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Sichtung von Bewerbungsunterlagen – Sind sportliche Aktivitäten ein Indikator beruflicher Leistungsmotivation?

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1 Einführung

Die Sichtung der Bewerbungsunterlagen gehört zu den wichtigsten Methoden der Personalauswahl, da sie bei fast jeder Stellenbesetzung am Anfang des Auswahlprozesses steht und darüber entscheidet, welche Personen einer eingehenderen Untersuchung mit Hilfe von Testverfahren, Arbeitsprobe, Interview oder Assessment Center unterzogen werden (Kanning, 2004; Schuler, 2014a; Schuler, Hell, Trapmann, Schaar & Boramir, 2007). Heute geht es dabei in zunehmendem Maße nicht mehr um klassischen Bewerbungsmappen, sondern um Dateien, die als Attachment einer E-Mail-Bewerbung beiliegen (Weitzel, Eckhardt, Laumer, Maier, von Stetten, Weinert & Wirth, 2015). Die meisten Unternehmen sehen E-Mail-Unterlagen inzwischen als gleichwertige Form der Bewerbung an (Kanning, 2016). Hinzu kommen Online-Bewerbungsformulare, bei denen die Bewerber ihre Angaben in eine vorgefertigte Datenmaske eintragen, so dass die Vorauswahl ggf. durch einen Computer erfolgen kann (Kanning, 2015a).

Wie auch immer die Prozedur der Vorauswahl im Einzelnen aussehen mag; wichtig ist, dass sie auf der Grundlage valider Kriterien erfolgt. Dies ist vor allem im Hinblick auf die Gefahr einer Fehleinschätzung geeigneter Kandidaten der Fall. Werden geeignete Kandidaten bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen zu Unrecht als ungeeignet eingestuft, so ist dies ein Fehler, der in aller Regel nicht wieder korrigiert werden kann, da die Kandidaten aus dem Verfahren ausscheiden und nicht weiter untersucht werden. In Zeiten des Fachkräftemangels ist ein solcher Fehler besonders bedauerlich. Da im Pool der Bewerber der Anteil geeigneter Menschen ohnehin kleiner ist, kann es sich der Arbeitsgeber eigentlich nicht erlauben, durch Fehler der Personalauswahl geeignete Kandidaten zu übersehen.

Der herausgehobenen Bedeutung, welche die Sichtung der Bewerbungsunterlagen auf der einen Seite besitzt, steht auf der anderen Seite eine Praxis gegenüber, die keine besonders hohe Validität der konkreten Auswahlentscheidungen erwarten lässt (Cole, Feild & Giles, 2003; Cole, Rubin, Feild & Giles, 2007; Kanning, 2015b, 2016). Nachweislich valide Auswahlkriterien wie Fachkompetenzen und Berufserfahrung (s. u.) stehen bei der Vorauswahl der Bewerber nahezu gleichberechtigt neben formalen Kriterien, deren Validität bestenfalls als fragwürdig bezeichnet werden kann (Kanning, 2016): übersichtliche Formatierung des Lebenslaufes, Tippfehler, Flecken im Anschreiben (siehe auch Machwirth, Schuler & Moser, 1996). In etwa der Hälfte der Fälle existieren bei einer konkreten Stellenbesetzung nicht einmal explizite, anforderungsbezogenen Kriterien, nach denen die Kandidaten bewertet werden (Kanning, 2016).

Bewerbungsunterlagen beinhalten in erster Linie biographische Informationen über einen Menschen, die mehr oder minder valide sein können (Schuler, 2014b; Kanning, 2015c). Die bisherige Befundlage der Forschung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Als valide haben sich Schulnoten erwiesen, wenn es um die Prognose des Ausbildungserfolgs geht. Dies gilt insbesondere für die Durchschnittsnote (Baron-Boldt, Funke & Schuler, 1989; Görlich & Schuler, 2007; Roth, Be Vier, Switzer & Schippmann, 1996). Gleiches gilt für die Examensnote nach erfolgtem Studium im Hinblick auf den beruflichen Erfolg (Cole et al., 2003; Görlich & Schuler, 2007). Hierzu passt die Erkenntnis, dass Fachkompetenzen, die u.a. in einem Studium erworben werden, einen sehr guten Prädiktor beruflicher Leistung darstellen (Schmidt & Hunter, 1998). Darüber hinaus hat sich die Berufserfahrung als valider Prädiktor erwiesen, wobei die Vielfalt der Erfahrungen aussagekräftiger ist als die Dauer (Quinones, Ford & Teachout, 1995). Verlässt man die Bereiche der schulischen und beruflichen Leistung und wendet sich der Persönlichkeit der Bewerber zu, so zeichnen die Studien ein weitaus weniger positives Bild. Lücken im Lebenslauf erlauben für sich allein betrachtet kaum eine Aussage über die Gewissenhaftigkeit oder Zielstrebigkeit eines Menschen (Frank & Kanning, 2014). Dies ist erst dann der Fall, wenn sehr spezifische Gründe für das Auftreten dieser Lücken vorliegen (etwa eine abgebrochene Ausbildung). Die Führungserfahrung eines Menschen ermöglicht keine valide Aussage über seine Führungskompetenzen (Kanning & Fricke, 2013). Soziales Engagement spricht nur in Bezug auf bestimmte soziale Kompetenzen für eine erhöhte Ausprägung. Kanning und Woike (2015) konnten zeigen, dass soziales Engagement positiv mit dem Ausmaß der sozialen Orientierung und Offensivität korreliert, nicht aber mit höheren Werten in der Reflexibilität oder Selbststeuerung einhergeht.

