschöpft bzw. 18% sind einmal die Woche bis einige Male die Woche erschöpft. Diese Häufigkeiten spiegeln eine hohe psychische Beanspruchung der Studenten wider und sollten zur Suche nach Lösungsansätzen und weiteren Untersuchungen anregen. Allerdings ist hierbei zu bedenken, dass der für die Teilnehmer der Befragung im Rahmen der Rekrutierung gewählte, transparente, aber nicht neutrale Titel der Studie „Emotionale Erschöpfung bei Studierenden“ zum einen entsprechende Selektionseffekte begünstigt, zum anderen auch reaktive Antworten hervorgerufen haben könnte. Der Titel der Studie könnte den Teilnehmern somit im Sinne einer „demand characteristic“ (vgl. Bortz & Döring, 2009) suggeriert haben, dass Erschöpfung im Grunde vorausgesetzt wird. Dies beeinflusst die Interpretation der Höhe der entsprechenden Mittelwerte.
Weiter lassen die bestehenden deutlichen Korrelationen zwischen emotionaler Erschöpfung und den Rahmenbedingungen es naheliegend scheinen, dass die Ressourcen und Belastungen im Studium eine mögliche Ursache für die Erschöpfung darstellen (vgl. Gusy et al., 2010). Dies lässt sich auf Basis dieser korrelativen Studie jedoch nicht abschließend beantworten, hierzu wären ergänzend Experimente oder Längsschnittstudien nötig. Aufgrund der multifaktoriellen Bedingtheit menschlichen Verhaltens und der Komplexität des Forschungsthemas ist es zudem sehr wahrscheinlich, dass sich mit der Reform des Studiensystems auch das Werte- und Leistungsklima oder andere gesellschaftliche Rahmenbedingungen maßgeblich mitverändert haben, so dass auch ganz andere Faktoren im Bedingungsgefüge ursächlich wirksam sein könnten, die nicht Teil dieser Studie waren.
Als Mehrwert der Studie lässt sich die integrative Perspektive hervorheben, indem auch Copingstrategien und Bewältigungshandlungen ausgeleuchtet werden, die Hinweise für den Umgang mit den entsprechenden Stressoren liefern. Die Ergebnisse hinsichtlich der Copingstrategien der Bachelor- und Masterstudenten lassen schlussfolgern, dass die Anwendung der maladaptiven Strategien gedankliche Weiterbeschäftigung, soziale Abkapselung und Selbstmitleid zu einem höheren Maße an emotionaler Erschöpftheit führt. Nutzen Bachelorstudenten eher Bagatellisierung, Selbstbestätigung und Situationskontrolle, um mit Stress umzugehen, zeigen sie weniger Anzeichen emotionaler Erschöpfung. Hierbei ist jedoch besonders zu beachten, dass maladaptive Strategien einen höheren Einfluss auf emotionale Erschöpftheit zeigen als adaptive, wie die Höhe der Korrelationskoeffizienten belegt (vgl. Tabelle 5).
Neben der Bestätigung, dass adaptive Strategien eher positive bzw. maladaptive negative Stressbewältigung fördern, erscheint es also zentral, maladaptives Coping zu vermeiden und in einem zweiten Schritt an seinen adaptiven Strategien zu arbeiten und diese weiterzuentwickeln. Durch das eigene Bewusstsein, welche Art der Stressbewältigung individuell genutzt wird, eröffnet sich dem Betroffenen die Möglichkeit, sein Coping zielgesteuert und konkret zu verbessern.
Zudem kann festgehalten werden, dass Studenten vor allem Erholungs- und Entspannungstechniken für den Stressabbau nutzen, gefolgt von dem Erstellen von Arbeitsplänen und dem Ausüben von Sport. Ergänzend gaben die Studierenden im Freitext primär Strategien der Selbstbelohnung und des sozialen Kontaktes an, wie z. B. „Partys feiern“ und „Musik hören“, gefolgt von „mit Familie und Freunden sprechen“. Die Nutzung der Bewältigungshandlungen steht auch in einem interessanten Zusammenhang mit emotionaler Erschöpfung, denn es sind eher als emotionsorientiert einzuordnende Handlungen – Erholungstechniken und Sport –, bei welchen sich ein Unterschied zugunsten der Nutzer dieser Techniken zeigt. Die eher problemorientierten Handlungen Lerngruppen, Arbeitspläne und Konzentrationsübungen wirken sich scheinbar nicht auf die Erschöpfung aus. Vorsichtig interpretiert lässt sich damit die Bedeutung der palliativen Handlungen hervorheben. Darüber hinaus finden sich bei den Nutzern der verschiedenen Strategien durchweg signifikante Unterschiede zugunsten adaptiver kognitiver Copingstrategien (vgl. Tabelle 7). Auch hierbei scheinen – mit Ausnahme der Lerngruppen – besonders die emotionsorientierten Techniken von Vorteil. Der stärkste Effekt ist bei den Erholungstechniken zu finden, deren Bedeutung damit unterstrichen wird.
Auffallend ist zuletzt, dass weder Geschlecht, Alter, Länge des Studiums, Beziehungsstatus noch zeitliche Belastung durch einen Nebenjob signifikante Zusammenhänge mit emotionaler Erschöpfung aufweisen. Auch dies ist ein spannendes Ergebnis, das weiterer Klärung bedarf. Hier deutet sich womöglich an, dass emotionale Erschöpfung nicht mit steigender Studienerfahrung sinkt, und die Intensität des Nebenjobs scheint als Ursache der Erschöpfung nicht in Frage zu kommen. Dies kann als Hinweis auf die hohe Bedeutung der Studienbedingungen betrachtet werden.