Trotz dieser Erkenntnisse interessiert sich mehr als ein Viertel der Unternehmen bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen für die Freizeitaktivitäten der Bewerber, da sie erwarten, hieraus etwas über die Persönlichkeit eines Bewerbers ablesen zu können (Kanning, 2016). Die Ratgeberliteratur für Bewerber vermittelt den Eindruck, dass Personaler in diesem Zusammenhang insbesondere sportliche Aktivitäten für aussagekräftig halten (Kanning, 2015b) und tatsächlich, 21 Prozent der von Kanning (2016) befragten 244 Unternehmen geben an, dass sie bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen gezielt auf sportliche Aktivitäten achten. Doch inwieweit ist diese Praxis auch ratsam? Gibt es empirische Hinweise darauf, dass sportliche Aktivitäten ein valides Kriterium für die Sichtung von Bewerbungsunterlagen sind?

2 Sport und Persönlichkeit

Die Annahme, dass sportliche Aktivitäten ein Stück weit die Persönlichkeit eines Menschen spiegeln, kann durch zwei potenziell ablaufende Prozesse begründet werden: Selektion und Sozialisation (vgl. Kanning & Kappelhoff, 2013). Die Selektionshypothese besagt, dass sich Menschen mit bestimmten Eigenschaften von bestimmten Aktivitäten selektiv angezogen fühlen. So könnte es z. B. sein, dass sehr leistungsorientierte Personen lieber einer Sportart nachgehen, bei der sie sich mit anderen messen können oder sozial wenig kompetente Personen Mannschaftssportarten meiden, da sie im Umgang mit anderen häufig unangenehme Erfahrungen sammeln. Die Sozialisationshypothese bezieht sich auf die Veränderung der Persönlichkeit über die Zeit hinweg. Wer über Jahre einer Sportart nachgeht, in der immer wieder prestigeträchtige Wettkämpfe stattfinden, entwickelt möglichweise eine zunehmend stärkere Wettbewerbsorientierung. Der beständige Umgang mit Mannschaftsmitgliedern sowie die Notwendigkeit, gemeinsam an der Erreichung eines Ziels zu arbeiten, fördert über Lernprozesse möglicherweise die Ausprägung bestimmter sozialer Kompetenzen. Beide Prozesse – die Selektion und Sozialisation – könnten einander ergänzen, wodurch die Wahrscheinlichkeit zusätzlich erhöht wird, dass sportliche Aktivitäten als ein Indikator für bestimmte Persönlichkeitsmerkmale gelten könnten.

Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, ob das Betreiben von Sport tatsächlich mit bestimmten Persönlichkeitsprofilen einhergeht, kommen zu heterogenen und gleichzeitig ernüchternden Ergebnissen. Bezogen auf die sog. „Big Five“ fanden Vanek und Hosek (1977) geringere Extraversionswerte bei besonders erfolgreichen Sportlern, während Eysenck, Nias und Cox (1982) höhere Extraversionswerte im Vergleich zu Nicht-Sportlern belegen konnten. Piedmont, Hill und Blanco (1999) fanden signifikante Zusammenhänge zwischen Gewissenhaftigkeit sowie Neurotizismus und sportlichen Leistungen im Fußball. In einer anderen Studie wiesen Mannschaftssportler im Vergleich zu Individualsportlern höhere Extraversionswerte auf (Eagleton, McKelvie & de Man, 2007). Malumphy (1968) belegte jedoch das genaue Gegenteil. Wieder andere Studien konnten keinerlei Unterschiede zwischen Mannschaft- und Individualsportlern aufzeigen (Davey, 1977; Kirkcaldy, 1982; Stoner & Bandy, 1977; Wendt & Patterson, 1974). Tok (2011) fand höhere Werte für Extraversion und Offenheit sowie geringere Werte in Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus bei Risikosportlern im Vergleich zu „Normalsportlern“. Zu ähnlichen Befunden kamen Kajtna, Tusak, Baric und Burnik (2004), allerdings nur im Vergleich zu Nicht-Sportlern. Vanden Auweele, De Cuyper, Van Mele und Rzewnicki (1993) fanden in einer Metaanalyse keine signifikanten Zusammenhänge zwischen sportlicher Leistung und Extraversion. Alles in allem ergibt sich somit keine eindeutige Aussage im Hinblick auf klassische Persönlichkeitsmerkmale (vgl. Gabler, Nitsch & Singer, 2000). Dies gilt auch, wenn man den engeren Bereich der Big Five verlässt. In einer Studie von Goeldner und Bast (2012), bei der Sportler und Nicht-Sportler sowie Mannschaftssportler und Individualsportler mit dem BIP (Hossiep & Paschen, 2003) untersucht wurden, fanden sich bei den meisten Skalen signifikante Unterschiede, die absolut gesehen allerdings eher gering waren. Kanning und Kappelhoff (2012) fanden keine Unterschiede zwischen verschiedenen Sportarten (Mannschaftssport, Individualsport, Nicht-Sportler) im Hinblick auf diverse Facetten sozialer Kompetenz.

In diesem Zusammenhang ist das Modell von Schwinger, Olbricht und Stiensmeier-Pelster (2013) interessant, das erklärt, warum es zu widersprüchlichen und/ oder nur geringen Zusammenhängen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und sportlichen Aktivitäten kommen kann. Die Gründe liegen u. a. an dem hohen Abstraktionsniveau grundlegender Persönlichkeitsmerkmale sowie an verschiedenen Mediatoren. In ihrem hierarchischen Modell repräsentieren grundlegende Persönlichkeitsmerkmale – etwa im Sinn der Big Five (z. B. Borkenau & Ostendorf, 2008) – als dispositionale Traits das höchste Abstraktionsniveau. Diese Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen bestimmte habituelle Merkmale des Menschen, die auf einem geringeren Abstraktionsniveau angesiedelt sind. Hierzu zählen die Autoren u. a. motivationale Zielorientierungen. Die habituellen Merkmale sind weniger stabil, da sie auch durch situative Faktoren beeinflusst werden. Auf der dritten und damit geringsten Abstraktionsstufe steht das konkrete situationsbezogene Verhalten eines Menschen, wozu u. a. auch sportliche Aktivitäten zu zählen sind. Aus dem Verhalten resultieren schließlich Ergebnisse, wie z. B. eine sportliche Leistung. In ihrer Studie belegen die Autoren in komplexer Weise die mediierende Wirkung der habituellen Merkmale auf das Verhalten.

Wenn grundlegende Persönlichkeitsmerkmale nur geringe bzw. heterogene Zusammenhänge zu sportlichen Aktivitäten aufweisen, so ist es im Umkehrschluss auch kaum möglich, von den Angaben zu sportlichen Aktivitäten in den Bewerbungsunterlegen valide auf Persönlichkeitsmerkmale zu schließen. Vor dem Hintergrund des hierarchischen Modells von Schwinger et al. (2013) erscheint es jedoch deutlich vielversprechender, von sportlichen Aktivitäten auf habituelle Merkmale zu schließen. In diesem Zusammenhang wäre die Leistungsmotivation eine potentiell sinnvolle Variable. Zum einen spiegeln sich motivationale Faktoren bereits in der Formulierung des Modells von Schwinger et al. (2013), zum anderen gehört die Leistungsmotivation auch zu den wichtigen Einflussfaktoren der beruflichen Leistung (Collins, Hanges & Locke, 2004; Schuler & Prochaska, 2001; Steward & Roth, 2007). Auch bieten sich sportliche Aktivitäten als Betätigungsfeld für leistungsmotivierte Menschen in besonderer Weise an (Brand, 2010; Güllich & Krüger, 2013; Heckhausen & Heckhausen, 2010). Die Betroffenen können sich hier direkt mit anderen messen und erhalten im Gegensatz zu anderen Lebensbereichen ein unmittelbares und eindeutiges Feedback über ihr aktuelles Leistungsniveau (Selektionshypothese). Gleichzeitig kann der Wettstreit mit anderen aber auch das Erreichen eines zunehmend höheren Leistungsniveaus im ipsativen Vergleich die Leistungsmotivation fördern (Sozialisationshypothese). Öffentlich gefeierte Siege und Ruhm mögen dies noch beflügeln (Gabler, 2002). Da die Betroffenen im Sport durch Anstrengung, kontinuierliches Training, gesunde Ernährung etc. sichtbare Erfolge selbst gestalten können, fördert der Sport potentiell die Kontrollüberzeugung, die wiederum eine Facette der Leistungsmotivation darstellt (Schuler & Prochaska, 2001). Schwinger et al. (2013) konnten zudem zeigen, dass die Zielorientierung – auch eine Facette der Leistungsmotivation (Schuler & Prochaska, 2001) – den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Leistung im Sport mediiert.

Angesichts dieser Überlegungen erscheint es vielversprechend, die Rolle sportlicher Aktivitäten als möglichen Indikator der Leistungsmotivation und damit als potentiell sinnvolles Kriterium der Bewerbungsunterlagensichtung näher zu untersuchen. In Ermangelung einer fundierten Befundlage ist die Studie explorativ angelegt. Untersucht werden drei Fragestellungen:

Fragestellung 1: Inwieweit geht das Ausmaß sportlicher Aktivitäten mit einer höheren beruflichen Leistungsmotivation einher?

Fragestellung 2: Inwieweit geht das Ausmaß sportlicher Wettkampfaktivitäten mit einer höheren beruflichen Leistungsmotivation einher?

Fragestellung 3: Unterscheiden sich Vertreter unterschiedliche Sportarten hinsichtlich ihrer Leistungsmotivation?