8 Fazit

Es ließe sich gemäß der vorliegenden Studie schlussendlich folgern, dass die Umsetzung des Bologna-Prozesses in der Tat negative Auswirkungen auf die Studierenden zu haben scheint, da diese Probleme haben, den damit offenbar verbundenen Stress zu bewältigen. Das Ziel der Hochschulrektorenkonferenz, mit dem Bologna-Prozess „positiv auf Lehre und die Entscheidung der Studierenden [...]“ (HRK, o.J., o.S.) einzuwirken, scheint damit in Teilen in Frage zu stehen. Auch für eine höhere Wettbewerbsfähigkeit und Mobilität scheinen die gezeigten Anzeichen emotionaler Erschöpfung eher hinderlich.
Daher ist es von enormer Bedeutung, Lösungen zu finden, mit denen Studierende besser geschützt und unterstützt werden können. Hier sollte man optimaler Weise von beiden Seiten agieren: einmal durch die Verbesserung der äußeren Bedingungen, denen ein Student ausgesetzt ist, und andererseits durch die Stärkung ihrer inneren Fähigkeiten, mit diesen Bedingungen umzugehen. Da die gerade eingeführten Studienreformen (äußere Bedingungen) nur schwer bzw. mittelfristig umzugestalten sind, wäre es beispielsweise ein erster umsetzbarer Ansatz, die Studierenden besser über Stressbewältigungsmethoden aufzuklären und ihre Kompetenzen im Umgang mit Stress weiterzuentwickeln. Gerade in den Hochschulen – aber auch schon in den Schulen – sollte dies zum Thema werden. Hierzu ist es z. B. wichtig, überhaupt zu wissen, dass Stress aus einem Ursachenkomplex (vgl. Abbildung 1) entsteht. Mithilfe dieser Erkenntnisse können Studenten/Schüler Stressquellen lokalisieren und an ihnen arbeiten. Des Weiteren würden unterstützende Maßnahmen in den Bereichen Erholungstechniken, Lernstrategien, und Zeitmanagement den Studierenden helfen, die heutigen Anforderungen besser zu bewältigen (vgl. auch Gusy et al., 2010). Hinsichtlich aller Studienergebnisse ist allerdings auch der allgemeine Anstieg psychischer Erkrankungen zu berücksichtigen, den beispielsweise die Techniker Krankenkasse (2011) konstatiert.
Zusätzlich ist auf die Subjektivität des Stressempfindens hinzuweisen, denn jeder erlebt Stress individuell, und Stresserleben wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die sowohl von außen als auch aus der eigenen Person oder situativ wirksam werden können. Generell wäre auch darüber aufzuklären, dass Stress und die damit verbundenen Begleiterscheinungen keine persönliche Schwäche, sondern eine verbreitete und ernst zu nehmende Belastung sind, der möglichst präventiv begegnet werden sollte. Weitere empirische Studien werden helfen zu klären, ob und in welcher Kombination unterstützende und aufklärende Maßnahmen den Studierenden wirklich helfen.