3 Methode

Materialien: Die Grundlage der Studie bildete ein Online-Fragebogen, der sich in zwei übergeordnete Abschnitte gliederte. Der erste Abschnitt erfasste die berufliche Leistungsmotivation mit zehn Skalen des Leistungsmotivationsinventars (LMI; Schuler & Prochaska, 2001; Skala von 1 = „trifft gar nicht zu“ bis 7 = „trifft vollständig zu“). Ziel der Auswahl war es, zum einen das Konstrukt der Leistungsmotivation differenziert zu erfassen, zum anderen dabei auf die potentielle Bedeutung der Facetten für die Personalauswahl zu achten. Eine vollständige Nutzung aller Skalen des LMI hätte zu einem extrem langen Fragebogen geführt und damit die Wahrscheinlichkeit für Abbrüche oder eine oberflächliche Bearbeitung durch die Befragten stark erhöht (Mummendey & Grau, 2014). Das LMI umfasst in der vollständigen Variante 170 Items. Tabelle 1 ist zu entnehmen, welche Facetten der Leistungsmotivation erfasst wurden. Die innere Konsistenz der Skalen ist sowohl im Original als auch in der vorliegenden Studie durchweg ausreichend bis gut. Lediglich zwei Skalen lagen in der vorliegenden Studie knapp unter einem Wert von .70. Da nachfolgend jedoch keine Aussagen über Individuen, sondern über Gruppen von Menschen getroffen werden, können auch Werte knapp unter .70 noch akzeptiert werden (Lienert & Raatz, 1998).

Im zweiten Abschnitt folgten Fragen zur Demographie (Alter, Geschlecht, Bildung) sowie zur sportlichen Betätigung. Letzteres bezog sich einerseits auf die Intensität, mit der Sport betrieben wurde, andererseits auf die Intensität etwaiger Wettkämpfe. Die Intensität sportlicher Betätigung wurde auf dreierlei Weise operationalisiert: eine Selbsteinschätzung des Sportlertypus (kein Sportler, Hobbysportler, ambitionierter Sportler, Leistungssportler), die Dauer sportlicher Aktivität in Jahren sowie die Anzahl der Stunden pro Woche, die mit Sport verbracht werden. Die Wettkampfintensität wurde erfasst mit einer Frage danach, ob die Probanden an Wettkämpfen teilnahmen (ja vs. nein) und einer weiteren Frage nach der Anzahl der absolvierten Wettkämpfe pro Jahr. Zu guter Letzt wurde den Probanden eine Liste mit 33 Sportarten vorgelegt, aus der sie diejenige auswählen sollten, die von ihnen in erster Linie betrieben wurde (Antwortalternativen: American Football, Angelsport, Badminton, Bahnengolf, Baseball, Basketball, Biathlon, Billiard, Cheerleading, Eishockey, Eiskunstlauf, Fußball, Geräteturnen, Golf, Handball, Kampfsport, Klettern, Kraftsport, Laufsport, Motorsport, Reitsport, Radsport, Rollkunstlauf, Schach, Schwimmen, Tanzsport, Tennis, Tischtennis, Trampolinsport, Triathlon, Volleyball, Wassersport, Wintersport sowie „meine Sportart ist nicht aufgeführt“).

Die Reihenfolge der beiden Fragebogenblöcke ergibt sich aus der Überlegung, dass die Befragten nicht zu früh erkennen sollten, worin die eigentliche Fragestellung der Studie lag. Wer erst ausführlich zu seinem sportlichen Verhalten sowie zur Leistungsorientierung im Sport befragt wird und anschließend eine Einschätzung der eigenen Leistungsmotivation vornimmt, könnte geneigt sein, die Selbsteinschätzung dahingehend zu verzerren, dass ein sozial erwünschtes, stereotypes oder konsistentes Bild entsteht. Dies ist bei der gewählten Reihenfolge kaum möglich, zumal der Online-fragebogen kein Zurückblättern ermöglichte.

Datenerhebung: Der Online-Fragebogen konnte direkt über einen Link im Internet aufgerufen werden. Da der Link nach einmaligem Gebrauch auf einem Rechner seine Wirksamkeit verlor, konnte die Wahrscheinlichkeit für wiederholtes Ausfüllen minimiert werden. Der Link wurde breit gestreut über Kontakte zu fünf Sportvereinen in NRW, die Sporthochschule Köln sowie eine Gruppe von Sportpsychologen im Online-Netzwerk Xing. Alle Probanden wurden gebeten, den Link an Freunde und Bekannte weiterzuleiten. Die Befragung erfolgte vollständig anonym und freiwillig. Es wurde keine monetäre Gegenleistung erbracht.

Stichprobe: Der Fragebogen wurde von N = 291 Personen vollständig ausgefüllt (52.2 % weiblich, 47.8 % männlich). Das Alter der Befragungsteilnehmer variierte zwischen 18 und 60 Jahren (15 Personen ohne Angaben; M = 31.5, SD = 10.71). Menschen mit höherem Bildungsgrad stellten den weitaus größten Anteil der Stichprobe dar (0.7 % ohne Abschluss, 2.1 % Hauptschulabschluss, 10 % Realschulabschluss, 42.6 % Fach-/Abitur, 44.7 % Studium). 3 Prozent bezeichneten sich als Nichtsportler, 38 Prozent als Hobbysportler, 44 Prozent als ambitionierte Sportler und 14 Prozent als Leistungssportler. Sie übten ihren Sport seit 0-50 Jahren aus (5 Personen ohne Angaben; M = 10.94, SD = 8.44), mit einem Trainingsaufwand von 0-25 Stunden pro Woche (5 Personen ohne Angaben; M = 7.37, SD = 4.89). 69 Prozent der Befragten nahmen an Wettkämpfen teil, und zwar mit durchschnittlich 7.94 Wettkämpfen pro Jahr (SD = 10.35). Die meisten Probanden gingen primär einer Individualsportart wie z. B. Laufen, Reiten oder Schwimmen nach (57.4 %). Eine Mannschaftssportart wie z. B. Fußball oder Handball betrieben 30 Prozent. Weitere 13 Prozent der Befragten machten hierzu keine Angaben.

Tabelle 1: Informationen zu den Skalen der beruflichen Leistungsmotivation

4 Ergebnisse

Tabelle 2 gibt die Interkorrelationen aller Variablen wieder. In einem ersten Schritt wurde überprüft, inwieweit die demographischen Variablen Geschlecht, Alter und Bildung in einem systematischen Zusammenhang zur beruflichen Leistungsmotivation stehen.

Hierzu wurde bezogen auf das Geschlecht eine unifaktorielle, multivariate Varianzanalyse berechnet, mit dem Geschlecht als Faktor und den 11 Skalen der Leistungsmotivation (10 Primärskalen und der Gesamtwert aller Skalen) als abhängige Variablen. Es ergaben sich ein multivariater Haupteffekt (F10/280 = 6.62, p < .001) und zahlreiche univariate Effekte (vgl. Tab. 3, Spalten 2 und 3). Demnach wiesen Männer mit Ausnahme der Internalität, des Leistungsstolzes sowie der Wettbewerbsorientierung signifikant höhere Mittelwerte auf als Frauen. Um etwaige Alterseffekte aufzudecken, wurden Produkt-Moment Korrelationen zwischen dem Alter und der Ausprägung der Leistungsmotivation berechnet. In fünf von 11 Fällen zeigten sich dabei signifikante Zusammenhänge (Tab. 4, Spalte 2). Mit zunehmendem Alter wiesen die Befragten eine höhere Beharrlichkeit (r = .30), Lernbereitschaft (r = .20), Selbstständigkeit (r = .28) und allgemeine Leistungsmotivation (r = .12), gleichzeitig aber eine geringere Wettbewerbsorientierung (r = -.23) auf.

Die möglichen Effekte der Bildung wurden über Korrelationen nach Spearman überprüft. Hier ergaben sich zwei signifikante Zusammenhänge (Tab. 4, Spalte 3). Mit zunehmender Bildung stieg sowohl die Erfolgszuversicht (r = .14) als auch die Selbstständigkeit der Probanden (r = .16) an.

Da sich alles in allem betrachtet zahlreiche Effekt der demographischen Variablen belegen ließen, wurde bei den nachfolgenden Analysen die Demographie herausgerechnet (partielle Korrelationen bzw. Kovarianzanalysen). So konnte gewährleistet werden, dass die Ergebnisse nicht durch die spezifische demographische Zusammensetzung der Stichprobe verzerrt werden.

In einem zweiten Schritt wurden Effekte der Intensität sportlicher Aktivitäten untersucht (Fragestellung 1). Hierzu standen drei Operationalisierungen zur Verfügung: der Sportlertypus, die Dauer der Lebensjahre, über die hinweg Sport betrieben wurde sowie die Anzahl der Stunden, die wöchentlich mit sportlichen Betätigungen zugebracht wurden.

Zunächst zum Sportlertypus: Da einige Kategorien der Variable (kein Sportler, Hobbysportler, ambitionierter Sportler, Leistungssportler) sehr gering besetzt waren (s. o.), wurden eine Rekategorisierung vorgenommen. Die Gruppen „kein Sportler“ / „Hobbysportler“ und „ambitionierte Sportler“ / „Leistungssportler“ wurden dabei zu jeweils einer Gruppe zusammengefasst. Die anschließend durchgeführte unifaktorielle, multivariate Kovarianzanalyse (Geschlecht, Alter, Bildung als Kovariate) ergab einen signifikanten multivariaten Haupteffekt (F10/257 = 2.67, p < .01) und sieben univariate Effekte (Tab. 3, Spalten 4 und 5). Tabelle 2: Interkorrelation aller Variablen