1Burnout ist im ICD-10 (Stand 2011) nicht als anerkannte Krankheit definiert. Unter der Ziffer Z 73.0 ist Burnout demnach als Rahmen- oder Zusatzdiagnose anzusehen.

2Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Weiteren auf eine durchgängige Angabe männlicher und weiblicher Formen verzichtet. Wenn nicht speziell differenziert, sind immer Männer und Frauen zugleich gemeint.

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Korrespondenzadressen:

Simon Pfleging (B. A. Wirtschaftspsychologie)
Sievekingdamm 17b
D-20535, Hamburg
GERMANY

simon.pfleging@gmx.de

Prof. Dr. Claudia Gerhardt
Hochschule Fresenius
Alte Rabenstraße 1
D-20148, Hamburg
GERMANY

gerhardt@hs-fresenius.de

Editorial

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Gesellschaftliche Veränderungen, neue Technologien sowie eine immer stärkere globale Vernetzung haben in den letzten Jahren zu einer drastischen Beschleunigung und Intensivierung von Bildungs- und Erwerbsleben geführt. Bereits in Schule und Studium werden durch die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre und durch die Hochschulreform hin zum Bachelor-/Mastersystem gleiche Lernleistungen in weniger Zeit erwartet. In der Arbeitswelt stellen neue Rollenmuster und stetiger, oft rasanter organisationaler Wandel angesichts von Globalisierung, Diversifizierung, schnellem Wachstum und Krisen massive Anforderungen an die Flexibilität der Erwerbstätigen. Ständige Erreichbarkeit durch moderne Kommunikationsmittel steigert den Erwartungsdruck auf Mitarbeiter und Führungskräfte zusätzlich. Einerseits birgt diese dynamische Entwicklung für alle Seiten ein enormes Innovations- und Entfaltungspotenzial, andererseits wird das Individuum oft bis an seine Belastungsgrenzen oder darüber hinaus gefordert. Die Folgen – Fehlzeiten, psychische und physische Stresssymptome bis hin zu Burnout und Erwerbsunfähigkeit – gehen nicht allein auf Kosten des Einzelnen und seines subjektiven Wohlbefindens, sondern sind selbstverständlich auch für Arbeitgeber, Volkswirtschaft und Gesellschaft von Bedeutung.
Dieses Spannungsfeld spiegelt sich in den Artikeln der vorliegenden Ausgabe wider, die sich mit unterschiedlichen Betrachtungsebenen und Interventionsansätzen im Feld von Wandel im Bildungssystem und in Organisationen, von Leistungskultur und Stress befassen:
Simon Pfleging und Claudia Gerhardt: Ausgebrannte Studierende – Burnout-Gefährdung nach dem Bologna-Prozess.
Die Autoren haben an einer umfangreichen Stichprobe erhoben, inwieweit nach der Bologna-Reform im Vergleich zum „alten“ System eine gestiegene Burnout-Gefährdung bei Studierenden festzustellen ist und welche Bewältigungsstrategien sie nutzen. In ähnlicher Weise wurden im zweiten Beitrag, ebenfalls an einer umfangreichen Stichprobe, die Zusammenhänge zwischen dem subjektiven Belastungserleben, Selbstwirksamkeit, Kontrollerleben und der Nutzung funktionaler versus dysfunktionaler Bewältigungsstrategien bei Studierenden fokussiert.
Bettina Frost und Katja Mierke: Stresserleben und Stressbewältigung bei Studierenden. Funktionale und Dysfunktionale Strategien und weitere Einflussfaktoren.
In einem weiteren Originalbeitrag stehen die Auswirkungen von organisationalen Veränderungen im Arbeitsleben im Mittelpunkt: Die Autoren stellen auf Basis einer qualitativen empirischen Studie heraus, welche Rolle soziale Werte und ein gemeinsamer kultureller Hintergrund bei der Fusionierung von Abteilungen spielen und wie diese so gestaltet werden kann, dass sich kulturelle Synergien konstruktiv entfalten können:
Pernille Stroebaek und Joachim Vogt: Cultural Synergy and Organizational Change: From Crisis to Innovation
Auch die Beiträge in unserer Rubrik Wissenschafts-Praxis-Transfer befassen sich mit dem Thema Organisationskultur im Leistungskontext bzw. mit der Flexibilisierung beruflicher Werdegänge. Heidbrink und Brenner stellen ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Messung von Hochleistungskultur vor und berichten erste Erfahrungen aus der Erprobungsphase:
Marcus Heidbrink und Stephanie Brenner: Messung von Hochleistungskultur: Kostruktion, Optimierung und Erprobung des HPO-Analyzers
Veränderte Lern- und Arbeitsbedingungen und die Abkehr von klassischen Berufsbiografien haben schließlich auch zur Folge, dass aktuell immer mehr berufsbegleitende Studiengänge angeboten und genutzt werden, die eine Weiterqualifikation ohne Ausstieg aus dem ersten Arbeitsmarkt ermöglichen. Im Beitrag von Budik und Koautoren wurde empirisch untersucht, wie die Absolventen dieser Studienform durch Personalverantwortliche wahrgenommen werden und welche Zusammenhänge es u.a. zur Unternehmensgröße gibt:
Katharina Budik, Christine Cremerius, Timo Förster, Barbara Lier, Sebastian Lorenz, Kathrin Teichmann und Patrizia Thamm: Beurteilung eines berufsbegleitenden Studiengangs durch Personalverantwortliche.
Abgerundet wird die vorliegende Ausgabe durch einen Beitrag in der Rubrik Methoden der angewandten Wirtschafts- und Medienpsychologie, in dem die Autoren methodische Probleme in der Medien- und Werbewirkungsforschung aufzeigen, die auf einer Konfundierung von Antwortmaßen basieren, und zugleich einen Lösungsvorschlag liefern:
Jens Woelke und Steffen Kolb: Wenn Mediendarbietungen Antwortleistung und Antwortdisposition gleichzeitig bestimmen. Ursache-Wirkungs-Konvergenz als Problem der medien- und werbepsychologischen Forschung und Item-Response-Analyse als ein Lösungsvorschlag.
Wir hoffen, unseren Leserinnen und Lesern damit eine interessante und vielseitige Zusammenstellung von Beiträgen zu bieten.