Tabelle 3: Mittelwertvergleiche

Ambitionierte Sportler und Leistungssportler erzielten signifikant höhere Werte auf den Skalen Beharrlichkeit (MkeinSport/Hobby = 4.30, SD = 0.82; Mambitioniert/Leistungssport = 4.75, SD = 0.76, F1/257 = 17.67, p < .001), Erfolgszuversicht (MkeinSport/Hobby = 4.84, SD = 0.76; Mambitioniert/Leistungssport=5.21, SD = 0.80, F1/257= 5.09, p < .05), Flexibilität (MkeinSport/Hobby = 4.78, SD = 0.85; Mambitioniert/Leistungssport = 5.15, SD = 0.78, F1/257 = 6.71, p < .05), Internalität (MkeinSport/Hobby = 4.91, SD = 0.70; Mambitioniert/Leistungssport = 5.11, SD = 0.68, F1/257 = 7.10, p < .01), Leistungsstolz (MkeinSport/Hobby = 5.46, SD = 0.77; Mambitioniert/Leistungssport = 5.77, SD = 0.85, F1/257 = 8.71, p < .01), Wettbewerbsorientierung (MkeinSport/Hobby = 3.89,
SD = 0.97; Mambitioniert/Leistungssport = 4.37, SD = 1.12, F1/257 = 9.34, p < .01) sowie der Gesamtmotivation (Mkein-Sport/Hobby = 4.54, SD = 0.57; Mambitioniert/Leistungssport = 4.87, SD = 0.55, F1/257 = 13.08, p < .001). Als nächstes wurde die Dauer sportlicher Betätigung betrachtet. Die Analyse erfolgte über partielle Korrelationen (Geschlecht, Alter und Bildung herauspartialisiert). Die Anzahl der Sportjahre wurde mit den Skalen der Leistungsmotivation korreliert. Dabei ergab sich kein signifikanter Effekt (Tab. 4, Spalte 4).
Das Vorgehen bezogen auf die Anzahl der Stunden sportlicher Aktivität pro Woche fiel analog aus (Geschlecht, Alter und Bildung herauspartialisiert). Es fanden sich neun signifikant positive Zusammenhänge (Tab. 4, Spalte 5): Beharrlichkeit (r = .24), Erfolgszuversicht (r = .21), Flexibilität (r = .22), Internalität (r = .15), Lernbereitschaft (r = .18), Leistungsstolz (r = .17), Selbstständigkeit (r = .22), Wettbewerbsorientierung (r = .24) sowie beim Gesamtwert der Leistungsmotivation (r = .27). Lediglich beim Engagement sowie dem Flow verfehlten die Korrelationen das Signifikanzniveau.

Tabelle 4: Überprüfung von Zusammenhängen

Im dritten Schritt ging es um die Bedeutung der Wettkampftätigkeit (Fragestellung 2). Hier lagen zwei Operationalisierungen vor: die Tatsache, ob überhaupt Wettkämpfe bestritten wurden (ja vs. nein) sowie die Anzahl der Wettkämpfe pro Jahr.

Bezogen auf die erste Operationalisierung – Wettkampftätigkeit ja vs. nein – kam erneut eine unifaktorielle, multivariate Kovarianzanalyse zum Einsatz (Geschlecht, Alter, Bildung als Kovariate). Auf multivariater Ebene zeigte sich kein Haupteffekt (F10/257 = 2.34, p > .05). Auf univariater Ebene ergaben sich zwei signifikante Effekte (Tab. 3, Spalten 6 und 7). Personen, die an Wettkämpfen teilnahmen, wiesen höhere Werte in Beharrlichkeit (MkeinSport/Hobby = 4.30, SD = 0.85; Mambitioniert/Leistungssport=4.68, SD = 0.78, F1/257 = 5.07, p < .05) und Wettbewerbsorientierung (MkeinSport/Hobby = 3.91, SD = 1.05; Mambitioniert/Leistungssport= 4.29, SD = 1.09, F1/257 = 7.67, p < .01) auf. Bezogen auf die zweite Operationalisierung – die Anzahl der Wettkämpfe pro Jahr – wurden erneut partielle Korrelationen berechnet (Geschlecht, Alter und Bildung herauspartialisiert). Nur zwei Korrelationen erreichten das Signifikanzniveau (Tab. 4, Spalte 6). Je größer die Anzahl der Wettkämpfe pro Jahr, desto größer ist der Leistungsstolz (r = .13) sowie die Wettbewerbsorientierung (r = .23).

Abschließend wurde explorativ überprüft, inwieweit bestimmte Sportarten mit einer erhöhten beruflichen Leistungsmotivation einhergehen (Fragestellung 3). Da die Verteilung der Häufigkeit über die 33 vorgegebenen Kategorien sehr weit streute und daher einzelne Sportarten nur wenige oder gar keine Nennungen aufwiesen, wurden die Sportarten in zwei übergeordnete Gruppen eingeteilt: Individualsportarten (= Sportarten, die man allein ausüben kann: Geräteturnen, Laufsport, Reiten, Radfahren, Schwimmen und Triathlon) und Mannschaftsportarten (= Sportarten, zu deren Durchführung Mitspieler oder Gegner benötigt werden: American Football, Badminton, Baseball, Basketball, Cheerleading, Fußball, Golf, Handball, Kampfsport, Tanzen, Tennis, Tischtennis und Volleyball). Ein Vergleich beider Gruppen mit Hilfe einer unifaktoriellen, multivariaten Kovarianzanalyse (Geschlecht, Alter und Bildung als Kovariate) ergab weder einen multivariaten Haupteffekt (F10/226 = .96, p > .05), noch einen univariaten Effekt (Tab. 3, Spalten 8 und 9).