Köln im Juni 2013
Katja Mierke, Dominic-Nicolas Gansen-Ammann und Wera Aretz

Editorial

Effort-Reward Imbalance Theory and Irritation: The Important Role of Internal and External Work-Family Conflict

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(English) The aim of this study was to identify the impact of the variables from a classic occupational mental health model within the context of work-family conflict and stress in order to identify the relevance of work-family conflict for workplace health promotion. It was tested whether internal and external work-family conflicts serve as mediators between the three aspects of the effort-reward imbalance model and irritation. Based on a heterogeneous sample of 627 employees, results confirm overcommitment as a crucial predictor for internal work-family conflict and irritation. Considering the results, in contrast to classic stressors internal work-family conflict was a strong predictor for employees’ stress. Moreover, overcommitment played a crucial role regarding this relationship. Key Words: work-family conflict, effort-reward imbalance, overcommitment, irritation, stress

Validation of the Organizational Commitment Questionnaire (OCQ) in six languages

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(English) International research on a construct presupposes that the same measurement instruments are implemented in different countries. Only then can the results of the studies be directly compared to one another. We report on a study in which the English-language original of the Organizational Commitment Questionnaire (OCQ) as well as a German-language version of the OCQ was adapted into four further languages (Polish, Hungarian, Spanish, Malay) and validated. The employees of an international company were surveyed in seven countries (USA, Canada, Germany, Poland, Spain, Hungary and Malaysia). For purposes of validation, the job satisfaction, the self-rated job performance and the support of the employees in implementing the company values were used. The results show that the translations proceeded successfully. In all cases, a reliable scale emerges, which correlates positively with the validity criteria. Key words: organizational commitment questionnaire, job satisfaction, performance, support of company values
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