5 Diskussion

Die Studie beschäftigt sich erstmals differenziert mit der Frage, inwieweit sportliche Aktivitäten ein valides Kriterium bei der Sichtung von Bewerbungsunterlagen darstellen, und zwar in Bezug auf die Leistungsmotivation. Dabei werden neben einem Gesamtwert der Leistungsmotivation zehn verschiedene für die Personalauswahl potentiell relevante Facetten der Leistungsmotivation unterschieden. Die Befunde sind heterogen. Bezogen auf Fragestellung 1 wurde untersucht, inwieweit sportliche Aktivitäten mit einer höheren beruflichen Leistungsmotivation einhergehen. Hierfür ließen sich zahlreiche Belege finden. Menschen, die nach eigener Einschätzung ambitioniert Sport betreiben oder gar Leistungssportler sind, weisen auf sieben von elf Dimensionen der Leistungsmotivation signifikant höhere Werte auf als Menschen, die keinen Sport betreiben oder Sport nur als ein Hobby sehen. Die Anzahl der Stunden, die pro Woche mit sportlichen Aktivitäten verbracht werden, korrelierte sogar in neun von elf Fällen signifikant positiv mit der Ausprägung der Leistungsmotivationsdimensionen. Bei beiden Berechnungen war auch das Gesamtmaß der Leistungsmotivation betroffen. Eine Ausnahme bildete die Anzahl der Jahre, seit denen die Befragten Sport betrieben. Hier ergaben sich in keinem Fall signifikante Zusammenhänge zur Leistungsmotivation. Möglicherweise liegt dies daran, dass die Dauer in Jahren ein zu unbestimmtes Maß darstellte. Manche Menschen hatten vielleicht vor zehn Jahren angefangen, Sport zu betreiben, gingen dieser Betätigung aber nicht regelmäßig bzw. mit gleichbleibender Intensität nach. Andere betrieben seit vielen Jahren nur sehr wenig Sport und wieder andere mehrfach pro Woche. Zukünftige Untersuchungen sollten an dieser Stelle differenzierter danach fragen, mit welcher Intensität über die Jahre hinweg Sport betrieben wurde.

Alles in allem qualifiziert sich die Intensität der sportlichen Betätigung (in Stunden pro Woche bzw. in Form einer Einschätzung Leistungssport vs. Breitensport) durchaus als ein potentiell nützliches Kriterium der Bewerbungsunterlagensichtung. Zu bedenken ist dabei allerdings die Höhe des Zusammenhangs. Die Koeffizienten der inneren kriterienbezogenen Validität lagen zwischen .18 und .27 und damit niedriger als beispielsweise die Durchschnittsnote des Schulzeugnisses oder des Examens nach einem Studium (Cole et al., 2003; Görlich & Schuler, 2007; Roth, et al., 1996). Bislang nicht untersucht wurde die prognostische Validität.

Fragestellung 2 bezog sich auf die Wettkampftätigkeit. Es wurde die Frage untersucht, inwieweit Wettkampfaktivitäten mit einer höheren beruflichen Leistungsmotivation einhergingen. Hierfür fanden sich nur sehr vereinzelte Hinweise in den vorliegenden Daten. Im Gegensatz zur Intensität sportlicher Aktivitäten, die sehr breit mit unterschiedlichen Facetten der Leistungsmotivation zusammenhing, lagen sehr viel spezifischeren Effekte vor. Die Tatsache, dass ein Mensch an Wettkämpfen teilnahm, ging mit einer höheren Wettbewerbsorientierung einher. Gleiches galt für die Menge der Wettkämpfe pro Jahr. Zudem zeigten sich höhere Werte im Bereich der Beharrlichkeit sowie eine signifikant positive Korrelation zum Leistungsstolz. Die Wettkampfintensität wies mithin eine stark eingeschränkte Aussagebreite auf. Auch hier gilt, dass der Koeffizient der inneren kriterienbezogenen Validität mit .23 eher gering ausfiel und dass bislang keine Daten zur prognostischen Validität vorliegen.

Konkrete Sportarten konnten in der vorliegenden Studie leider nicht untersucht werden (Fragestellung 3). Die grobe Unterscheidung zwischen Individual- vs. Mannschaftssportarten erwies sich als nicht valide im Hinblick auf die Leistungsmotivation. Ähnliche Befunde fanden Kanning und Kappelhoff (2012) in Bezug auf die Ausprägung sozialer Kompetenzen. Letztlich lässt sich in jeder Sportart mehr oder weniger engagiert zur Tat schreiten. Insofern ist zu erwarten, dass eher die Intensität und weniger die Sportart an sich Aussagekraft besitzt. Zukünftige Studien, die entweder mit deutlich größeren Stichproben oder aber mit sehr spezifischen Stichproben einzelner Sportarten arbeiten, müssen dies noch überprüfen.

Bezogen auf das hierarchische Modell von Schwinger et al. (2013) bleibt festzuhalten, dass in der vorliegenden Studie weitere Hinweise auf die Bedeutung habitueller Merkmale für die Erklärung sportlicher Aktivitäten zu finden sind. Eine Untersuchung des gesamten Modells, welche die mediierende Wirkung der Leistungsmotivation im Zusammenspiel zwischen grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen und sportlichen Aktivitäten bis hin zur sportlichen Leistung betrachtet, steht noch aus. Dabei wäre auch das bislang völlig unklare Zusammenspiel der verschiedenen Facetten der Leistungsmotivation zu klären. Für die zentrale Frage der Studie nach der generellen Validität sportlicher Aktivitäten im Zuge der Sichtung von Bewerbungsunterlagen ist all dies jedoch von nachrangiger Bedeutung.

Die Interpretation der vorliegenden Studie ist durch mehrere Aspekte eingeschränkt. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Stichprobe in keinem Fall für sich in Anspruch nehmen kann, repräsentativ zu sein. Dies gilt insbesondere für die Vielfalt möglicher Sportarten. Darüber hinaus haben wir es mit Querschnittsdaten zu tun. Es kann keine Aussage über etwaige Selektions- oder Sozialisationseffekte (s. o.) getroffen werden. Hier wäre eine Längsschnittstudie hilfreich, die zudem Probleme der retrospektiven Betrachtung des eigenen Verhaltens (z. B. verzerrte Erinnerung) mindern könnte. Zukünftige Studien mit sehr großen Stichproben sollten darüber hinaus der Tatsache Rechnung tragen, dass manche Probanden mehrere Sportarten mit unterschiedlicher Intensität betreiben und sich dabei nicht immer leicht einer primären Sportart zuordnen können. Entsprechende Studien sollten also auch mit Mischtypen arbeiten. Um etwaige Reihenfolgeeffekte bei der Befragung aus den Daten herausrechnen zu können, könnte der Fragebogen zudem mit zwei alternativen Abfolgen der Items arbeiten: erst Einschätzung der eigenen Leistungsmotivation und anschließend die Abfrage der sportlichen Aktivitäten vs. erst die Abfrage sportlicher Aktivitäten und anschließend die Messung der Leistungsmotivation. Zu guter Letzt ist zu betonen, dass unsere Studie sich ausschließlich auf die kriterienbezogene Validität und nicht auf die prognostische Validität bezieht. Entsprechende Erkenntnisse wären für die Praxis der Personalauswahl von großer Bedeutung. Die Studie versteht sich nur als ein erster Schritt zu einer differenzierten Betrachtung sportlicher Aktivitäten als potentiell sinnvoller Prädiktor der Personalauswahl.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie für die Praxis der Sichtung von Bewerbungsunterlagen ableiten?

(1) Die Intensität sportlicher Betätigungen erscheint als ein valider Indikator der beruflichen Leistungsmotivation und kann damit als ein Kriterium neben anderen auch zur Vorauswahl der Bewerber herangezogen werden, sofern die Leistungsmotivation zu den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle zählt. In der Gewichtung sollte man jedoch Kriterien wie der (Vielfalt der) Berufserfahrung, der Abschlussnote im Schulzeugnis oder im Examen eine größere Relevanz zuschreiben, da sie sich in vielen Studien als deutlich valider und vor allem als prognostisch valide erwiesen haben (Cole et al., 2003; Görlich & Schuler, 2007; Quinones, Ford & Teachout, 1995).

(2) Die Wettkampfhäufigkeit bietet sich nur dann als Kriterium zur Vorauswahl an, wenn von dem Stelleninhaber auch Wettbewerbsorientierung erwartet wird. Dies wäre z. B. der Fall, wenn die Mitarbeiter untereinander in einem starken Wettbewerb zueinanderstehen. Auch hier gelten dieselben Einschränkungen, die im Hinblick auf die Intensität sportlicher Aktivitäten angeführt wurden.

(3) Von der Deutung einzelner Sportarten zu diagnostischen Zwecken ist zum gegenwärtigen Stand des Wissens abzuraten.

(4) Zu bedenken ist, dass sportliche Aktivitäten im Hinblick auf die körperliche Fitness und Gesundheit positiv bewertet werden können. Dies gilt allerdings weniger für Sportarten, die mit einem größeren Verletzungsrisiko einhergehen. Zudem ist nicht sichergestellt, ob jüngere Bewerber auch noch ein 10 oder 20 Jahren Sport treiben werden.

(5) Das zentrale Problem besteht darin, dass manche Bewerber vielleicht gar nicht angeben, dass sie sportlich aktiv sind oder wenn sie es angeben, nicht näher auf die Intensität eingehen. Die auswahlrelevanten Kriterien liegen also nur bei einer Teilmenge der Bewerber vor, was geradezu zwangsläufig zu Fehlentscheidungen führt, wenn die Vorauswahl über sportliche Aktivitäten läuft. Einen Ausweg aus dieser Situation bieten Online-Bewerbungsformulare, bei denen die Bewerber keine klassische Bewerbungsmappe erstellen, sondern gezielt die Fragen beantworten, die für den Arbeitgeber auswahlrelevant sind (Kanning, 2015a). Der Arbeitgeber würde hier also explizit nach der Intensität sportliches Aktivitäten fragen und könnte dann alle Bewerber nach denselben Kriterien bewerten.

(6) Zudem kann in diesem Zusammenhang empfohlen werden, über den Einsatz eines validen Online-Fragebogens zur Erfassung der Leistungsmotivation in der Phase der Vorauswahl der Bewerber nachzudenken. Dies könnte ergänzend oder alternativ zu den Kriterien der sportlichen Aktivitäten geschehen. Ein solcher Fragebogen würde eine direkte Messung der berufsbezogenen Leistungsmotivation ermöglichen, während die Interpretation der biographischen Daten zu sportlichen Aktivitäten nur einen Indikator für selbige darstellt. Da alle Bewerber denselben Online-Fragbogen ausfüllen, wäre zudem sichergestellt, dass jeweils identische Daten vorliegen würden, was bei Daten zu sportlichen Aktivitäten allein schon aufgrund der Heterogenität entsprechender Aktivitäten nur eingeschränkt der Fall sein kann.

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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning
Hochschule Osnabrück
Caprivistraße 30a
49076 Osnabrück
DEUTSCHLAND
U.Kanning@hs-osnabrueck.de


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